Bei einem Großteil der Verkehrsunfälle kann die Missachtung von Verkehrsregeln als Unfallursache oder zumindest als mitwirkender Faktor des Unfalls betrachtet werden. Maßnahmen, die auf eine Erhöhung des Grades der Regelbefolgung abzielen, sind daher ein wesentliches Element von Strategien zur Erhöhung der Verkehrssicherheit auf Straßen.
Voraussetzung für die Ableitung von erfolgversprechenden Maßnahmen sind Kenntnisse der Unfallursachen von Verkehrsunfällen aber auch der geahndeten Verkehrsdelikte. Des Weiteren ist es notwendig, Akzeptanz und Wahrnehmung in der Bevölkerung zur Verkehrsregelung zu berücksichtigen. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat daher in einem interdisziplinären Forschungsprojekt untersuchen lassen, in welcher Korrespondenz Unfallgeschehen und Sanktionierung von Regelmissachtungen miteinander stehen und welche maßgebenden Faktoren die Regelbefolgung bzw. Regelübertretung von Verkehrsteilnehmern bestimmen.
In einer juristischen Betrachtung wird aufgezeigt, wie das bestehende Überwachungs- und Sanktionssystem verfassungsrechtlich und strafrechtlich zu bewerten ist.
Im Rahmen der Studie wurden rund 290.000 Unfallursachen bei Pkw-Unfällen mit Personen- oder schwerem Sachschaden U(P, SS) untersucht. Grundlage waren die Unfalldaten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) aus dem Jahr 2007, in denen das Fehlverhalten von Verkehrsteilnehmenden durch die von der Polizei festgestellten Unfallursachen (UUrs) beschrieben wird.
Aus den insgesamt 49 Nennungen im amtlichen Unfallursachenverzeichnis wurden 27 untersuchungsrelevante und personenbezogene Ursachen gefiltert und in Gruppen zusammengefasst (1):
Die Ergebnisse der Unfallursachenanalyse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die deutsche Gesetzeslage sieht eine Ahndung von Verkehrsdelikten nach dem Ordnungswidrigkeiten- oder dem Strafrecht vor, mit und ohne Nebenstrafen. Dabei werden die meisten Verkehrsverstöße als Ordnungswidrigkeiten verfolgt.
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) in Flensburg führt das Verkehrszentralregister, in dem unter anderem alle Delikte von Verkehrsteilnehmern erfasst werden, die mit mindestens einem Bußgeld von 40 Euro geahndet wurden („Flensburg-Punkte“). Für das in dieser Studie untersuchte Kollektiv der Fahrzeugführer von Pkw, bezogen auf die Fehlverhaltensarten der Ursachenanalyse, konnten für das Jahr 2007 insgesamt etwa 3,6 Millionen Eintragungen ausgewertet werden. Die wichtigsten Erkenntnisse sind:
Trotz der Tatsachen, dass die Deliktarten unterschiedlich häufig und zum Teil schwer bis gar nicht durch Überwachungsmaßnahmen zu greifen sind („Nicht angepasste Geschwindigkeit“ lässt sich im fließenden Verkehr nicht überwachen, sondern resultiert in der Regel aus der Begutachtung von Unfällen, „Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ kann nahezu überall im Straßennetz kontrolliert werden) und in Mitteilungen zu Verkehrsstraftaten wie fahrlässige Körperverletzung kein Bezug zum Geschwindigkeitsverhalten hergestellt werden kann (2), ist eine Aussage zur Korrespondenz zwischen realem Unfallgeschehen und verhängten Sanktionierungen zulässig. Ausgewählte Ergebnisse:
Das bedeutendste Regelwerk für den Straßenverkehr ist die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Sie regelt insbesondere das Verhalten für die Teilnahme am Verkehr. Leitgedanke ist dabei das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme nach §1 der StVO. Weitere Normen für das Verhalten finden sich im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und im Strafgesetzbuch (StGB).
Die deutsche Gesetzeslage sieht eine Ahndung von Verkehrsdelikten nach dem Ordnungswidrigkeiten- oder dem Strafrecht vor, mit und ohne Nebenstrafen wie z.B. Fahrverboten. Dabei werden die meisten Verkehrsverstöße als Ordnungswidrigkeiten verfolgt. Hauptsanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts ist die Geldbuße,
in abgestufter Höhe abhängig von der Schwere des konkreten Verstoßes. Der Delinquent soll nicht kriminalisiert werden, es soll ihm und anderen lediglich deutlich gemacht werden, dass die Regeln einzuhalten sind. Mit dem Strafrecht werden nur wenige, aber als besonders schwerwiegend beurteilte Regelverstöße im Straßenverkehr geahndet. Die Gesellschaft signalisiert dem Täter, dass sein Verhalten völlig inakzeptabel ist und ahndet also begangenes schweres Unrecht.
Der Staat ist nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit verpflichtet. Verfassungsrechtlich geboten ist es demnach auch, die Einhaltung der vor allem in der Straßenverkehrsordnung enthaltenen Verkehrsregeln zu überwachen und im Sinne einer Generalprävention Verkehrsverstöße zu sanktionieren. Die staatlichen Stellen sind bei der Erfüllung dieser Pflicht durchaus erfolgreich. Seit einem Höchststand der Anzahl der Verkehrstoten Anfang der siebziger Jahre (mehr als 20.000 Getötete) ist eine kontinuierliche Besserung zu verzeichnen.
Der Gesamtzustand ist jedoch immer noch nicht hinnehmbar. Keine neue Technologie und kein neues Transport- oder Verkehrssystem würde heute zugelassen werden, wenn man wüsste, dass es jedes Jahr mehreren Tausend Menschen in der Bundesrepublik das Leben kosten würde. Deshalb sind weitere Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung der Situation vom Grundgesetz her geboten.
Die strafrechtliche Betrachtung der empirischen Ergebnisse unter Berücksichtigung der gerichtlichen Praxis zeigt auf, dass Delikte im Straßenverkehr immer noch nicht so „schwer“ bewertet werden wie z.B. Eigentumsdelikte. Begrifflichkeiten wie „Verkehrssünder“ im Gegensatz zu „Straftäter/Krimineller“ machen dies deutlich. Dies gilt nicht nur für die strafrechtliche Ahndung, sondern auch für den Bereich der Ordnungswidrigkeiten: Geschwindigkeitsunfälle sind zwar nach der Unfallstatistik besonders schwer in den Folgen, liegen aber bei der Verteilung der Bußgelder und Punktevergabe im unteren Drittel der Strafhöhen.
Die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber den spezifischen Verkehrsregeln „Geschwindigkeitsübertretung innerorts“, „Rotlichtmissachtung an Ampel“ und „Fahren unter Alkohol“ wurde im Befragungsteil untersucht. Darüber hinaus wurden die Bedingungen, die eine Regelübertretung bzw. eine Regelbefolgung maßgeblich beeinflussen, näher betrachtet. Für die drei genannten Szenarien kann zusammenfassend festgestellt werden:
Für die Verkehrssicherheit lässt sich aus der Studie zusammenfassend ableiten, dass sich die Deliktprävention im Sinne einer Public-Health-Strategie auf die fünf wesentlichen Unfallursachen konzentrieren sollte, da sie drei Viertel der durch Straßenverkehrsunfälle verursachten Kosten ausmachen.
Für den Bereich der Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße können Maßnahmen im Bereich Überwachung/ Sanktionierung als Option zur Erhöhung der Regelbefolgung gewertet werden, da die Sanktionshärte und subjektive Entdeckungswahrscheinlichkeit bislang für gezeigtes Verhalten noch keine entscheidende Rolle spielen.
Es konnte keine belastbare Korrespondenz zwischen dem gültigen Sanktionssystem und dem realen Unfallgeschehen festgestellt werden.
Eine Studie des Kraftfahrtbundesamtes aus 2004 kam zu der Erkenntnis, dass die Anzahl der Eintragungen im VZR ein verlässlicher Indikator für ein erhöhtes Verkehrsrisiko ist, nicht aber die Punktezahl. Aus Sicht der Verkehrssicherheit sollte demnach das heutige Punktesystem durch ein Sanktionssystem abgelöst werden, das sowohl das Unfallgeschehen als auch das Verkehrsrisiko deutlich besser abbildet.
Potenziale sind auch in neuen Technologien wie Fahrerassistenzsystemen (Intelligent Speed Adaptation), sowie in der Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur (Self Explaining Road) zu sehen.
Das Fahren unter Alkohol ist im Gegensatz zu Geschwindigkeits- und Rotlichtverstößen nur für eine spezifische Teilgruppe ein Problem, gekennzeichnet durch eine fehlende Selbstkontrolle und große Wiederholungsgefahr. Hier gilt es demnach, stärker mittels psychologischer Konzepte (Trainings für den Umgang mit potenziell kritischen Situationen) einzuwirken. Auch die klare Trennung von Fahren und Alkohol durch die Einführung eines absoluten Alkoholverbotes sowie der Einsatz technischer Hilfsmittel (Alcolocs) können präventiv wirksam sein.
Die UDV hat den Zusammenhang von Unfallgeschehen und Sanktionierung von Regelmissachtungen und die Meinung der Verkehrsteilnehmer zur Regelbefolgung untersuchen lassen. Eine Reform des Sanktionssystems auf Grundlage des realen Unfallgeschehens kann einen bedeutenden Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Regelverstöße, die im Falle eines Unfalls zu schweren Folgen führen können, dürfen nicht länger als „Kavaliersdelikte“ gelten.
Hautzinger, H. et al: Regelverstöße im Straßenverkehr, Entwurf Schlussbericht, Unfallforschung der Versicherer, Berlin 2011
Rößger, L., Schade, J., Schlag, B.: Verkehrsregelakzeptanz und Enforcement, Forschungsbericht VV 06, Unfallforschung der Versicherer, Berlin 2011
Gehlert, T.: Verkehrsklima in Deutschland 2008, Unfallforschung der Versicherer, Berlin 2009
Heinzmann, H.-J., Schade, F.-D.: Risikogruppen im Verkehrszentralregister als Basis für eine Prämiendifferenzierung in der Kfz-Haftpflicht. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 159, Bergisch-Gladbach 2004
Dieser Artikel von Sabine Degener, Leiterin des Fachbereiches Verkehrsverhalten /Verkehrspsychologie Unfallforschung der Versicherer ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2012, erschienen.
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