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Schon gemerkt? 2012 wurde von der EU zum europäischen Jahr für aktives Altern erklärt. Zum aktiven Altern gehört sicherlich auch die aktive Teilnahme am Verkehr. Damit Senioren sicher mobil sein können, gibt es viele Angebote auf dem Markt, alte Menschen zum Thema Verkehrssicherheit aufzuklären. Gibt es neue Methoden oder zumindest Ansätze bei Sicherheitskursen, die erahnen lassen, ob sich die Anbieter von Verkehrsaufklärung auf die neuen Alten und aktuelle Veränderungen im Verkehr einlassen?

Untersuchung der Projekte

Im Rahmen des im vorhergehenden Beitrag genannten Auftrags der Verkehrslenkung Berlin untersuchte FUSS e.V. den inhaltlichen und didaktischen Stand von Angeboten im Bereich „Verkehrssicherheitsaufklärung von Senioren“. Ziel war es, neue Maßnahmen bzw. innovative Ansätze aus den „auf dem Markt“ angebotenen Projekte herauszuarbeiten und für den Einsatz in Berlin vorzuschlagen.

Das schlug zwar nicht fehl, jedoch muss – im Prinzip erwartbar – konstatiert werden: Unter den untersuchten Maßnahmen gibt es kein Projekt, das mehrere Alleinstellungsmerkmale aufweist und auch keine Maßnahme, die eine völlig neue, bisher noch nicht angewandte Methode einsetzt. Jedoch werden in vielen Projekten neue Erkenntnisse beachtet und innovative Ansätze ausprobiert.

Überblick über die Projekte

Der überwiegende Anteil der Maßnahmen wird noch immer von den „klassischen“ Verkehrsverbänden und -vereinen angeboten. Unter den staatlichen Stellen ist es weiterhin in der Regel nur die Polizei, die Maßnahmen anbietet, während andere Behörden keine Projekte zur Senioren-Verkehrssicherheit durchführen. Anbieter aus fachfremden, interdisziplinären Bereichen sind rar.

Die Mehrzahl der Anbieter bevorzugt es, Maßnahmen allein zu organisieren. Explizit äußerte ein Anbieter, dass es mit Kooperationspartnern „zu viele“ Abstimmungsgespräche geben müsste. – Da hat er sicher einerseits recht, andererseits schmort man anscheinend lieber noch im eigenen Saft.

Welcher Ansatz zur Vermittlung des gewünschten Verhaltens wird eingesetzt? Alle untersuchten Maßnahmen nutzen (auch) erzieherische und kommunikative Ansätze. Bei diesen „klassischen“ Verkehrssicherheitsprojekten stehen die Aufklärung über Gefahren im Straßenverkehr, sowie Beratungen zum richtigen Verhalten als älterer Verkehrsteilnehmer im Vordergrund.

Die Ansätze „Encouragement/ Economy“ beinhalten konkrete Anreize / wirtschaftliche Belohnungen, die, wie beim Projekt „Paten-Ticket 2.0“ durch eine Gratismonatskarte, Pkw-Fahrer oder mobilitätseingeschränkte Menschen zum Nutzen der öffentlichen Verkehrsmittel ermutigen sollen. Diese Ansätze werden von gut jedem sechsten Projekt genutzt.

Die Projekte mit dem Ansatz „Exercise“ fördern Bewegung und körperliche Betätigung. Hier sollen die Teilnehmer ein Bewusstsein für ihre körperliche Gesundheit entwickeln. Beispielhaft sind „Schritt halten – aktiv älter werden in Reutlingen“, ein Projekt, in dem Fitnesskurse für Senioren angeboten werden, oder der „Fahrsicherheitskurs für ältere Erwachsene“ des ADFC Berlin, bei dem das Beheben von Unsicherheiten beim Radfahren im Vordergrund steht. Knapp ein Drittel der Projekte nutzen diesen Ansatz.

Bei den Projekten werden die Verkehrsteilnehmergruppen (Autofahrer, Fußgänger....) gleichmäßig berücksichtigt. Einzig die Gruppe der motorisierten Zweiradfahrer wird in keinem Projekt als spezielle Zielgruppe genannt. Dies gilt auch für die in letzter Zeit in Mode kommen den Pedelecs und E-Bikes.

Des Weiteren gibt es einige Veranstaltungen, die speziell auf durch körperliche Defizite mobilitätseingeschränkte Menschen (Rollstuhlfahrer oder Menschen mit Rollatoren) ausgerichtet sind. Angebote für Senior/innen, die aufgrund des Nachlassens ihrer kognitiven Fähigkeiten mobilitätseingeschränkt sind, wurden beim Recherchieren nicht entdeckt.

Diskussion über die Zielgruppe

Aus unseren Befragungen ging hervor, dass viele Anbieter eine Ausrichtung auf eine spezifische Altersgruppe (Betagte, Hochbetagte...) für nicht sinnvoll erachten, da Unterschiede in der körperlichen und geistigen Verfassung unter den Senioren unabhängig von ihrem Alter bestünden. So könne ein 75-jähriger Mensch heutzutage die Verfassung eines 60-jährigen haben, wenn er einen gesunden Lebensstil pflege. Auch spiele eine eventuelle Altersdiskriminierung eine bedeutende Rolle. Viele der Senioren fühlten sich trotz ihres Alters wesentlich jünger und würden daher von einem Projekt etwa für Hochbetagte nicht angesprochen.

Die meisten Anbieter halten eine Einbeziehung der Teilnehmer, sowohl verbal als auch im aktiven Sinne, für sinnvoll. Die Tatsache, dass vorgetragene oder durch eigenständiges Lesen aufgenommene Informationen besser im Gedächtnis bleiben, wenn sie im Anschluss diskutiert oder praktisch angewendet werden, ist sicher unbestreitbar. Um Senioren zur Nutzung neuer Möglichkeiten zu ermutigen, wird es außerdem seitens der Anbieter für effektiv erachtet, ihnen die Chance zum verbalen Austausch mit anderen Senioren zu geben, um eventuellen Bedenken und Ängsten entgegen zu wirken.

Nach Angaben eines Anbieters sei auch das Einbeziehen von Senioren in die Entwicklung des Projekts sehr wirkungsvoll. Die Tatsache, dass die Teilnehmer dabei selbst als Experten agieren und das Projekt auf ihre Vorstellungen ausrichten können, motiviere sie und gebe ihnen Selbstvertrauen.

Möglichkeiten der Verbreitung

95% der Anbieter werben über das Internet bzw. stellen dort ihre Maßnahme vor. Nach unterschiedlichen Quellen nutzen etwa 40% der Senioren über 65 Jahren in Deutschland das Internet. Wenn rund die Hälfte der Anbieter von Senioren-Maßnahmen ausschließlich das Internet zur Werbung nutzen, dann verzichten sie entweder auf einen großen Teil ihrer Zielgruppe oder sie wollen explizit nur internet-affine Multiplikatoren ansprechen.

Beim Einsatz von Werbung sind grundsätzlich zwei Ansätze möglich: Entweder eine direkte Ansprache der Zielgruppe via Medien oder eine Kontaktaufnahme über Multiplikatoren. Die meisten der untersuchten Internet-Angebote gehen einen Mittelweg. Die Texte sind von Stil und Duktus eher für Multiplikatoren gedacht, d.h. es wird meist über Senior/innen geschrieben und nicht auf Augenhöhe mit ihnen kommuniziert. Jedoch werden auch keine konkreten Handlungsanleitungen an die Multiplikatoren gerichtet.

Es ist erstaunlich, dass sich nur wenige Veranstalter (in Zahlen: zwei) für die Wirksamkeit und Attraktivität ihrer Angebote interessieren. FUSS e.V. hatte bei diesem Thema einen niedrigen Erwartungshorizont, da nicht erwartet werden kann, dass kleinere, finanzschwache Organisationen sich extern evaluieren lassen. Jedoch sollte ein kurzer schriftlicher Fragebogen oder ein mündliches Kurz-Interview mit den Teilnehmenden in Zukunft zum Mindest-Standard bei allen Senioren-Verkehrssicherheitsprojekten werden.

Fazit

Folgende Grundsätze bei der Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen können nach unserer Auswertung festgehalten werden:

  • Nicht die Originalität neuer Ideen entscheidet über den Erfolg einer Maßnahme, sondern deren Umsetzbarkeit und die Akzeptanz, wie sie bei den Senior/innen ankommen. – Es muss nicht immer wieder das Rad neu erfunden werden.
  • Selbst in laufende Maßnahmen lassen sich neue Ansätze integrieren. Auch Projekte, die bisher nur geringe Erfolge aufzuweisen hatten, können also weiterentwickelt werden.
  • Ein Lernen der Anbieter voneinander kann anregend sein und helfen Fehler zu vermeiden.

Insbesondere aus den individuellen Rückmeldungen der Anbieter auf unsere Anfragen, aber auch durch die schematisierte Aufnahme in die Erfassungsbögen, lassen sich folgende allgemeine Erkenntnisse ziehen:

  • „Frontal-Vorträge“ stellen nicht mehr die einzige didaktische Methode bei Verkehrssicherheitsprogrammen dar. Neue Vortrags-Elemente (Duo-Vorträge, Ko-Referenten...) werden jedoch noch kaum eingesetzt.
  • Insbesondere bei Vorträgen sollten Einschränkungen der Seh- und Hörfähigkeit bei den Teilnehmer/innen bedacht werden.
  • Bei Vorträgen sollten einfache und übersichtliche Präsentationsfolien eingesetzt werden. Am besten mit lokalen Beispielen, wenn es zum Thema passt.
  • Zur Auflockerung und um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sollten abwechselnd Module mit theoretischer und praktischer Wissensvermittlung angeboten werden.
  • Das Einbeziehen des konkreten lokalen Umfeldes in die Arbeit mit Senioren steigert deren Aufmerksamkeit und unterstützt ihre individuelle Kompetenz.
  • Das Einbeziehen der Kompetenzen, z.B. der Ortskenntnisse und Erfahrungen der Senior/ innen, fördert deren Engagement und verbessert den Wissensstand der Organisatoren der Maßnahme.
  • Angebote, die im Freien, z.B. im öffentlichen Straßenraum, durchgeführt werden, werden von den Teilnehmer/ innen besonders gerne angenommen. Theoretisch erworbenes Wissen kann dort gleich von ihnen umgesetzt werden und bleibt so besser im aktiven Gedächtnis.
  • Ist eine Lerneinheit im Straßenraum nicht möglich, sollte der Praxisbezug inhäusig zumindest „simuliert“ werden (z.B. durch Rollenspiele).
  • Übungen sollten von den Teilnehmer/innen wiederholt werden. Ist eine parallele Durchführung der Übung nicht möglich, sollte sie nacheinander von jedem Teilnehmer durchgeführt werden. Ist jedoch zu befürchten, dass Teilnehmer den Eindruck bekommen könnten, hier würden ihre individuellen Defizite „vorgeführt“, sollte darauf verzichtet werden.
  • Eine „Evaluierung“ ist nicht unbedingt mit hohem Aufwand verbunden: Bereits ein kurzer Fragebogen kann den Veranstaltern wichtige Hinweise für Verbesserungsmöglichkeiten geben.

Info:

www.senioren-sicher-mobil.de

FUSS e.V. im Auftrag der VLB: Ermittlung von neuen Verkehrsaufklärungsmaßnahmen/-projekten für Senioren unter Einbindung der Vorstellungen dieser Altersgruppe, Teil B, Empfehlungen, März 2012
Die Empfehlungen und untersuchten Projekte finden Sie auf den Seite 47 bis 82 der Projektberichts.

 

Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2012, erschienen.

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