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Gehwege frei! Rückgewinnung und Sicherung von Fußverkehrsflächen

Bei der Vorstellungsrunde stellte sich heraus, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrheitlich aus Großstädten angereist waren. Ebenso interessant war, dass BürgerInnen, Ver­treter von Verbänden, PlanerInnen und Politiker­Innen in der Gruppe gleichstark vertreten waren.

Rechtliche Grundlage und ihre Umsetzung

Zum Einstieg zeigte der Moderator, Martin Huth, anhand einer kleinen Präsentation die aktuelle Rechtslage um das Thema Gehweg und Parken, die notwendigen und tolerierbaren (Rest)­Gehwegbreiten sowie die Aktivitäten der Darmstädter Bürgerinitiative „Aktionsbündnis Verkehrswende Darmstadt“ auf. Er stellte gute und schlechte Beispiele vor, wie die Kommunen mit Falschparkern und der Problematik des Gehwegparkens umgehen.

Deutlich wurde, dass sowohl die Straßenverkehrsordnung (StVO), als auch die Verwaltungsvorschrift der StVO, sowie die Richtlinien für Fußverkehrsanlagen das Parken von Fahrzeugen auf den Gehwegen grundsätzlich unterbinden, bzw. die notwendige Wegbreite für Fußgängerverkehr sicherstellen. In der Realität sieht es aber in vielen Kommunen so aus, dass das Gehwegparken geduldet wird. Das Opportunitätsprinzip gibt der Kommunen die Freiheit, solche Ordnungswidrigkeiten nicht zu ahnden.

Beim Vergleich verschiedener kommunaler Kontrollpraktiken stellt Robert Sommer fest, dass es in Münchner Außenbezirken zur etablierten Praxis gehört, Gehwegparken zu tolerieren. Politik und Verwaltung erheben die Aus­weitung motorisierten Verkehrs zu Lasten von Kindern und Fußgängern zum Prinzip. Gehwege werden baulich ertüchtigt, damit sie der Belastung durch Kfz standhalten; Lkw parken mit rechten Rädern auf dem Gehweg und Gehwegparken wird als für die Verkehrsabwicklung erforderlich erklärt. Herr Sommer betont, dass von ganz oben befürwortete Kampagnen wie z.B. „Nina – Warum stehst du auf meinem Weg?“ der AGFS (siehe unten) notwendig sind, um Kindern Mobilität im öffentlichen Raum zu ermöglichen und den Umweltverbund zu stärken.

Kommunalpolitik als Schlüssel

Der Bericht von Christine Fuchs über die Arbeits­weise der Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen e.V. (AGFS) gibt einen Einblick, wie ein guter Umgang mit der Problematik der Sicherung und Freihaltung von Gehwegen erreicht werden kann. Als besonders förderlich wirken der integrierte Ansatz und die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und dabei vor allem mit den Entscheidungsträgern. Ebenso ist es notwendig, das Problem des Gehwegparkens in der Gesamtproblematik der Nahmobilität zu behandeln, da nur auf diesem Weg eine weitreichende Veränderung der Nutzung von öffentlichen Räumen möglich ist. Die Arbeit der AGFS hat gezeigt, dass ein positives Bild zu schaffen und eine Vision zu entwickeln ist, und diese daraufhin den Beteiligten und Betroffenen zu vermitteln werden muss.

Unterschiedliche Kampagnen, welche die Betroffenen positiv sensibilisieren, sind dabei hilfreich. Frau Fuchs hat die Broschüre „Parken ohne Ende?“, welche die AGFS im Rahmen des Konzeptansatzes „Nahmobilität 2.0“ erarbeitet hat, vorgestellt. Durch umfangreiche Recherchen, quantitative Erhebungen, qualitative Interviews und Workshops liefert die Broschüre belastbare Daten, die die Problematik und die Lösungswege durchleuchtet. Die Broschüre ist im Netz unter www.fahrradfreundlich.nrw.de kos­tenlos zum Herunterladen bereitgestellt.

Status quo

Einigkeit in der Arbeitsgruppe herrscht darüber, dass die autogerechten Denkmuster in der Gesellschaft und Politik immer noch tief verwurzelt sind. Die Gestaltung der Städte und der öffentlichen Räume, die Ausrichtung der Gesetzgebung und der Lebensstil vieler Deutscher sind durch das Auto stark geprägt. Dabei erweist sich der motorisierte Verkehr angesichts vom demografischen Wandel, Klimaveränderungen, Urbanisierungsprozessen usw. in vielen Bereichen als volkswirtschaftlicher Nachteil. Ein großer Anteil daran ist auf den ruhenden Verkehr in den Städten zurückzuführen.

Durch den hohen Parkdruck werden die Autos zu Lasten anderer Verkehrsarten und der Aufenthaltsqualität in den öffentlichen Räumen abgestellt. Das alltägliche Gehen, Flanieren, sich Erholen, Austauschen und Unterhalten wird in den Städten dadurch eingeschränkt. Als Nebeneffekt entwickeln sich unattraktive Innenstädte, die Kaufkraft schwindet und der Einzelhandel leidet. Bei dieser Problematik muss man immer im Auge behalten, dass in Deutschland ein Auto durchschnittlich ca. 90% der Zeit parkt und nicht benutzt wird.

Vision

Als Vision ergeben sich lebenswerte Stadtquartiere und –Zentren, in denen der öffentliche Raum für alle Menschen mit ihren unterschiedlichsten Ansprüchen zugänglich ist. Dieser bietet somit Platz für mehr Nutzungsvielfalt und zu Fuß gehen erlebt seine Renaissance. Die Kinder spielen wieder auf den Straßen und das gesellschaftliche Leben kehrt zurück in den öffentlichen Raum. Das Auto wird aus den Straßenräumen möglichst in Parkhäuser verbannt, und die Stellplätze in den öffentlichen Räumen werden angemessen platziert und klar definiert.

Lösungswege

Kontrovers hat die Gruppe die Frage diskutiert, wie den Falschparkern durch den in diesem Bereich untätigen Verwaltungen und der Politik begegnet werden kann. Zur Erwägung standen unterschiedliche Protestformen, Aufmerksamkeitskampagnen, aber auch Aufklärungs- und Zusammenarbeit mit den Akteuren, Betroffenen und Entscheidungsträgern. Nach verschiedenen Berichten seien Kampagnen, welche die Autofahrer auf das Problem aufmerksam machen und vor allem sie für die Thematik sensibilisieren, effektiv. Ebenso zielführend sei die Zusammenarbeit mit den Behörden und Verwaltungen, wenn an diese mit einer positiven Vision herangetreten wird.

Es reicht aber nicht aus, sich nur auf den ruhenden Verkehr zu konzentrieren. Vielmehr soll das Problem im Kontext der Nahmobilität behandelt werden. Hierzu hat die Arbeitsgruppe auch unterschiedliche Maßnahmen diskutiert, die in fünf Empfehlungen einmündeten.

Ergebnisse der Arbeitsgruppe

  1. Positiv beladene Visionen und Bilder von fußgängergerechten und barrierefreien öffentlichen Räumen entwickeln.Denn die Beschränkung auf die Protestformen ist bei der Zusammenarbeit mit den Akteuren, Betroffenen und Entscheidungsträgern oft kontraproduktiv. Die positive Zusammenarbeit ist die produktivste Form um das Ziel zu erreichen. Dafür braucht man Vorschläge, Visionen und Pläne, die eine positive Ausstrahlung haben.
  2. Die Problematik des Gehwegparkens immer im Kontext der Nahmobilität und dementsprechend ressortübergreifend angehen. Das Gehwegparken ist das Ergebnis und nicht die Ursache der sich seit mehreren Jahrzehnten ungesund entwickelten Mobilität. Um langfristige und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, ist bei den Ursachen anzusetzen.
  3. Die Bordsteinkante als Grenze für Parkraum. Wie viel Restbreite soll auf dem Gehweg bleiben? Eine Breitenangabe ist in der Praxis schwierig durchzusetzen (wer misst schon nach?). Deshalb soll die Bordsteinkante als eindeutige Grenze definiert werden. Die bislang übliche Praxis, das Auto zum Parken ein Stück auf den Gehweg hinaufzufahren, ist nicht akzeptabel. Die Fragen der Markierung der Bordsteinkanten in unterschiedlichen Gestaltungsmodellen, wie z.B. in Shared Space Bereichen oder die Höhe der Bordsteine, soll gesondert behandelt werden.
  4. Die Parkplätze in den Parkhäusern und Garagen sollen günstiger angeboten werden als die Parkplätze in den öffentlichen Räumen.Denn in der Praxis sind die Parkhäuser und -Garagen nicht ausreichend ausgelastet und auf den Straßen herrscht hoher Parkdruck. Mit dieser Maßnahme gelingt es, einen Teil des ruhenden Verkehrs sowie den Parksuchverkehr effektiv aus den öffentlichen Räumen zu verbannen.
  5. Carsharing fördern. In Deutschland wird ein Auto durchschnittlich ca. 90% der Zeit nicht benutzt und parkt. Durch Carsharing ergibt sich die Möglichkeit, die bestehende Autoflotte zu verringern, da ein Carsharing-Fahrzeug in etwa 6-10 Privatautos ersetzt. Dadurch verringert sich der Parkdruck in den öffentlichen Räumen. Darüber hinaus ergibt sich für den Carsharing-Nutzer eine erhebliche Kostenersparnis. In Studien ist nachgewiesen worden, dass Carsharing-Nutzer seltener Auto fahren, als wenn sie ein eigenes Auto besitzen. Damit wird durch Carsharing insgesamt weniger Auto gefahren. Daraus resultieren weniger Abgase, weniger CO2-Ausstoß und weniger Autoverkehr.

Das Ziel der Rückgewinnung von Fußverkehrsflächen durch die Regulierung des ruhenden Verkehrs ist am effektivsten auf kommunaler Ebene zu erreichen. Die oben beschriebenen Kampagnen und Aktionen weisen darauf hin, dass mit dem direkten Ansprechen von Entscheidungsträger und einer Zusammenarbeit mit der Verwaltung die Umsetzung der Forderungen am erfolgreichsten ist.

Die fünf erarbeiteten Empfehlungen stellen einen grundlegenden Leitfaden für den Erhalt von Gehwegen frei vom motorisierten Verkehr da. Insbesondere ist eine umfassende Nahmobilitätspolitik erforderlich, um die Ursachen des raumnehmenden ruhenden Verkehrs zu bekämpfen, den öffentlichen Raum attraktiver und ambivalenter zu gestalten und damit in den Städten einen Anstieg der Lebensqualität zu erreichen.

In Kürze

Die rechtliche Grundlage spricht sich eindeutig gegen eine Verkleinerung des Gehwegs durch den ruhenden Verkehr aus. Eine autofreundliche Einstellung führt zu einem toleranten Umgang hinsichtlich Ordnungswidrigkeiten. Zur Verbesserung der Situation sind Aktionen und Kampagnen auch direkt mit der Verwaltung und Politik durchzuführen.

Info:

www.gehwege-frei.de

Dieser Artikel von Luka Bakradze ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2013, erschienen. 

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