Die Äußerung der Aussage in der Überschrift sollte man sich überlegen. Sie ähnelt rechtlich gesehen dem Spruch „Soldaten sind Mörder“. Und für diese Verallgemeinerung kann und konnte man Ärger bekommen. - Das war nicht die einzige Erkenntnis, die die Macher der „Wegeheld-App“ erleben mussten.
Der erste Versuch, die alterwürdigen „Parke nicht auf unseren Wegen“-Aufkleber mit einer digitalen Version zu ergänzen, wurde vor etwa sechs Monaten gestartet. Leider wurde der etwas unglückliche Name „Straßensheriff“ gewählt (eigentlich nur wegen des Gags, den „altdeutschen“ Namen des Initiators Heinrich Strößenreuther in die heutige Zeit zu transferieren.)
Das Medienecho war auch bereits damals beeindruckend. Wobei der Trend in die Richtung ging, die App bzw. die Macher als „Blockwarte“, „Stasi“, „NSA“ und Ähnliches zu bezeichnen. Die Version 2.0 der App wurde daher im Ton „entschärft“, es wird deutlich Wert auf Dialog und Anonymisierung gesetzt. Der Schritt, das falsch abgestellte Fahrzeug ans Ordnungsamt zu melden, ist erst der letzte in einem dreistufigen Verfahren. Viel genutzt hat es nicht: „Petze“ ist noch ein eher harmloser Begriff in den Medien.
Nach dem Laden bestimmt die App zunächst den Standort des Nutzers, der dann einen Vorfall aus einer vorgegebenen Liste (z.B. „Fahrzeug vor Bordsteinabsenkung“ oder „auf Gehweg-Ecke“) und einen Fahrzeugtyp aus einer ebenfalls vorgegebenen Liste auswählt und den Fall auf wegeheld.org postet. Wahlweise können diese Posts mit folgenden Optionen versehen werden:
Je nach Sicht und Betroffenheit bedauerlich oder erfreulich: Die Mail ans Ordnungsamt ist juristisch gesehen keine Anzeige. Ursprüngliche Pläne der Macher ließen sich aus rechtlichen Gründen nicht verwirklichen.
Zwar bezieht sich die inhaltliche Argumentation auf der Website überwiegend auf den Radverkehr, jedoch sind in der Nutzungsfunktion Fußgänger gut vorgesehen (z.B. sind alle Arten von Behinderungen durch Falschparker in der Auswahl vorhanden.)
Das Straßenverkehrsamt Frankfurt am Main ist nicht begeistert von der neuen Smartphone-Anwendung. Eine Zusammenarbeit könne man sich nicht vorstellen. Für den Leiter des Straßenverkehrsamts sind die eingehenden Nachrichten der „Wegeheld“-Nutzer nicht anders zu behandeln als die täglichen Anrufe von erbosten Bürger/innen. „Denen gehen wir, sofern es unsere personellen Kapazitäten zulassen, nach“. Das Ordnungsamt der Stadt ist sich noch unsicher, wie man damit umgehen soll. Hingewiesen wird jedoch, dass bereits jetzt viele Bürger/ innen Fotos per Mail an das Amt schicken. Die App sei nur ein halbwegs neues Medium.
Das Ordnungsamt von Berlin-Pankow dagegen zeigte sich anfangs interessiert und kooperationsbereit, wurde jedoch später „von oben zurückgepfiffen“.
Die App polarisiert und Diejenigen, die die Funktion als denunziatorisch denunzieren, agieren lauter als die, die die App nutzen. Es wird die Angst geäußert, dass das Agieren mit der App das „Klima zwischen Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern verschlechtert“ werden würde. Das alte Spiel: Der Bote der schlechten Nachricht ist schuld. Nicht dass Sie jetzt etwa denken, das schlechte Klima hätte ursächlich etwas mit den Falschparkern zu tun. Die Leute, die sich jetzt empören, sind wahrscheinlich still, wenn über Apps und Radio die Standorte der Tempokontrollen durchgegeben werden. Bei aller Kritik von interessierter Seite: Der Bedarf nach solch einer App ist aber offensichtlich vorhanden. Nach rund einer Woche war die kostenlose Funktion 20.000mal heruntergeladen worden. Die Funktion, ein Foto zu posten, wird anscheinend zurückhaltend genutzt. Die meisten Nutzer/innen beschreiben den Fall nur auf der interaktiven Karte.
Übrigens verzichten die digitalen Wegehelden nicht ganz auf Papier: Es gibt ein Kärtchen, so groß wie die „Parke nicht“-Aufkleber, auf dem steht „Ich bin hier, weil Sie schlecht stehen!“
wegeheld.org Der Weg zur App für Android kann auf der Startseite der Website oben rechts angeklickt werden
In vielen Kommunen wächst die Zahl der Schutz- und Radfahrstreifen. Und damit wächst logischerweise auch der Ärger mit ihnen. Innerstädtisch werden sie häufig durch Pkw und Kfz-Lieferverkehr blockiert. Das behindert nicht nur den Radverkehr, sondern ist auch noch gefährlich, wenn die Radler/innen in den Kfz-Strom ausweichen müssen.
Die Landesverbände Berlin von BUND und ADFC haben im März eine Aktion gestartet, bei der man ohne Anmeldung auf der Website radspuren-frei.de mit Hilfe eines Formulars blockierte Streifen melden kann. Dabei geht es auch hier nicht ums Anzeigen der Autofahrer, sondern um Ort, Uhrzeit, Zahl und Art der Fahrzeuge. Im Herbst sollen die eingegangenen Hinweise ausgewertet und an die Zuständigen weitergeleitet werden.
Bei der Eröffnungsaktion zeigte sich das fehlende schlechte gewissen der Kfz-Lenker/ innen. Bei der angemeldeten Aktion war das Ordnungsamt gut sichtbar präsent. Trotzdem wurden in kürzester Zeit 75 Radspurblockierer an einer Straße gezählt. - Übrigens verzichten die digitalen Radspur-Freihalter nicht ganz auf Papier: Es gibt eine Postkarte für die Scheibenwischer, auf der steht „Radspuren frei!“
Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2014, erschienen.
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