Baustellen sind Störfälle im Wegenetz und vom menschlichen Körper weiß man, dass selbst kleinste Verengungen im Netz katastrophale Folgen haben können. Jedes Jahr geschehen in Deutschland etwa 2.300 Unfälle auf Innerortsstraßen bei denen - bei der durchaus nicht allumfassenden polizeilichen Erfassung - Baustellen als Problem angegeben wurden. Bei immerhin 85 % dieser Unfälle kommen Menschen zu Schaden.
Doch stellt die Verkehrsunsicherheit direkt an der Baustelle nur einen Teilaspekt dar. Nicht erfasst werden die Schädigungen, Gefährdungen oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbaren Behinderungen oder Belästigungen, die insbesondere Fußgängerinnen und Fußgänger hinzunehmen haben. Dies gilt in Baustellenbereichen, auf Umleitungen oder beim Versuch, die Baustellen ohne vorgegebene Wegeführung benutzen oder sie umgehen zu wollen. Was müsste geschehen, um die oftmals unzumutbaren Bedingungen für den Fußverkehr zu verbessern?
Das Recht steht auf Bürgers Seite: Das Bürgerliche Gesetzbuch BGB schützt das Leben gegen Fahrlässigkeit und durch die Wiener Straßenverkehrskonvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, „keine Vorrichtungen oder Geräte“ auf Gehwegen zu dulden, „die den Fußgängerverkehr, insbesondere ältere und behinderte Personen, unnötig beeinträchtigen“. 1994 wurde das sogenannte Diskriminierungsverbot ins Grundgesetz GG aufgenommen, 2002 trat das Behindertengleichstellungsgesetz BGG in Kraft, in dem auch die Herstellung von Barrierefreiheit im Bereich Verkehr geregelt ist. Nach der Straßenverkehrs-Ordnung StVO darf niemand „mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt“ werden.
Kommen wir also zu den „Umständen“. Als eine vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eingeführte Rechtsverordnung gibt die StVO auch Vorgaben für Baustellensicherungen. Die Verwaltungsvorschrift der StVO schreibt vor, dass „die Sicherung von Arbeitsstellen und der Einsatz von Absperrgeräten [...] nach den Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) [erfolgt]“. In dieser wird hervorgehoben, dass dem Fußgängerverkehr „besondere Sorgfalt zu widmen.“ ist. So darf „die Sicherheit der Fußgänger und Radfahrer im Bereich von Arbeitsstellen nicht beeinträchtigt werden. Auf Sehbehinderte (Blinde), Rollstuhlfahrer und Kinder ist besondere Rücksicht zu nehmen. Geh- und Radwege sind nach Möglichkeit weiterzuführen, ggf. über Notwege [z.B. Park- oder Fahrstreifen auf der gleichen Straßenseite]. Ist dies nicht möglich, so ist die Einrichtung von Überquerungshilfen (z.B. Fußgängerüberweg) zu prüfen und ggf. anzuordnen.“
Als Schnupperkurs nur einige Aussagen über die Absperreinrichtungen: Mobile Absturzsicherungen sind auf Gehwegen nur „bei Arbeitsstellen von kürzerer Dauer [z.B. ein Arbeitstag] im Bereich von Schachtzügen oder ähnlich kleinflächigen Öffnungen“ zulässig. Fakt ist, die Bürgersteige stehen mittlerweile längerfristig voll von diesen Kunststoff-Teilen. Eigentlich müssen grundsätzlich bei allen Längs- oder Querabsperrungen Absperrschranken (waagerecht mit senkrechter Rot-weiß-Markierung) zum Einsatz kommen. Die Gesamthöhe einer Absturzsicherung muss mindestens 1,00 Meter betragen. Dabei richtet sich die Höhe der Absperrschrankenblätter nach der Aufgrabungstiefe der Arbeitsstelle: Bei einer Absturztiefe bis zu 0,60 Meter müssen die Blätter eine Bauhöhe von mindestens 0,10 Meter, bei einer Absturztiefe von bis zu 1,25 Meter eine Höhe von mindestens 0,25 Meter aufweisen. Stahlrohre sind unzulässig… usw. Wer in einer Beschwerde Genaueres formulieren möchte, findet weitere Details auf der unten angegebenen Website.
Im Verteilungskampf um knappe Straßenflächen (fahren-parken, gehen-verweilen) hat die Gehwegbreite schon immer eine zentrale Rolle gespielt, was natürlich in einem besonderem Maße für Engstellen gilt. Grundsätzlich zu beachten ist dabei, dass auf Gehwegen, im Gegensatz zum Fahrverkehr, in der Regel beide Richtungen zusammengefasst sind und der Fußverkehr mittlerweile eine bunte Mischung von Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern darstellt. Die Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) beginnen mit „Gehwege […] sollen nach Möglichkeit in voller Breite im Arbeitsstellenbereich fortgeführt werden“ und endet mit der Feststellung, dass „bei verengten Verhältnissen“ eines Gehweges mit Gegenverkehr das Mindestmaß 1,00 Meter eingehalten werden „sollte“. Solcherart Formulierungen finden sich auch in allen anderen Regelwerken, sogar in den Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen EFA 2002. Dieses „sollte 1,00 m“ dürfte den meisten Baustellenleitungen bekannt sein.
Weniger bekannt dürfte sein, dass in der RSA auch differenzierte Angaben über die Mindestbreite von Fahrstreifen enthalten sind. Sie soll mindestens 2,75 Meter betragen, in kurzen Streckenabschnitten 2,60 Meter und kann beim Ausschluss von Schwerlast- und Bus-Verkehr auf 2,20 Meter reduziert werden. Obwohl angegeben wird, dass geringere Fahrgeschwindigkeiten zu geringeren Fahrstreifenbreiten führen, sind gleichzeitig Geschwindigkeitsbeschränkungen zum Zwecke der Platzeinsparung ausdrücklich nicht vorgesehen.
(1) Wie beim illegalen Parken auf Gehwegen ist die Einhaltung von Regeln ohne Überprüfungen und eine regelmäßige Überwachung nicht zu erreichen. Regelwerke werden zu Makulatur, wenn sich z.B. die Polizistin oder der Polizist vor Ort für Behinderungen des Fußverkehrs als „nicht zuständig“ erklärt.
(2) Letztlich müssen die Bürgerinnen und Bürger deshalb z.B. durch Anzeigen von Behinderungen daran mitwirken, Verkehrsunfälle zu vermeiden.
(3) Es ist davon auszugehen, dass Nutzerinnen und Nutzer der Baustellen-Regelwerke nicht unbedingt auch die anderen Straßenbau-Regelwerke zur Hand haben. Deshalb sind Maßangaben und auch andere baustellenrelevanten Aussagen anzugleichen oder entsprechend in die „Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen RSA“ aufzunehmen.
(4) Der Gefahr des Unterlaufens oder Hindurchfallens von Kindern an seitlichen Absperreinrichtungen ist grundsätzlich durch die Vorschrift zum Einbau eines Zwischenholmes entgegen zu wirken.
(5) Eine Reduzierung der regulären Mindestgehwegbreite von 2,20 auf 1,70 Meter in Baustellenbereichen wird für vertretbar gehalten, um zumindest auch eine Begegnung von zwei Rollstuhlfahrern zu ermöglichen. Nur bei sehr kurzen Baustellen-Umgehungen z.B. in einer Grundstückslänge von bis zu 15 Metern wird eine Reduzierung auf 1,30 als akzeptabel angesehen.
(6) Aufgrund der Körpergrößenentwicklung in der Bevölkerung ist eine Verminderung einer Mindest-Durchgangshöhe von unter 2,25 Metern nicht mehr zeitgemäß.
(7) Das verminderte Lichtraumprofil muss für den Durchgang von Fußgängerinnen und Fußgängern in beiden Richtungen absolut freigehalten werden. Auf jeden Fall müssen auch die Aufstellfüße der Absperrungen und andere Flächeneinschränkungen bei der Planung berücksichtigt werden, denn auch sie können den Bewegungsraum für den Fußverkehr erheblich einschränken.
(8) Eine gemeinsame Führung von Geh- und Radverkehr in beiden Richtungen kann unter den Bedingungen einer Reduzierung der Breiten in Baustellenbereichen nicht akzeptiert werden. Laut Straßenverkehrs-Ordnung und Straßenbau-Regelwerken sind gemeinsame Geh- und Radwege auch unter weniger beengten Verhältnissen eine Ausnahmeregelung, die ganz bestimmte Kriterien erfüllen muss.
(9) Es muss selbstverständlich überprüft werden, ob das Verkehrsaufkommen des Kraftfahrzeug- und Fahrradverkehrs auch auf weniger Fahrstreifen abzuwickeln ist.
(10) Darüber hinaus muss die Verminderung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit neben Baustellen unabhängig von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor und nach der Baustelle und auch zum Zweck der Flächenersparnis ermöglicht werden.
(11) Für die Praktiker muss deutlicher herausgearbeitet werden, welche Faktoren bei der Festlegung der Wegebreiten aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer eine Rolle spielen. Es geht nicht an, automatisch zu allererst die Mindest-Gehwegbreite von 1,00 Meter festzulegen und die verbleibende Restbreite dem Kraftfahrzeugverkehr für Parkplätze oder Fahrstreifen zuzuordnen.
(12) Die Sichtbeziehungen sind im Baustellen-Regelwerk bisher nicht behandelt, aber in anderen Regelwerken enthalten. Es ist auch hier deutlicher darauf hinzuweisen und zu wirken, dass es keinerlei Verdeckung der Sicht an den Enden der Baustellen-Umgehungen geben darf. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn Baustellen-Umgehungen in Kreuzungs- oder Einmündungsbereichen beginnen oder enden.
(13) Obwohl die Umweg-Bereitschaft bereits ab 50 Metern abnimmt, ist den Fußgängern bei Engpässen ebenfalls mehr abzuverlangen. Doch sollte auch in den Richtlinien deutlich verankert werden, dass man auf verträgliche Umwege achten und versuchen sollte, Umwege auf höchstens 150 Meter zu begrenzen.
(14) Für den Fall, dass eine Wegeführung nach Prüfung aller möglichen Einschränkungen (Reduzierung der Fahrstreifen, verminderte Fahrstreifenbreiten, heruntersetzen der Geschwindigkeit, herausnehmen der Park- und Haltemöglichkeiten, Reduzierung der Gehwegbreite) auf der gleichen Straßenseite nicht möglich ist, muss ein Wegenetzplan vorgeschrieben werden. Dieser muss die Umwegelängen und auch konkrete Angaben über die notwendigen Maßnahmen (Bordsteinabsenkungen, Querungsanlagen, etc.) beinhalten. Es muss eine Prüfung vorhandener und eine Absicherung eventuell neuer notwendiger Querungsstellen erfolgen und nachgewiesen werden.
(15) Häufig werden Umleitungen angezeigt, ohne dass es eine entsprechende Wegeführung oder Ersatzmaßnahme gibt. Ein Schild „Fußgänger andere Straßenseite benutzen“ darf nicht aufgestellt werden, ohne eine entsprechende Wegeführung, ggf. mit Querungsanlage.
In den letzten Jahren kamen mobile Absturzsicherungen aus Kunststoff auf den Markt. Es setzte eine Flut von schnell und oftmals unbedacht aufgestellten Absturzsicherungen ein. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hier ein Wirtschaftszweig die verantwortlichen Genehmigungsbehörden überrollt hat.
Weil der Mensch offensichtlich gerne rechtwinklig plant und auch, weil die meisten Skizzen und Fotos in den Regelwerken Praxisleitfäden (häufig der Herstellerfirmen) dies so zeigen, werden die z.B. 2,10 Meter langen „mobilen Absturzsicherungen“ sehr häufig quer zum Gehweg aufgestellt. Damit ist der Gehweg erst einmal gesperrt, egal, ob diese Fläche innerhalb der Arbeitsstelle benötigt wird oder auch nicht. Besser wäre es, durch Schrägaufstellung der mobilen Absturzsicherungen die Arbeitsstelle zu verlängern und damit eine annehmbare Durchgangsbreite für Fußgänger zu erreichen. Oder aber, kleinere Elemente für kleinere Wegebreiten herstellen zu lassen.
Vandalismus und Witterungskräfte tun ihr Übriges, um die aufgestellten Reihen mobiler Absturzsicherungen durcheinanderzuwirbeln. Nachteil der Kunststoff-Absperrungen ist ihr geringes Gewicht und ihre große Fläche, so dass die gewöhnlichen Fußplatten nicht ausreichen, gegen die hohe Windlast Stabilität zu garantieren. Dies setzt entweder einen engeren Zeitraum zwischen den Überwachungsterminen bei Verwendung mobiler Absturzsicherungen oder eine stabilere Bauweise voraus. Bereits bei der Planung müssen die Aufsichtsbehörden verlangen, dass im Verkehrszeichenplan erkennbar sein muss, wie die von der Baufirma genutzten Elemente dort stehen sollen. Dabei sind schon im Genehmigungsverfahren auch die Aufstellfüße anzugeben, meint der FUSS e.V.
Während die realen Proportionen und der notwendige Bewegungsraum von Menschen in den letzten Jahrzehnten in die Straßenbau-Regelwerken aufgenommen wurden, sind die Wegeführungen in Baustellenbereichen häufig nicht ausreichend dimensioniert und gestaltet. Im Sinne der notwendigen barrierefreien Verkehrswegeführung mit zusammenhängenden Fußwegenetzen ist ein besonderes Augenmerk gerade auf deren Störungsstellen zu legen. Dabei spielen neben den Querungsanlagen die Baustellen-Umgehungen eine wesentliche Rolle. Hier ist das Regelwerk unbedingt dem sogenannten „Stand der Technik“ anzupassen, vor Ort umzusetzen und zu überwachen.
Baustellen sind nicht nur dafür da, Löcher im Straßenbelag zu flicken. Sie sind häufig auch Stol-perfallen und Löcher im Wegenetz. FUSS e.V. unterbreitet hiermit einen Katalog von Vorschlägen zur Verbesserung der Situation.
Auf der FUSS e.V.-Website www.geh-recht.de > Fußverkehrsanlagen > Baustellen-Umgehungen finden Sie nicht nur die Quellenangaben zu diesem Beitrag, sondern einen ausführlichen Internet-Service zu dem Thema.
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBS: Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen RSA, Ausgabe 1995/2009 (4. überarbeitete Auflage 2001 mit zusätzlichen redaktionellen Hinweisen zur StVO und VwV-StVO vom September 2009). Bonn 2009
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk und Elisabeth Güth ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2013, erschienen.
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