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Städte und Kommunen suchen nach neuen Möglichkeiten Radverkehr zu unterstützen. Eine Möglichkeit stellen Piktogrammketten dar, deren Umsetzung in Deutschland im Rahmen eines Forschungsprojektes begleitet und deren Wirkung untersucht wurden.

Ausgangslage und Ziel

Immer wieder müssen sich Radfahrende auf Hauptverkehrsstraßen (HVS) den vorhandenen Platz mit Kraftfahrzeugen (Kfz) auf der Fahrbahn teilen, da der Straßenraum für eine getrennte Führung nicht ausreicht und keine alternativen Routen vorhanden sind. Zudem gibt es Strecken, auf denen sich im Seitenraum ein nicht (mehr) benutzungspflichtiger Radweg befindet oder der Gehweg für Radfahrende freigegeben ist. Insbesondere auf solchen Strecken kann es vorkommen, dass Kfz-Fahrende nicht mit Radfahrenden auf der Fahrbahn rechnen und sich dieses Akzeptanzproblem auch im Fahrstil der Kfz-Fahrenden widerspiegelt.

Radfahrende nutzen zudem oft subjektiv als sicherer empfundene Radwege oder auch Gehwege, da sie die Nutzung der Fahrbahn als unsicher einschätzen oder, wie auch Kfz-Fahrende, Unterschiede in der Benutzungspflicht nicht kennen. Dies führt neben Konflikten auf der Fahrbahn auch zu Konflikten mit zu Fuß Gehenden im Seitenraum.

Rad-Piktogramme werden daher u.a. im Zusammenhang mit der Aufhebung der Benutzungspflicht von Radwegen angewendet oder in Straßenräumen umgesetzt, in denen regelkonforme Radverkehrsanlagen aufgrund zu geringer Straßenbreiten nicht angeordnet werden können.

Unter dem Begriff Rad-Piktogramm bzw. Fahrrad-Piktogramm ist das Sinnbild „Radverkehr“ gemäß Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zu verstehen. Durch das Aufbringen dieses Sinnbildes in regelmäßigen Abständen auf die Fahrbahn entstehen sogenannte Piktogrammketten, die durch Pfeil-Elemente ergänzt sein können.

Die Nutzung von Piktogrammketten hat das Ziel, die vorhandene Führungsform „Mischverkehr“ zu unterstützen, indem die Präsenz und die Rechte von Radfahrenden verdeutlicht werden, wobei das gegenseitige Miteinander und die Visualisierung wichtiger Radrouten im Vordergrund stehen. Die Nutzung und Ausführung der Piktogramme ist in Bezug zur StVO stark umstritten.

Im Rahmen des Forschungsprojektes „Radfahren bei beengten Verhältnissen – Wirkung von Piktogrammen und Hinweisschildern auf Fahrverhalten und Verkehrssicherheit“, gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020, wurde untersucht, unter welchen Rahmenbedingungen Piktogrammketten sinnvoll sind, wie sie ausgestaltet werden können und wie die Umsetzung und Akzeptanz durch Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden kann. (Koppers et al. 2021)

Methodisches Vorgehen

An den 20 Untersuchungsstrecken wurden insbesondere Videobeobachtungen durchgeführt, die hinsichtlich des Verkehrsverhalten (u.a. zur Raumnutzung, Fahrlinien und Interaktionen) analysiert wurden.

Neben der Verkehrsverhaltensanalyse wurden u.a. Unfallanalysen und Vor-Ort-Befragungen zum subjektiven Erleben durchgeführt.

Erkenntnisse und abgeleitete Empfehlungen

Die Untersuchung konnte zeigen, dass Piktogrammketten eine Maßnahme sind, um insbesondere die Akzeptanz des Mischverkehrs auf HVS zu erhöhen, Seitenraumnutzungen zu reduzieren und Routen im Radverkehr zu verdeutlichen. Die vor Ort befragten Rad- und Kfz-Fahrenden nahmen die Interaktionen miteinander nach der Maßnahmenumsetzung als angenehmer wahr; zudem fühlten sich die Befragten signifikant sicherer. Insbesondere im Mischverkehr beeinflussen die Piktogramme Regelwissen, Einstellungen und Verhalten der Verkehrsteilnehmenden.

Die Piktogrammketten bieten sich an, um Netzlücken zu schließen, wenn aufgrund von beengten Verhältnissen keine Radverkehrsanlagen umgesetzt werden können. Bei Flächenkonflikten sind zunächst alle Möglichkeiten zu prüfen, um regelkonforme Radverkehrsanlagen, z.B. Radfahrstreifen, anbieten zu können. Dies betrifft z. B. die Möglichkeit einer Verlagerung von Parkständen. Nur, wenn z.B. Liefer- und Lademöglichkeiten auf der Strecke nicht verlagert werden können oder Baumstandorte eine andere Flächenaufteilung verhindern und so keine Flächen für regelkonforme Radverkehrsanlagen gewonnen werden können, kommen Piktogrammketten in Frage.

Nach aktuellem Regelwerk sind für die Anordnung von Schutzstreifen Fahrbahnbreiten von 7,50 m ohne Parkstreifen notwendig. Da zurzeit darüber diskutiert wird, dass die Mindestbreite der Kernfahrbahn auf 5,00 m erhöht wird, um die Mitnutzung der Schutzstreifen durch Kfz zu reduzieren und dass Schutzstreifen wie auch Sicherheitstrennstreifen breiter sein müssten, um die Sicherheit zu erhöhen (vgl. Richter et al. 2019), sind die Einsatzbereiche ggf. auszuweiten.

Um zu vermeiden, dass Piktogrammketten im gesamten Haupt- und Erschließungsstraßennetz eingesetzt werden und somit zu einer Regel- und nicht Ausnahmelösung werden, sollte der Einsatzbereich begrenzt und beschränkt werden.

  • Das Erschließungsstraßennetz hat generell schmalere Fahrbahnen als HVS, die zulässige Geschwindigkeit beträgt oft 30 km/h und die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr stellt hier den Regelfall dar. Hier sollten keine Piktogrammketten zum Einsatz kommen.
  • Somit sollten Piktogrammketten nur auf HVS markiert werden,
    • die Routen im Basis- und Vorrangnetzes des Radverkehrs sind und
    • an denen keine alternative Radinfrastruktur vorhanden und umsetzbar ist.

Piktogrammketten bieten sich unter diesen Voraussetzungen insbesondere dort an, wo auf Mischverkehrsstrecken mit Führung im Mischverkehr eine hohe Nutzung des Seitenraums durch Radfahrende zu beobachten ist. Besonders an Strecken mit nicht benutzungspflichtigen Radwegen liegt eine hohe Seitenraumnutzung vor, die durch Piktogrammketten jedoch kaum verändert wird.

Vor Einsatz der Piktogrammketten sollten die Belastungsbereiche und entsprechenden Führungsempfehlungen der ERA (FGSV 2010) unbedingt beachtet werden und die Umsetzbarkeit von Radinfrastruktur (z. B. Schutzstreifen oder Radfahrstreifen) zuerst geprüft werden. Hierfür ist es sinnvoll, zunächst Geschwindigkeitsmessungen und eine Zählung des Rad- und Kfz-Verkehrs durchzuführen, um eine aktuelle Übersicht der Verkehrsbelastungen und der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten als Entscheidungsgrundlage zu haben.

Die Analyse der Kfz-Geschwindigkeit im Projekt hat gezeigt, dass sich diese durch die Piktogrammketten an einem Großteil der Strecken nur tendenziell verringerte. An Strecken mit erhöhtem Geschwindigkeitsniveau sind weitere Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduzierung zu prüfen.

Um die Geschwindigkeiten von Kfz- und Radfahrenden zu harmonisieren und eine höhere Sicherheit und Akzeptanz im Mischverkehr zu erreichen, empfiehlt sich eine Kombination der Piktogrammketten mit einer Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h (vgl. auch Empfehlungen nach Richter et al. 2019). Da sich die Maßnahmen auf Strecken innerhalb des Radnetzes beschränken und die Sicherheit und Attraktivität des umweltfreundlichen Radverkehrs zum Ziel haben, scheint diese Einschränkung auch auf HVS hinnehmbar.

Hinsichtlich der Größe der Rad-Piktogramme wird eine Ausführung nach den Richtlinien für die Markierung von Straßen - RMS (FGSV 1995) empfohlen (sh. Abbildung ). Damit sich Piktogrammketten auf der Fahrbahn von Rad-Piktogrammen auf Schutzstreifen und Radfahrstreifen abgrenzen, wird eine Kombination mit einem Pfeilelement als zielführend angesehen. Hierbei wird der Winkelpfeil favorisiert, da bei diesem die Gefahr einer Verwechslung mit einem Richtungspfeil geringer ist. Diese Kombination unterstützt zudem auch die Visualisierung der Routenführung der jeweiligen Strecke im Radnetz bei fehlender Radinfrastruktur und wechselnden Führungsformen. Diese Art der Markierung ist in der aktuellen Straßenverkehrs-Ordnung bisher nicht vorgesehen und müsste daher im Rahmen einer Novelle geprüft werden.

Nach Schüller et al. (2020) stellen der ruhende Verkehr und damit verbundene Dooring-Unfälle eine wesentliche Unfallursache dar. Daher sollten die Piktogramme in ausreichendem Abstand zu Parkständen aufgebracht werden. Die Lage der Piktogramme sollte einen sicheren Bereich kennzeichnen und zu nahes Vorbeifahren an Parkstreifen nicht unterstützen. Daher wird für die Positionierung auf dem Fahrstreifen die in Abbildung ungefähr mittige Anordnung empfohlen. Der rechte Piktogramm-Rand sollte einen Abstand von 1,25 m vom Fahrbahnrand ohne Parkstände bzw. mindestens 1,00 m Abstand zzgl. 0,75 m Sicherheitstrennstreifen von Parkständen aufweisen. Bei den angegebenen Abständen ist berücksichtigt, dass – wie die Untersuchung gezeigt hat – Radfahrende tendenziell eher rechts neben den Piktogrammen fahren.

Abbildung 2: Empfehlung zur Ausführung der Piktogramme
Abbildung 1: Empfehlung zur Ausführung der Piktogramme

Eine Markierung der Piktogramme rechts am Fahrbahnrand wird nicht empfohlen, da hiermit suggeriert wird,

  • dass im Fahrstreifen oder mit Gegenverkehr in ausreichendem Abstand überholt werden könnte und
  • dass Radfahrende bei bestehenden Parkstreifen nah am Fahrbahnrand fahren sollen, womit sie in der Dooring-Zone fahren würden.

Wird jedoch das Piktogramm (fast) mittig im Fahrstreifen markiert, werden Radfahrende ermutigt, außerhalb der Dooring-Zone zu fahren und den Kfz-Fahrenden wird verdeutlicht, dass nur durch Nutzung des anderen Fahrstreifens überholt werden kann. Ein weiterer positiver Effekt ist hierbei, dass die Piktogramme in der Regel nicht vom Kfz-Verkehr überfahren werden und sich somit der Unterhaltungsaufwand verringert.

Aktuell wird das Rechtsfahrgebot nach StVO §2 für Radfahrende oft so ausgelegt, dass diese nicht mittig auf einem Fahrstreifen fahren dürften und eine Piktogramm-Markierung somit auch nicht mittig auf einem Fahrstreifen aufgebracht werden dürfte. Da bei den für Piktogrammketten empfohlenen Fahrbahnbreiten ein Überholen des Radverkehrs durch Kfz nur durch Inanspruchnahme der Gegenspur möglich ist, wird der nachfolgende und auch der entgegenkommende Verkehr durch mittig auf dem Fahrstreifen fahrende Radfahrende nicht weiter beeinträchtigt. Eine Unterstützung einer sicheren Fahrweise (mit ausreichendem Abstand zum ruhenden Verkehr) könnte durch eine Konkretisierung des Rechtsfahrgebots für Radfahrende in der StVO bzw. VwV-StVO herbeigeführt werden.

Im Hinblick auf den Abstand der Piktogramme zueinander wird ein Wert zwischen 25 und 50 m empfohlen. Größere Abstände sind nicht zu empfehlen, da die „Kettenwirkung“ ggf. verloren geht. Dies ist insbesondere bei hohen Verkehrsstärken wichtig, da die Piktogramme bei dichter Fahrzeugfolge vom jeweils vorausfahrenden Fahrzeug verdeckt werden können. In diesem Fall können auch geringere Abstände zwischen den Piktogrammen sinnvoll sein. Weiterhin wird losgelöst vom regelmäßigen Abstand der Piktogramme im Streckenverlauf empfohlen, das Piktogramm an jeder Einmündung oder Kreuzung aufzubringen, damit der einbiegende Verkehr unmittelbar auf Radfahrende auf der Strecke aufmerksam gemacht wird.

Begleitende Öffentlichkeitsarbeit

Im Rahmen des Projektes erfolgte ebenfalls eine Analyse der Öffentlichkeitsarbeit, aus der folgende Empfehlungen abgeleitet werden können:

  • Pressemitteilungen zu den umgesetzten Maßnahmen sollten möglichst breit und angepasst an die jeweilige Zielgruppe gestreut werden,
  • Politik, Verbände und AnwohnerInnen sollten rechtzeitig über die geplante Umsetzung informiert werden,
  • die Informationen sind regelmäßig zu wiederholen,
  • zur Steigerung der Akzeptanz der Maßnahmen sollte auf die Gründe für die Umsetzung eingegangen werden,
  • es sollten nicht nur Vorteile für Radfahrende durch eine Verdeutlichung ihres Rechts und für Kfz-Fahrende durch eine Hinweisfunktion auf Radfahrende, sondern auch Vorteile für zu Fuß Gehende benannt werden.

In Kürze

Untersuchungen des Verkehrsverhaltens an Strecken mit Piktogrammketten zeigen, dass insbesondere die Fahrbahnnutzung erhöht und Konflikte im Seitenraum reduziert werden können. Piktogrammketten können somit dazu beitragen, das Verkehrsklima und die subjektive Sicherheit zu verbessern und den Radverkehr zu fördern, wo keine Radinfrastruktur umsetzbar ist.

Quellen:

Koppers, A.; Ruf, S., Gerlach, J.; Leven, T.; Hagemeister, C (2021): Radfahren bei beengten Verhältnissen – Wirkung von Piktogrammen und Hinweisschildern auf Fahrverhalten und Verkehrssicherheit, Abschlussbericht, Verfügbar unter www.svpt.uni-wuppertal.de/de/home/forschung/projekte/radfahren-bei-beengten-verhaeltnissen.html

Richter, T.; Beyer, O.; Ortlepp, J.; Schreiber, M. (2019): Sicherheit und Nutzbarkeit markierter Radverkehrsführungen, Unfallforschung der Versicherer, Bd. 59.

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) (Hrsg.) (1980, Berichtigter Nachdruck 1995): Richtlinien für die Markierung von Straßen. RMS, Teil 2, Köln: FGSV-Verlag

Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.). (2010): Empfehlungen für Radverkehrsanlagen. ERA, Köln: FGSV-Verlag

BMVBS (Stand 2020): Straßenverkehrs-Ordnung, StVO.

Schüller, H.; Plesker, M.; Bärwolff, M. (2020). Unfallrisiko Parken für schwächere Verkehrsteilnehmer, Unfallforschung der Versicherer, Bd. 66.

 

Dieser Artikel von Anne Koppers, Tanja Leven [Lehr- und Forschungsgebiet Straßenverkehrsplanung Bergische Universität Wuppertal] und Stefanie Ruf [Professur Diagnostik und Intervention TU Dresden] ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2021, erschienen.

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