Unsere Alltagsmobilität ist individuell vielfältig und im Durchschnitt simpel und unspektakulär. Ihre Messung / Beschreibung ist aber immer eine Herausforderung.

Alltags-Mobilität

Wir verbringen unser Leben am eigenen Wohnstandort oder an auswärtigen Gelegenheiten / Zielen. Um diese Ziele zu erreichen sind wir unterwegs. Dieses „Unterwegssein“ nennen wir Mobilität. In der Mobilitätsforschung nimmt man in der Regel die gesamte Mobilität der Menschen, zieht den Wirtschaftsverkehr und Fahrten über 100 km ab, erhält die täglichen Abläufe und Routinen und nennt das die „Alltags-Mobilität“.

Diese Alltags-Mobilität erleben wir täglich selbst und nehmen sie jeweils subjektiv (und damit unterschiedlich) wahr. Ihre empirische Messung ist gar nicht so einfach. Heute möchten wir aber, auf Bitte der mobilogisch!-Redaktion, die wichtigsten Variablen vorstellen, mit denen wir ein einheitliches Bild der Alltags-Mobilität herstellen können. Und damit dies nicht nur mit abstrakten Begriffen geschieht, quantifizieren wir die Basis-Variablen mit Daten aus einem unserer Datenbestände. Er bildet das Verhalten von Bewohner(inne)n deutscher Städte ab, umfasst alle Personen der jeweiligen Haushalte, ist für jeweils einen Stichtag, verteilt über das ganze Jahr erhoben und umfasst ca. 35.000 Personen (fortgeschrieben auf das Jahr 2015).

Außer-Haus-Anteil: Die Grundvoraussetzung für Mobilität ist, dass wir das Haus verlassen. Das machen in deutschen Städten vier von fünf Bewohnern. Sie sind die „Mobilen“ (80 % „Außer-Haus-Anteil“).

Ausgänge: Jedes Mal, wenn wir aus dem Haus gehen, erledigen wir – bis zu unserer Rückkehr – einen Ausgang. Die durchschnittliche Zahl der Ausgänge, die wir (im Jahresmittel) pro Tag verzeichnen, ist allerdings mit 1,29 relativ gering.

Jede(r) Zweite verlässt an einem durchschnittlichen Tag das Haus nur einmal (48 %) jeder Vierte (24 %) zweimal.

Zeitbudget: Auch die Zeit, die wir für das Leben außer Haus aufwenden, ist im Schnitt überschaubar. Etwa 18 Stunden verbringen wir zuhause, knapp fünf Stunden an (aushäusigen) Zielen. Es verbleibt eine gute Stunde für die Mobilität.

Diese Stunde ist eine der großen Konstanten in der Mobilitätsforschung; wir finden sie im horizontalen Vergleich vieler verschiedener Länder ebenso wie im vertikalen Vergleich der zeitlichen Entwicklung.

Aktivitäten

Das, was wir an den (aushäusigen) Zielen erledigen, nennt man Aktivität. Es gibt drei etwa gleich große Gruppen von Aktivitäten: „Pflicht-Aktivitäten“, „Gelegenheits-Aktivitäten“ und „Freizeit-Aktivitäten“.

Dabei ist „Freizeit“ der schillerndste Begriff. Er umfasst beispielsweise „soziale Kontakte“ (9 %); „Erholung“ (6 %); Sport (5 %); „Restaurant“ (2 %); „Kirche / Friedhof“ (2 %); „Kulturelle Aktivitäten“ (1 %) usw..

Auch die Zahl der aushäusigen Aktivitäten ist überschaubar. Ein Mobiler kommt auf 2,1 und für alle Personen ergeben sich 1,7 Aktivitäten pro Person und Tag.

Das liegt vor allem daran, dass fast die Hälfte der Mobilen nur eine Aktivität am Tag erledigt, ein knappes Drittel zwei.

Aktivitäten-Muster: Bei (relativ) wenigen Ausgängen und Aktivitäten pro Tag kann man keine komplizierten Aktivitätsmuster erwarten.

Diese Aktivitätsmuster werden mitunter auch „Wegeketten“ genannt. Bei einer genaueren Aufgliederung zeigt sich, dass vier Fünftel dieser Wegeketten (82 %) nur einer einzigen Aktivität dienen. Jede neunte Wegekette enthält zwei und nur jede vierzehnte drei Aktivitäten oder mehr.

Insgesamt haben wir in unserem Bestand (mit fast 50.000 Ausgängen) 722 verschiedene Mög­lichkeiten gefunden, einen Ausgang zu gestalten. Gleichwohl entfielen fast drei Viertel (73 %) dieser 722 Varianten auf vier einfache Muster.

Die Art und Weise, wie wir unsere alltägliche Mobilität organisieren ist aber nicht nur simpel, sondern auch sehr stabil. Wir haben die gezeigten Wegeketten in einer Reihe von Städten über einen Zeitraum von zwanzig Jahren verglichen und festgestellt, dass für die wichtigsten Aktivitätsmuster im Jahr 2014 nahezu identische Werte ermittelt wurden wie 1995! Trotz Internet, Leihfahrrädern und Car-Sharing ändert sich die Struktur unserer Alltags-Mobilität offenbar nicht oder nur sehr, sehr langsam.

 

Weiter ...

Wege

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass Mobilität kein Selbstzweck ist, sondern der Ausübung von Aktivitäten dient. Man misst sie aber in Wegen und meint damit alles, was zwischen den einzelnen Standorten (der Wohnung oder der Aktivität) stattfindet. Das hat den Vorteil, dass etwa 90 % der Befragten Wege auch aktivitätenbezogen verstehen und man damit bei Verwendung dieses Wegebegriffes die Befragten nicht mit komplizierten oder schwer verständlichen Wege-Definitionen behelligen muss.

Wohnungsbezug: In unserem Bestand haben wir 2,96 Wege pro Person und 3,69 pro Mobilem gemessen. Der größte Teil dieser Wege hat einen Wohnungsbezug.

Sieben von acht Wegen, die wir alltäglich durchführen, beginnen oder enden an der eigenen Wohnung. Das ist wichtig für alle Projekte, deren Ziel es ist, unser Mobilitätsverhalten zu beeinflussen. Über den eigenen Wohnstandort ist die „Trefferquote“ hierfür – mit Abstand – am größten.

Verkehrsmittel: Die von uns gewählte Wegedefinition ist naheliegend und leicht verständlich. Sie stellt uns aber auch vor drei bedeutende Herausforderungen. Die Erste hat zu tun mit den Verkehrsmitteln, die wir nutzen.

Wenn wir beispielsweise mit dem Bus in die Arbeit fahren, gehen wir zu Fuß zur Haltestelle, warten, fahren mit dem Bus und gehen von der Haltestelle zu Fuß ins Büro. In diesem (einfachen) Fall werden zwei Verkehrsmittel genutzt (zu Fuß und Bus) und eines davon (zu Fuß) sogar zweimal.

Für viele Auswertungen / Analysen muss jedoch ein (hauptsächlich genutztes) Verkehrsmittel (HVM) bestimmt werden. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die gebräuchlichste ist eine Verkehrsmittel-Hierarchie. Danach ist bei allen Kombinationen mit dem ÖV das HVM immer ÖV, bei allen anderen Kombinationen mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) ist der MIV das HVM. Und zu Fuß wird nur als HVM gewertet, wenn der Weg ausschließlich zu Fuß durchgeführt wurde. Das hat – wie auch alle denkbaren Alternativen – Vorteile und Nachteile. Wichtig ist vor allem, dass diese Definition dem Befragten nicht zusätzliche Informationen abverlangt, dass sie offengelegt und auch im internationalen Vergleich am häufigsten angewendet wird.

Dauer und Entfernung: In unserem Datenbestand liegt die durchschnittliche Zahl der Wege pro Person / Tag bei 2,96; diese Wege dauern etwa 21 Minuten und haben eine Entfernung von knapp sieben Kilometern. Pro Person / Tag ergibt sich hieraus eine Unterwegszeit von 65 Minuten und eine Entfernung von knapp 21 Kilometern (nur Alltags-Mobilität).

Man könnte die Verkehrsmittelwahl also auf Basis der Wege, der Dauer oder der Entfernung darstellen. Und immer dann, wenn es verschiedene Formen der Darstellung eines Sachverhaltes gibt, hat jede dieser Varianten ihre Berechtigung. Man muss also wissen, was man aussagen möchte um die geeignete Variante zu finden.

Die Wege-Variante beschreibt wie viele unserer aushäusigen Aktivitäten mit welchem Verkehrsmittel erreicht wurden. Dies ist bei dem hier skizzierten Mobilitätsverständnis die naheliegende Variante.

Die Dauer-bezogene Betrachtung gibt uns Hinweise, wie viel Zeit wir mit einzelnen Verkehrsmitteln (HVM) unterwegs sind. Sie wird in der Unfallforschung angewendet. Dies folgt der Überlegung, dass das Risiko, mit einem bestimmten Verkehrsmittel zu verunglücken, davon abhängt, wie viel Zeit wir mit diesem Verkehrsmittel im Verkehr zubringen.

Und die Entfernungs-bezogene Darstellung gibt Aufschluss über die sog. „Verkehrsleistung“. Diese Größe hilft bei der Kapazitätsplanung oder der Bestimmung der Belastungen. Jede dieser Varianten – das ist die zweite Herausforderung – hat ihre besonderen Liebhaber und – richtig angewendet – ihre Berechtigung. „Richtig“ oder „falsch“ ist keine.

Wege-Etappen

Die dritte Herausforderung bei der Betrachtung der Verkehrsmittel hat mit den oben geschilderten Wege-Etappen zu tun. Wir nutzen bei unseren Wegen im Schnitt 1,58 Verkehrsmittel und jeder Weg besteht aus 2,03 Etappen (alle Etappen ohne Entfernungsbegrenzung).

Man könnte also die Verkehrsmittelwahl auch für alle genutzten Verkehrsmittel oder für alle Etappen ausweisen. Dann wäre die Bestimmung eines HVM nicht mehr nötig. Sofort zeigt sich die überragende Bedeutung der Fußwege, denn gerade da wirken sich die Folgen der HVM-Bestimmung über die Verkehrsmittel-Hierarchie besonders aus.

Man könnte sich jetzt die Frage stellen, warum Mobilitäts-Erhebungen nicht immer auf Etappenbasis durchgeführt werden (denn ein HVM kann man dann immer noch bestimmen). Diese Überlegung ist sehr berechtigt und die Antwort hat nichts mit Inhalt oder Konzept zu tun, sondern ist ganz pragmatisch.

Für eine seriöse Etappen-Erhebung muss man nämlich etwa den doppelten Aufwand im Vergleich zu einer „normalen“ Mobilitäts-Erhebung ansetzen. Und das betrifft nicht nur die Kosten sondern auch den konzeptionellen und organisatorischen Aufwand. Wenn man sich diese Mühe aber macht, wird man reich belohnt. Dann zeigt sich nämlich, dass wir ein gutes Fünftel unseres täglichen Mobilitäts-Zeitbudgets für Etappen benötigen. Diese Etappen (die 14 Minuten dauern) werden bei „normalen“ Auswertungen zur Mobilität einzelnen Verkehrsmitteln zugeschlagen, weil dort die Dauer und Entfernung in der Regel „von Tür-zu-Tür“ bestimmt werden.

Den auffälligsten Effekt hiervon sehen wir bei den Fußwegen. Die Zeit, die wir „als Fußgänger“ unterwegs sind, wird durch Fuß- und Warte-Etappen mehr als verdoppelt.

Partizipation

Auswertungen zur Mobilität / Verkehrsmittelwahl werden traditionell auf Wegebasis durchgeführt. Das macht zwar Sinn, führt aber manchmal auch zu Verwechslungen (z. B. dass 13 % aller Menschen Fahrrad fahren und nicht 13 % aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden).

Man kann aber auch die Mobilität auf Personen-Basis darstellen. Das nennt man dann Partizipation. Eine Partizipationsgruppe haben wir schon kennengelernt (und sie erschien uns ganz logisch): Die Mobilen oder – in diesem Jargon – die „Partizipationsgruppe Außer-Haus“. Das sind alle Menschen, die an einem durchschnittlichen Tag des Jahres an der Mobilität teilnehmen. Genauso kann man die Partizipation mit dem Fahrrad oder einem anderen Verkehrsmittel bestimmen (hier: HVM).

Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass man mobil sein muss um einer Verkehrsmittel-Partizipationsgruppe anzugehören und es zeigt sich, dass unsere Stadt-Bewohner(innen) im Schnitt 1,33 Verkehrsmittel (als HVM) nutzen, sofern sie unterwegs sind.

In der Markt- und Meinungsforschung, die sich traditionell mit Personen (und nicht mit Wegen) befasst, wird die Verkehrsmittelwahl gerne auf Personen-Ebene dargestellt. Dazu wird erfragt, wie oft ein bestimmtes Verkehrsmittel genutzt wird (z. B. „jeden oder fast jeden Tag, mehrmals pro Woche, pro Monat etc.). Diese Form der Abfrage erscheint einfach ist aber voller Tücken. Darüber werden wir in Bälde berichten.

Werner Brög

In Kürze

Unsere Alltags-Mobilität ist nicht kompliziert und ist uns sehr vertraut. Dennoch gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Beschreibung. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Verkehrsmittelwahl. Gleichwohl hat jede der gezeigten Varianten ihre jeweils spezifische Berechtigung. Schnelle Urteile über „richtig“ oder „falsch“ sollte man deshalb meiden.

Weitere Hinweise zur Methodik:

Werner Brög: Surveys on daily mobility are not „surveys to go“ (Plenary paper).10th International Conference on Transport Survey Methods, 2014 in Leura, Australia

 

Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2015, erschienen. 

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.