Das Queren von Radwegen zu Fuß ist scheinbar ganz leicht. Aber viele Menschen haben Probleme damit, und diese wachsen mit dem Ausbau der Rad-Infrastruktur. Darum braucht es hier sichere, komfortable Querungen genauso wie über herkömmliche Fahrbahnen.

Über den Radweg kommt man immer?

In der Theorie wie im Alltag vieler fitter Menschen ist ein Radweg kein Hindernis: Da sind langsamere und schlankere Fahrzeuge unterwegs, gelenkt von Menschen ohne Schutzpanzer, die darum größere Vorsicht walten lassen. Eigene Querungsanlagen braucht man da angeblich nicht; sie hemmen nur den rollenden Verkehr.

Aber in der Praxis und gerade für weniger starke, schnelle Menschen sieht es ganz anders aus. Ihnen erscheinen Radwege manchmal sogar schwerer querbar als Fahrbahnen mit Motorisierten. Denn auf dem Radweg verlaufen die Bewegungen anders: in nicht ganz so geraden Linien, darum schlechter zu berechnen. Nicht mit dem ampelstraßen-typischen Wechsel von dichten Pulks und Leerräumen, die sich gut queren lassen. Auch nicht bei starkem Radverkehr mit mehr Fahrzeugen auf weniger Raum. Und schließlich in sehr unterschiedlichem Tempo vom gemütlichen Opa-Radeln bis zum S-Pedelec.

Schwierig ist das für alle, bei denen körperliche oder mentale Fähigkeiten eingeschränkt sind. Das betrifft mal das Sehen oder Hören, mal das Schätzen von Tempo und Distanz, das Antizipieren von Bewegungsverläufen und nicht zuletzt die eigene Reaktionsfähigkeit und Beweglichkeit. Wo all das fehlt, da fehlt oft das optimistische Selbstvertrauen, sich zwischen Radlern durchzuschlängeln und den eigenen Anspruch offensiv auch mit Körpersprache zu erheben.

Solche Einschränkungen sind weiter verbreitet, als viele junge und mittelalte Menschen glauben. Nach einer Faustformel haben rund zehn Prozent der Menschen stärkere chronische Behinderungen, etwa 20 Prozent aller Menschen sind in irgendeiner Hinsicht eingeschränkt – Kinder und Greise, Kranke, Behinderte und akut Verletzte. Sie alle sind nicht an dynamischen Fahrverkehr anpassbar, sondern der muss sich ihnen anpassen, sollen alle zügig und sicher umeinander herum und aneinander vorbei kommen.

Das gilt besonders bei sehr dichtem Radverkehr. Ihn nehmen vor allem Kinder, Alte und Weitere mit weniger Selbstfahr-Routine als Barriere wahr. Sie alle können Geschwindigkeiten schlecht einschätzen, wohl aber meist Entfernungen. Darum wirken langsame, doch nahe Fahrzeuge heikler als schnellere, die noch ein Stück entfernt sind. Die sind zwar objektiv gefährlicher, aber die subjektive Wahrnehmung suggeriert das Gegenteil und ist ernst zu nehmen.

Die schwierigsten Querungsorte

Relativ leicht zu Fuß zu queren sind schmale, nur in einer Richtung befahrene Radwege – vor allem dann, wenn deren Benutzer keine überraschenden Ausweichbewegungen machen können, Zweirichtungswege sind schon deutlich anspruchsvoller, wuselige Kreuzungen erst recht. Heikel sind alle Plätze und weiteren Flächen, wo Radverkehr nicht auf einem abgegrenzten Weg, sondern potenziell überall geschieht. Das ist dort der Fall, wo es gar keine Radführung gibt oder wo sie durch mangelhafte Abgrenzung vom Gehweg unverbindlich wirkt. Radler mögen solche Flächen und vermeiden mögliche Stolperkanten, aus Fuß-Sicht sind sie dagegen nützlich und so nötig wie Bordsteinkanten zwischen Gehweg und Fahrbahn.

Auch eine größere Zahl querender Radwege macht das Gehen nicht leichter – zum Beispiel, wenn auf einem kleineren Platz eine Radkreuzung ist und womöglich einer der Wege am Platzrand auch noch zwischen Gehraum und Haltestelle führt. Das Hüpfen von Insel zu Insel zwischen Radwegen beim Gehen ist anstrengend und kann sogar bewirken, dass Menschen zu Fuß wegen der Inflationierung keinen der vielen Radwege mehr ernst nehmen.

Ein altbekannter Konfliktort sind Haltestellen. Hier werden vielerorts Menschen zu Fuß und auf dem Rad durch ignorante Planung geradezu aufeinandergehetzt. Wer zu Fuß ist, will Fahrzeuge verlassen oder betreten – der Bus vorn und die von hinten Nachdrängelnden warten nicht. Wer hier radelt, bekommt durch seinen Weg Vorfahrt suggeriert und ignoriert oft die Vorschrift, Haltestellen allenfalls langsam zu passieren. Nicht viel besser sind Radwege, die hinterm Wartebereich entlang führen. Sie engen den Gehweg ein und erzeugen neue Konflikte mit Menschen, die zum stehenden Fahrzeug eilen oder zu Fuß zügig weg wollen.

Unorte für viele Menschen zu Fuß sind auch Radwege, die rechts an einer Ampel mit Fußquerung vorbei führen und Radlern vermitteln, Fahrzeug-Rot gelte für sie nicht. Das stimmt formal oft, hat aber unangenehme Folgen für Gehende: Man hat Grün, aber kommt nicht weiter. Entweder nicht über den Radweg auf die Fahrbahn-Furt, was im Extremfall eine Wartephase mehr bedeuten kann. Oder nicht von der Fahrbahn auf den rettenden Gehweg, weil der Radweg dahinter gerade stark frequentiert ist.

Da sollen zwar Warteflächen zwischen Radweg und Fahrbahn die gröbsten Folgen mildern. Aber oft sind sie zu klein, so dass zum Beispiel das Leitpersonal für größere Kindergruppen in ein gruseliges Dilemma kommen kann: Entweder man jagt die vorderen Schutzbefohlenen in den Rad-Querverkehr. Oder es müssen die hinteren auf der Fahrbahn bleiben, auch wenn dort Fahrzeuglenker schon wieder Grün bekommen.

Hässliche Mobilitätskiller sind solche Radwege an größeren Kreuzungen. Da liegen oft Mittelinseln zwischen den Fahrbahnen und die Fuß-Ampeln kennen kein durchgängiges Grün. Im schlimmsten Fall muss man zwischen zwei Kreuzungsecken viermal warten. Und wenn vor und nach den Fahrbahnen auch noch Radwege mit Nachrang zu queren sind, bis zu achtmal.

Das alles spricht auch gegen „freie Rechtsabbieger“ fürs Rad. Sie sind eine Erfindung der Autostadt: Wer rechtsrum fahren will, tut dies auf eigenen ampelfreien Spuren rechts von der Kreuzung. Gehfreundliche Städte bauen solche Spuren nach und nach zurück. Geh-ignorante ergänzen autogerechte Geh-Schikanen mit weiteren zugunsten des Rades. Manche Radlobbyisten propagieren „holländische Kreuzungen“ mit solchen Spuren als ultimative Lösungen.

Lösungen: Entschleunigen, entspannen – aber nicht: entflechten

Die scheinbar sauberste Lösung ist aus simplen Gründen keine: das Entflechten von Fuß- und Radnetzen. Beide Netze können nur auf gleicher Bodenebene verlaufen, Brücken- und Tunnelsysteme bleiben ein Spleen von Träumern.

Damit zum Realisierbaren. Zuerst sind da Zebrastreifen, die an allen zum Gehen wichtigen Querungsorten über den Radweg gehören. Das Zebraverhalten mancher Radler ist anders als das von Autofahrern: Sie versuchen ungebremst knapp neben den Gehenden zu passieren. Wo das häufiger vorkommt, müssen sie entschleunigt werden; in den Niederlanden sind hierfür Aufpflasterungen nicht selten.

Eine Spezialregelung für alle Radwegquerungen brauchen Blinde, die Räder weder sehen noch hören können, also ganz auf deren Rücksicht angewiesen sind. Diese Rücksicht sollte mit einer eigenen Regel amtlich verlangt werden: Wo immer ein blinder Mensch seinen weißen Langstock über den Radweg nach vorn streckt und dann langsam losgeht, hat er Vorrang. Ob amtlicher Überweg oder nicht: der Stock entfaltet immer Zebrastreifen-Wirkung.

Was tun mit Radwegen rechts neben beampelten Übergängen, deren Rotlicht nicht fürs Rad gilt? Lösung Nummer1 ist umstritten: Zebrastreifen über den Radweg. Richtlinien verbieten beide Querungsformen in unmittelbarer Nähe. Was das heißt, ist strittig: Dürfen Ampelfurt und Zebrastreifen nicht nebeneinander? Oder können sie nur nicht auf derselben Fahrbahn kurz hintereinander folgen, aber nebeneinander auf getrennten Bahnen durchaus? Wenn das nicht möglich ist, sollten auch fürs Rad Ampeln gelten.

Eine fußfreundliche, in Deutschland kaum angewandte Ampelschaltung bringt auch flexible Radler rasch voran: das Rundum-Grün, bei dem alle in allen Richtungen gehen können und in dieser Zeit niemand fahren darf. Wer auf dem Rad ist, kann bei Grün für die eigene Fahrbahn rollen und bei Fußgrün absteigen und kurz schieben. Das ist gerade fürs Linksabbiegen die reibungsloseste und sicherste Form. Und man profitiert auf dem Rad sowohl vom Fahr- wie vom Gehgrün, hat also die wenigsten Wartezeiten.

Eine simple Methode zum Vermindern von Querungsorten ist die gemeinsame Fahrbahn für Räder und Motorisierte. Aber wollen wir von dieser nicht gerade weg? Manche Radplaner schon, andere weisen auf die vielen dafür zu schmalen Straßen hin – und darauf, dass jedes von der Fahrbahn genommene Rad mehr Raum und Tempofreiheit fürs Auto bedeutet, also genau falsche Anreize schafft. Statt Separation empfiehlt sich konsequent entschleunigter Motorverkehr – wo Radler unterwegs sind, sogar eher mit 25 oder gar 20 als mit 30 km/h.

Wo viele Menschen gehen und wo sie in jeder Richtung Sicherheit, Vorrang und entspannte Atmosphäre haben sollen, muss auch Radverkehr entweder ausgeschlossen oder angepasst sein, sprich langsam. Das gilt zum Beispiel für Fußgängerzonen mit erlaubtem Radeln. Hier können die klassischen Instrumente der Verkehrsberuhigung Querungskonflikte entschärfen: Schwellen, Kissen und sinusförmige Wellen, Engstellen und Schwenks.

Fazit

Der angenehmste Weg zur friedlichen Fuß-Rad-Begegnung ist ein mentaler: der Entschluss, öfter mal Sekunden zu schenken statt Sekunden zu schinden – langsamer fahren, andere vorlassen, natürlich auch zu Fuß tun, wenn zum Beispiel ein Kind quer radelt. Das entstresst beim Fahren und Gehen, bringt Dankbarkeit und bessere Stimmung. So kommen die verschenkten Sekunden mehrfach zurück.

 

Dieser Artikel von Roland Stimpel ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2023, erschienen.

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