Im Rahmen des Projekts „GEHsund – Städtevergleich Fußverkehr“ wurde erstmals die Fußgängerfreundlichkeit Schweizer Städte untersucht. Die Beurteilung erfolgte in drei Teilprojekten, einem Fußverkehrstest (Infrastrukturbewertung), einer Onlinebefragung zur Zufriedenheit der Bevölkerung und einer Beurteilung der städtischen Aktivitäten zur Förderung des Fußverkehrs in der Planungspraxis. Projektträger waren umverkehR, Fußverkehr Schweiz und die Hochschule Rapperswil. Das Projekt wurde von den beteiligten Städten und verschiedenen Stiftungen finanziell unterstützt.
Bisher gab es in der Schweiz keine Umfragen oder Erhebungen zur Qualität der Fußverkehrsinfrastruktur. Unbekannt war, wie es in den Schweizer Städten um den Fußverkehr bestellt ist: wo liegen spezifische Qualitäten, wo bestehen Mängel? Über systematische Schwachstellenanalysen im Fußverkehr verfügen die wenigsten Gemeinden.
Hier ist der erste Ansatzpunkt: mit dem Fußverkehrstest wird die Qualität der Infrastruktur bewertet. Als zweites wird in Form einer Onlineumfrage die Zufriedenheit der Bevölkerung im Bereich Fußverkehr erhoben. Das dritte Paket im Städtevergleich umfasst unter dem Titel „Planungspraxis“ eine Auswertung, wie in der jeweiligen Stadtverwaltung und in der Stadtpolitik mit dem Thema Fußverkehr umgegangen wird. Ziel des Städtevergleichs ist es, im Zusammenzug dieser drei Teile stadtbezogene Aussagen zur Qualität des Fußverkehrs machen zu können. Diese Qualitätsaussagen werden in Form eines Rankings unter den Städten verglichen. Das Hauptziel dabei ist nicht nur, herauszufinden, in welcher Stadt es besser oder schlechter bestellt ist um den Fußverkehr, sondern durch das Ranking Anreize zur Verbesserung zu setzen und durch die Bewertung aufzuzeigen, wo genau welche Mängel behoben werden müssten. Pro Stadt werden in Form von Faktenblättern Stärken und Defizite aufgezeigt.
Im Rahmen von Begehungen auf ausgewählten Routen wurden die Elemente des Fußverkehrsnetzes nach einem zuvor festgelegten Kriterienkatalog bewertet. Quervergleiche sind sowohl zwischen den Netzelementen als auch zwischen den Städten möglich.
Netzelemente sind:
Bei den Streckenelementen werden folgende Typen unterschieden:
Bei den Querungen werden drei Typen unterschieden:
Bei den Flächen und Haltestellen gibt es keine Untertypen.
Wegen der Vielfalt der Ansprüche waren entsprechend viele Kriterien in der Bewertung zu berücksichtigen. Der Bewertungskatalog umfasst je Element zwischen 13 und 23 Einzelkriterien. Enthalten sind sowohl quantitative Fakten (z. B. Trottoirbreiten) als auch qualitative Momenteindrücke zum Beispiel hinsichtlich der Beurteilung von Konflikten. Für alle Kriterien sind Mess- oder Einschätzungsgrößen definiert, deren Erfüllungsgrad mit einem dreistufigen Punktesystem bewertet wurde. Für jedes Netzelement kann dann angegeben werden, zu wieviel Prozent die Anforderungen erfüllt sind.
Die Erhebung selbst erfolgt mithilfe einer GIS-Applikation, bei welcher die mit Mobiltelefon oder Tablet erhobenen Informationen direkt auf einer zentralen Datenbank abgelegt werden.
Mit der Bevölkerungsumfrage wurde das subjektive Empfinden der Bevölkerung hinsichtlich der Fußverkehrssituation in ihrer Stadt abgefragt. Der Fragebogen umfasste rund 80 Fragen zu folgenden Themen:
Die Auswertung wurde in die fünf Themenblöcke Fußwegnetz, Infrastruktur, Wohlbefinden, Verkehrsklima und Politik gegliedert, welche mit gleichem Gewicht in die Gesamtbeurteilung einflossen.
Für die 16 am Vergleich beteiligten Städte wurden insgesamt 4068 ausgefüllte Fragebögen eingeholt. Die Zufriedenheit der ZuFußgehenden in der Schweiz wurde mit dieser Umfrage erstmals in diesem Detaillierungsgrad erhoben. Die Umfrage wurde grundsätzlich positiv aufgenommen.
Mittels 60 festgelegter Indikatoren wurden Zielsetzungen, Maßnahmenplanungen und Umsetzung in der Planungspraxis im Bereich Fußverkehr analysiert und bewertet.
Dazu wurden folgende Quellen herangezogen:
Es wurde erhoben, was die Stadt in den letzten Jahren umgesetzt hat und welche Aktivitäten beschlossen sind. Die Bewertung der 60 Indikatoren wurde in folgende fünf Bereiche unterteilt:
Das gesammelte Material (Grundlagen, Webseite, Interviewantworten, Statistiken) bildete die Basis für die Bewertung. Pro Indikator wird jeweils eine Punktzahl von 1 bis max. 3 Punkte vergeben. In jedem der 5 Bereiche wird der Erfüllungsgrad in Prozent ermittelt.
Im Mittel des Gesamtergebnisses wurden die Anforderungen zu 61% erfüllt oder, umgekehrt formuliert, zu rund 40 % eben nicht. Der Städtevergleich zeigt den Umfang des Handlungsbedarfes im Fußverkehr auf und bestätigt, dass es in allen drei untersuchten Bereichen noch viel zu tun gibt. Die Resultate erlauben, Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Der Fußverkehrstest bietet auch ohne flächendeckende Schwachstellenanalysen einen guten ersten Ansatzpunkt zur Qualitätsverbesserung. So wurde u.a. deutlich, dass vielerorts die Anforderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes noch nicht erfüllt sind, auch an den Haltestellen. Zu geringe Trottoirbreiten, zu lange Wartezeiten beim Queren und fehlende taktile Elemente an Querungen waren weitere Auffälligkeiten.
Es zeigte sich, dass eine Diskrepanz zwischen den Zielsetzungen im Fußverkehr und den dafür vorgesehenen personellen und finanziellen Ressourcen besteht. Es gibt noch kaum Fußverkehrsfachstellen und es gibt noch keine Strukturen zum fachlichen Austausch zwischen den Städten. Es fehlt an Konzepten mit genügender Konkretisierung. Wirkungskontrollen von Maßnahmen im Fußverkehr existieren fast nirgendwo.
Nicht nur in der Umfrage, sondern in allen drei Teilen des Städtevergleichs wurde deutlich, dass Mischverkehrslösungen von Fuß- und Veloverkehr im städtischen Raum weder räumlich geeignet sind noch auf Akzeptanz stossen (Zufriedenheitswerte unter 40 %).
Trottoirbreiten liegen gemäss Fußverkehrstest oft deutlich unterhalb der Norm. Vor allem in Quartierstraßen, aber auch entlang von Hauptstraßen waren die Bewertungen bei diesem Aspekt tief.
Wartezeiten werden von den ZuFußgehenden als nachteilig empfunden. Gerade die Wartezeit bei sogenannten „Bettelampeln“ entspricht keinesfalls den Anforderungen. Aber auch bei Ampeln ohne Grünanforderung liegen die durchschnittlichen Bewertungen kaum über 50
Temporeduktionen im Fahrverkehrs und Entwicklung von Fußgänger und Begegnungszonen war ein in der Zufriedenheitsumfrage oft deponiertes Bedürfnis. Eine Auswertung der Verkehrsunfallstatistik zeigt im Bereich Planungspraxis zudem: Je höher der Anteil an Straßen mit Tempo 20 und 30 ist, desto weniger Fußgängerunfälle werden gezählt.
Fachstellen für den Fußverkehr sind nach wie vor äußerst rar oder unterdotiert. Nötig ist eine Fachstelle oder eine für den Fußverkehr beauftragte Person, welche über ein Pflichtenheft verfügt, bei Gesamtverkehrsplanungen beigezogen wird, aber auch eigene Projekte lancieren kann und mit einem entsprechenden Budget ausgestattet ist.
Das Projekt zeigt zum ersten Mal in dieser Form auf, wo in den Schweizer Städten im Bereich Fußverkehr Schwächen bestehen und Optimierungspotenzial brachliegt, mit dem die Fußfreundlichkeit erhöht werden kann. Für die beteiligten Städte bieten die Ergebnisse eine gute Grundlage, um Verbesserungen anzugehen.
Gehl, Jan: Project for Public Spaces, A Handbook for Creating Successful Public Spaces, New York 2005
VSS-Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute, SN 640 070 Fußgängerverkehr, Grundnorm, Zürich 2009
Verkehrsclub Deutschland (VCD): VCD Städtecheck- Sicherheit von Fußgängerinnen und Fußgängern, Bonn 2014
Fußverkehr Schweiz: Fußverkehrs-Check in den Kommunen, Beispiele aus der Schweiz, Zürich 2015
Land Baden-Württemberg, Ministerium für Verkehr Fußverkehrs-Checks, Leitfaden zur Durchführung, Stuttgart 2016
Bundesamt für Raumentwicklung (ARE): Externe Kosten und Nutzen des Verkehrs in der Schweiz, Bern 2018
Bundesamt für Strassen (Astra) : Schwachstellenanalyse und Massnahmenplanung Fußverkehr, Bern 2019
https://Fußverkehr.ch/Fußgaengerstadt
Dieser Artikel von Prof. Dipl.-Ing. Klaus Zweibrücken ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2020, erschienen.
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