Der aufrechte Gang hat es dem Menschen ermöglicht, seine Umwelt besser wahrzunehmen. Dennoch wären in imaginären Aufzeichnungen absolvierter Mobilität solche Selbstverständlichkeiten, wie das Fahren mit dem Auto und dem Aufzug zum Laufband im Fitnessstudio oder aufgrund der enormen Verkehrsbelastung dem mütterlichen Instinkt folgende Mamataxifahrten vorzufinden. Nach wie vor sind derlei Verhaltensweisen auch in den Köpfen der Verkehrsplaner und -politiker wiederzufinden.

Nachdem die Stadt mit ihren großzügigen Promenaden für zu Fuß Gehende von der Gründerzeit in den 1920ern zur autogerechten Stadt in den 1970ern mutierte, führen heute die Verkehrsmittel und ihre Nutzer untereinander einen Streit um die Hoheit der Fläche. In der Verkehrsplanung spielt der Fußverkehr, abgesehen von den Innenstadtreservaten, häufig die Rolle des Lückenfüllers, obwohl der Modal Split-Anteil des Fußverkehrs in Deutschland bei 24 % (1) liegt. Dieser unterminierte Stellenwert liegt zum Teil an der schlechten Datenlage über Anforderungen und Verhaltensweisen des Fußverkehrs.

Entwicklung eines Indexes für den Fußverkehr

Der Fußverkehr findet bisher aus medialer Sicht nur einen geringen Stellenwert. Während für andere Verkehrsmittel bereits Indizes zur Wertung der jeweiligen Qualität in deutschen Städten bestehen, allen voran für den Radverkehr, war ein Index, der den Fußverkehr nach einem einheitlichen Prinzip in einer Vielzahl von Städten untersucht, nicht gegeben. Diese Lücke wollte ich schließen. In meiner Masterarbeit wurde der Fußverkehr für alle 76 deutschen Großstädte mit über 100.000 Einwohnern (Berlin bis Moers) untersucht. Dies wurde mithilfe verschiedener, auf transparente Weise hergeleiteter Indikatoren sowie deren Übertragung in den eigens erstellten perpedesindex 2016 realisiert.

Als Erstes versuchte ich, in der Fußverkehrspolitik erläuterte Qualitätsziele und Indikatoren für den Fußverkehr zu finden, zunächst gelang es nicht aus diesen Quellen passende Indikatoren für einen Index zu finden. Im nächsten Schritt wollte ich herauszufinden, welche Determinanten aus Bereichen wie Stadtplanung, Umwelt und Psychologie den Fußverkehr berühren, um daraus Indikatoren ableiten zu können. Dabei konnten mir wissenschaftliche Ausführungen zum Thema der Walkability (Gesamtbegehbarkeit) diese Determinanten liefern.

In einem weiteren Schritt untersuchte ich die nationale und internationale Fußverkehrspolitik grundlegend auf Ziele, die sich Staaten und Kommunen auferlegt haben, um den Fußverkehr zu verbessern. Darunter zu finden sind vor allem die Verkehrsentwicklungsplanung (VEP), die Luftreinhalteplanung (LRP) und die Lärmminderungsplanung (LMP) sowie Fußverkehrskonzepte auf kommunaler Ebene, Fußverkehrsstrategien wie z.B. der „Masterplan Gehen“ auf nationaler Ebene und rechtsverbindliche Dokumente wie z.B. die European RoadSafety Charter auf internationaler Ebene.

In einem letzten Schritt habe ich bestehende Indizes unabhängig von den Schwerpunkten ihrer Betrachtungen (Copenhagenize Index, ADFC-Fahrradklimatest, Bundesländerindex Mobilität, Walk Score) auf

  • Methodik (Anzahl und Struktur der Untersuchungsräume, Anzahl und Zusammensetzung der Indikatoren, Themenbereiche/Zielgrößen),
  • Besonderheiten, sowie
  • die aktuellsten Platzierungen der Rankings

untersucht und miteinander verglichen, um bereits evaluierte Indikatoren oder Themenbereiche, z.B. zur Einschätzung des Radverkehrs in Städten, in meinen perpedesindex 2016 zu übertragen.

Aus den politischen Zielen, den Ergebnissen meiner Untersuchung anderer Indizes, sowie aus den Determinanten der Walkability konnte ich daraufhin Zielgrößen für meinen Index definieren.

Aus diesen Zielgrößen habe ich nach allgemein gültigen Anforderungen (2) Indikatoren abgeleitet. Aufgrund einer fehlenden übergreifenden Statistik oder Vergleichsgröße für die Barrierefreiheit konnte diese Zielgröße nicht mit einem Indikator berücksichtigt werden. Ebenso floss die Fußverkehrspolitik nicht direkt in den perpedesindex 2016 ein, da die konkrete Zuweisung einzelner Finanzmittel für den Fußverkehr in den Kommunen nicht erhoben werden konnte.

Das Ergebnis der Voruntersuchung ist der perpedesindex 2016, welcher aus folgenden Indikatoren besteht:

  • getötete Fußgänger pro eine Million Einwohnern (Verkehrssicherheit)
  • Anteil des Fußverkehrs im Modal Split
  • Umwegefaktor (Erreichbarkeit)
  • Motorisierungsgrad (Verkehrsbelastung)
  • Erholungsfläche pro Einwohner (Attraktivität)

Eine Gewichtung der einzelnen Indikatoren untereinander wurde nicht vorgenommen. Jeder der fünf Indikatoren besitzt dasselbe Gewicht von 20 % im perpedesindex. Ein frei erstelltes Gewichtungssystem würde dem Problem gegenüberstehen, eine Berechtigung für die unterschiedliche Bewertung der Einflussfaktoren nachzuweisen. Die Gewichtung innerhalb der Indikatoren wurde wiederum mithilfe von Interpolation durchgeführt. Die Ergebnisse werden normalisiert, wobei der beste Wert aller Städte eines Indikators einen Punktewert von 100 bzw. der schlechteste Wert einer Stadt 0 Punkte erhält. Die Werte dazwischen werden interpoliert und orientieren sich damit an den jeweiligen Grenzwerten. Der Vorteil der Normalisierung auf 0 bis 100 Punkte ist die Vergleichbarkeit der einzelnen Indikatoren untereinander, sowie die Möglichkeit einen Durchschnitt aller Indikatoren zu bilden.

Während der Motorisierungsgrad und die Erholungsfläche pro Einwohner schnell über das statistische Bundesamt erhoben werden konnten, mussten die anderen Indikatoren aufwendiger ermittelt werden:

  • Umwegefaktor (Quotient aus Luftliniendistanz und Reiseweg): Der Umwegefaktor wurde mithilfe der Fußgängerroutensuche von Google Maps realisiert. Dabei wurde in allen untersuchten Städten jeweils das Rathaus „angepingt“ und ein Radius von einem Kilometer gesetzt. Es gab insgesamt 4 Routenabfragen von den jeweiligen Kreisgrenzen (Nord- Süd, Ost-West, Nord Ost- Süd- West, Nord West- Süd Ost), aus denen ein Durchschnitt errechnet wurde und die jeweils mit der Luftlinie (2 km) korreliert wurde.
  • Getötete Fußgänger pro 1 Mio. Einwohner: Dieser Wert wurde entweder aus der öffentlich zugänglichen Verkehrsstatistik der Polizeipräsidien, jedoch wesentlich häufiger auf Anfrage erhobener Daten von Leichtverletzten (LV), Schwerverletzten (SV) und Getöteten (G) Fußgängern aufgenommen. In der Risikobewertung gibt es eine Heuristik (100 LV = 10 SV = 1 G), die ich dafür angewendet habe, um die Daten zusammenzufassen.
  • Modal Split: Derzeit gibt es keine diesbezügliche grundlegende Verkehrsuntersuchung mit der Bandbreite an Städten, die der perepedesindex 2016 bietet. Jedoch wird im Mikrozensus 2012 abgefragt, welches das am meisten genutzte Verkehrsmittel auf dem Weg zur Arbeit ist. Dieser Wert konnte für alle Städte erhoben werden.

Gesamtergebnisse

Den höchsten Wert erreichten die Städte Jena und Rostock mit jeweils 76 Punkten. Diese Städte wiesen Bestwerte bei den Indikatoren Modal Split, Motorisierungsgrad und Verkehrssicherheit auf und führen damit den perpedesindex 2016 an. Die Stadt Jena erhielt, bis auf den Indikator Erholungsflächenanteil, bei allen Indikatoren Werte über 85 Punkte, was ein Alleinstellungsmerkmal unter allen Städten darstellt. Ferner erreichten die Städte Göttingen (73), Halle (Saale) (69) und Aachen (67) nennenswert hohe Punktewerte. Die geringsten Werte wiesen Saarbrücken (39), Regensburg (38) und Heidelberg (36) auf. Die Stadt Heidelberg konnte aufgrund ihrer sehr geringen Stadtfläche und ihrer besonderen Stadtstruktur bei den Indikatoren Umwegefaktor und Erholungsflächenanteil keinen Punkt erhalten. Saarbrücken ist die Stadt mit dem niedrigsten Wert für den Indikator Verkehrssicherheit und erreichte ebenfalls einen sehr niedrigen Punktwert für den Indikator Erholungsflächenanteil (4 Punkte). Insgesamt weisen die meisten Städte einen Gesamtpunktwert zwischen 50 und 60 auf. Nur die drei jeweils o.g. Städte erhielten einen Punktewert unter 40 bzw. über 70 Punkten. Der durchschnittliche Punktewert des perpedesindex beträgt 56 Punkte, der von 35 Städten überschritten wird.

Alle erreichten Punktwerte werden in einer Onlinekarte dargestellt, bei der jeder schauen kann, welche Platzierung „seine“ Stadt erreichte.

Mithilfe einer Sensitivitätsanalyse wurden die Indikatoren des perpedesindex 2016 geprüft. Dabei wurde die Gewichtung der einzelnen Indikatoren verändert und die dabei entstehenden Endergebnisse auf starke Abweichungen überprüft. Innerhalb der Prüfung konnten lediglich geringe Abweichungen festgestellt werden. Obgleich einer Sensitivitätsanalyse keinerlei Regeln unterstehen, kann der perpedesindex 2016 nach statistischen Gesichtspunkten als sicher betrachtet werden.

Interpretation mithilfe von Einflussfaktoren

Nachdem ich den perpedesindex 2016 erstellt hatte, stellte sich für mich die Frage, welche wissenschaftlichen Aussagen man über die Ergebnisse treffen kann. Dies versuchte ich anhand einer Korrelation von Einflussfaktoren wie

  • Stadtgröße (Fläche und Einwohnerzahl),
  • Jugend- und Altenquote,
  • Schuldenstand pro Kopf in den Kommunen,
  • Geografische Lage und
  • Anteil der Studierenden in der Stadt

mit den Ergebnissen des perpedesindex 2016. Des Weiteren versuchte ich die einzelnen Indikatoren miteinander zu korrelieren um bspw. Aussagen zu treffen wie: „Eine Stadt mit einem hohen Modal Split-Anteil besitzt gleichzeitig einen hohen Erholungsflächenanteil“. Nachdem ich zahlreiche Daten miteinander korreliert hatte, konnten folgende Aussagen getroffen werden:

  • Städte mit höheren Einwohnerzahlen besitzen schlechtere Werte im Indikator Verkehrssicherheit.
  • Größere Städte (ausgehend von Einwohnerzahl und Stadtfläche) weisen einen geringeren Umwegefaktor auf.
  • Größere Städte (ausgehend von Einwohnerzahl und Stadtfläche) besitzen einen geringeren Motorisierungsgrad.
  • Städte mit einer größeren Stadtfläche besitzen mehr Erholungsfläche pro Einwohner.
  • Kleinere Städte (ausgehend von Einwohnerzahl und Stadtfläche) besitzen einen höheren Anteil des Fußverkehrs im Modal Split.

Für alle anderen Einflussfaktoren konnte keine wissenschaftliche Aussage getroffen werden, aufgrund sehr geringer Bestimmtheitsmaße. Wobei auch bei den oben genannten Ergebnissen aufgrund von Bestimmtheitsmaßen von weniger als 0,2 lediglich von Tendenzen gesprochen werden kann.

Den deutlichsten Unterschied zeigte eine Gegenüberstellung von Städten der alten Bundesländer mit Städten der neuen Bundesländer.

Fazit

Der Fußverkehr wird in Zukunft vom demografischen Wandel profitieren. Der perpedesindex 2016 kann dazu beitragen, Städte zu ermutigen, den Fußverkehr in ihrer Stadt- und Verkehrsplanung stärker einzubeziehen. Als vergleichendes Instrument mit einer Vielzahl von Indikatoren ist der perpedesindex 2016 signalgebend für Stadtplaner, Politiker und Verbände. Aus diesem Grund wurden die Ergebnisse allen untersuchten Kommunen, deren Polizeipräsidien und Stadtplanern, sowie einschlägigen Verbänden in Form der erstellten Karte zugestellt. Die Reaktionen auf die Ergebnisse werden erste Hinweise geben, ob der Fußverkehr seine Rolle als gleichwertiges Verkehrsmittel einnehmen kann.

Bei der Auswahl der Indikatoren hat sich gezeigt, wie schwierig es ist, den Fußverkehr ohne eine gute Datengrundlage zu messen. Für eine verbesserte und periodische Erstellung des perpedesindex könnten hierfür aufwendigere Methoden für die Erhebung gewählt werden, wie z.B. eine repräsentative Befragung. Ferner wäre für die Erstellung eines fortlaufenden perpedesindex die Vergrößerung des Fragenpools im Zensus von Deutschland auf weitere Kenngrößen des Verkehrs wünschenswert.

In Kürze

Der Fußverkehr spielt bisher auf der politischen und medialen Bühne eine Nebenrolle. Ein Ranking des Fußverkehrs von Städten kann Hilfestellung sein, um sich dem Fußverkehr zu nähern. In dieser Masterarbeit wurde der Fußverkehr für alle 76 deutschen Großstädte mit über 100.000 Einwohnern untersucht. Dies wurde mithilfe hergeleiteter Indikatoren sowie deren Übertragung in den eigens erstellten perpedesindex 2016 realisiert.

Info und Quellen:

Die Masterarbeit „Fußverkehrsqualität in Städten messen- der perpedesindex 2016“ , 121 Seiten. 1. Betreuer: Prof. Mathias Gather, FH Erfurt, Institut für Verkehr und Raum (IVR) 2. Betreuer: Attila Lüttmerding, Fuss e.V., IVR.

Nach einer Nachbereitung wird die Arbeit vorausichtlich ab Juni 2016 in „Berichte des Instituts Verkehr und Raum“ zu finden sein (www.fh-erfurt.de/fhe/vur/download-bereich/berichte-des-instituts-verkehr-und-raum/)

(1) Vgl. DLR- Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. Institut für Verkehrsforschung, infas- Institut für angewandte Sozialwissenschaft (2010): Mobilität in Deutschland 2008, Berlin, Ergebnisbericht, Struktur- Aufkommen- Emissionen- Trends, Berlin, S. 25.

(2) Vgl. Dietrich, Edgar; Schulze, Alfred; Weber, Stefan (2007): Kennzahlensystem – für die Qualitätsbeurteilung in der industriellen Produktion, Hanser Verlag, Weinheim, S. 14-15, verfügbar unter: www.beck-shop.de/ fachbuch/leseprobe/9783446410534_Excerpt_001.pdf

 

Dieser Artikel von Jörg Kwauka ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2016, erschienen. 

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