Es war einmal so einfach: Jeder Kilometer mit der Bahn hatte einen einheitlichen Preis, im IC oder ICE mit Zuschlag. Wer die Entfernung seiner Reise kannte, konnte sich den Fahrpreis also selbst ausrechnen. Mit der Einführung der BahnCard 1992 kam noch eine wichtige Variante hinzu: Wer nämlich eine solche Karte kaufte, fuhr dann das ganze Jahr zum halben Preis– ein besonderes Angebot zur Kundenbindung von Vielfahrenden.
Für diese BahnCard nach dem Vorbild des Schweizer Halbtax-Tickets hatten sich Bahnfreunde lange stark gemacht, um der Preisstruktur des Autos endlich etwas entgegensetzen zu können. Denn auch beim eigenen Pkw ist nach einer hohen Einmalinvestition am Anfang die einzelne Fahrt sehr günstig – und das Auto ist nach wie vor der Hauptkonkurrent der Bahn.
Doch dann kam die formelle Privatisierung der DB mit ihrer Umwandlung in eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft. Ziel war es nicht länger, möglichst viele Menschen in die Züge zu locken, sondern möglichst hohe Erlöse zu erzielen – auch in Vorbereitung auf den ab Anfang der 2000er Jahre vom damaligen Bahnchef Mehdorn vorbereiteten Börsengang. Das spiegelte sich in dem neuen Preissystem „PEP“ wieder, das die DB nach jahrelangem Vorlauf im Dezember 2002 einführte:
Seitdem gibt es auf jeder Verbindung in Deutschland einen eigenen, festgelegten Fahrpreis, der sich an der Konkurrenzsituation auf der jeweiligen Strecke orientiert. Diese Preise umfassen auch solche Absurditäten wie die, dass zwei Teilstrecken oder Umwege manchmal günstiger sind als die eigentlich geplante Strecke. Zu diesen Preisen kam nochmal ein Parallel-Preissystem von kontingentierten „Plan & Spar“-Tarifen mit unterschiedlichen Rabatten und Vorverkaufsfristen sowie einer Umtauschgebühr von bis zu 45 Euro. Gleichzeitig wurde die klassische BahnCard abgeschafft und ersetzt durch die BahnCard 25, die die Preise nicht mehr halbierte, sondern nur noch um ein Viertel reduzierte.
Die Konsequenz war ein Desaster: Die Reisenden liefen in Massen davon. In den ersten drei Monaten nach der Einführung gingen die Fahrgastzahlen im DB-Fernverkehr um sieben Prozent zurück. Es gab massive Umsatzeinbrüche; bis Juni 2003 lagen die Erlöse 20 Prozent unter dem Plan. Das DB-Management musste Konsequenzen ziehen und entließ die verantwortlichen Manager – die übrigens bezeichnenderweise von der Lufthansa geholt worden waren und auch die Beratungsfirma Roland Berger kräftig bei der Entwicklung des Systems mitverdienen ließen. Das gescheiterte System wurde teilweise wieder zurückgenommen, und dabei wurde auch die „alte“ BahnCard 50 mit der Halbierung des Fahrpreises auf Druck der Verbände hin wieder eingeführt – wenn auch mit einem dreisten Preisaufschlag von 43 Prozent (200 statt 138 Euro).
Seitdem gibt es bei der Bahn ein Nebeneinander unterschiedlicher Systeme, die nicht zusammenpassen und die Angebote damit extrem unübersichtlich machen: Zuerst einmal gibt es die Normalpreise, die mit den BahnCards um 25 bzw. 50 Prozent reduziert werden können. Diese Normalpreise sind aber nach vielen Preissteigerungen inzwischen so teuer, dass sie eher als Abschreckung wirken müssen. Parallel dazu gibt es zahlreiche Sparpreise mit ganz unterschiedlichen Rabattstufen, die stark kontingentiert und oftmals überhaupt nicht erhältlich sind. Die Mengen und Verteilung dieser Sparpreise hält die DB geheim, was ihr regelmäßig Kritik der Verbraucherschützer einbringt. Die bemängeln, dass die viel beworbenen günstigen Preise oftmals überhaupt nicht erhältlich seien und insofern unlautere Werbung darstellten. Und um es noch komplizierter zu machen, gilt für diese Sparpreise zwar die BahnCard 25 als zusätzlicher Rabatt, die sehr viel teurere BahnCard 50 ist aber wertlos – was dazu führt, dass viele Bahn-Vielnutzende beide BahnCards haben und die BahnCard 50 schleichend entwertet wird.
Doch damit nicht genug: Neben den regulären Sparpreisen gibt es inzwischen spezielle Sonderangebote, die nicht auf der Bahn-Website, sondern nur über Fernbus-Portale zu buchen sind. Damit möchte die DB der neuen Fernbus-Konkurrenz etwas entgegensetzen, sorgt aber gleichzeitig für Ärger bei ihren Dauerkunden, die deutlich mehr bezahlen. Und immer wieder gibt es Sondertickets, die wahlweise über Billigdiscounter, Kaffeeketten oder in Online-Aktionshäusern zu kaufen sind – und für die wiederum überhaupt keine BahnCards gelten.
Insgesamt kann man dieses Preissystem nicht anders als ein großes, unübersichtliches Flickwerk bezeichnen, zu dem regelmäßig neue Flicken hinzukommen. Für die Kundinnen und Kunden hat das nicht nur die unangenehme Konsequenz, in diesem Flickwerk ein gutes Angebot für ihre Reise finden zu müssen, sondern es schafft vor allem auch schlechte Stimmung gegenüber der Bahn: Die Reisenden haben nämlich immer wieder das – nicht ganz unberechtigte – Gefühl, dass sie gerade wieder einmal teurer unterwegs sind als nötig. Dazu kommt eine riesige Diskrepanz zwischen den angebotenen Preisen: Eine Strecke, deren Normalpreis 142 Euro beträgt, ist über einen Sparpreis mit viel Glück für 29 Euro buchbar – der Preisunterschied beträgt also mehr als einen Faktor vier.
Damit ist die zweite entscheidende Frage, ob das Bahnfahren mit den diversen Veränderungen des Preissystems letztlich teurer oder günstiger geworden ist, kaum zu beantworten. Für konsequente Schnäppchenjäger, die auf wenig nachgefragten Strecken unterwegs sind, denen die Reisezeiten egal sind und die keine Flexibilität bei der Wahl des Zuges benötigen, gibt es durchaus günstige Angebote. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Bahnreisenden. Für die anderen schlägt die allgemeine Preissteigerung zu Buche, und da liegt der Schienenverkehr mit einer Preissteigerung von 78,6 Prozent zwischen 1993 und 2013 weit vorne – gegenüber einer Steigerung des allgemeinen Index‘ der Lebenshaltungskosten von gerade einmal 37,1 Prozent. (laut „Verkehr in Zahlen“ 2014/15, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur.)
Bahnfahren ist in den beiden Jahrzenten seit der Bahnreform also auch inflationsbereinigt und nicht nur mit Blick auf die Normalpreise viel teurer geworden. Und nun gab es offensichtlich schon wieder Überlegungen bei der DB, die Bahn-Card 50 zum zweiten Mal abzuschaffen – auch wenn das Management in Anbetracht des Proteststurms schnell zurückgerudert ist und das Thema vorerst auf die lange Bank geschoben hat.
Die DB AG verkündet allerdings froh, dass sie mit dem „Yieldmanagement“ ihres Preissystems die Auslastung der Züge von 43 Prozent 2001 auf inzwischen über 50 Prozent erhöht habe. Was sie dabei jedoch unerwähnt lässt: Parallel hat sie die Kapazität der Züge, gemessen an der Zahl der Sitze im Fernverkehr, erheblich reduziert. Gab es 2001 laut den DB-eigenen Zahlen noch insgesamt 298.867 Sitzplätze in den Zügen von DB-Fernverkehr, waren es 2013 nur noch 204.524 – ein Rückgang um fast ein Drittel. Tatsächlich wurde die höhere Auslastung also ausschließlich durch eine Verknappung des Sitzplatzangebots erreicht – und damit nicht primär durch die Auswirkungen der Preissteuerung. Die Folge ist zum Beginn und Ende jedes Wochenendes und erst recht zu Feiertagen zu beobachten: Die Züge sind inzwischen regelmäßig stark überfüllt, weil es keine Reservezüge oder zusätzlichen Wagen mehr gibt, die nach Bedarf auf die Strecke geschickt werden könnten.
Noch komplizierter ist das Preissystem der Bahn, wenn man die Verkehrsverbünde mit einbezieht. Jeder Verbund hat nämlich seine eigenen Tarife und Regelungen, und auch hier geht es munter durcheinander: Mit einer BahnCard erhält man nämlich wahlweise gar keinen, 25 Prozent oder 50 Prozent Rabatt, teilweise sogar innerhalb des Verbundes unterschiedlich. Die Verkehrsverbünde argumentieren, dass die BahnCard von der DB AG verkauft werde – und sie deswegen nicht zur Anerkennung verpflichtet seien. Auch das treibt wieder absurde Blüten: Oft ist es für BahnCard-Inhaber nämlich günstiger, eine Fahrt über die Verbundgrenze hinaus zu buchen, auch wenn sie gar nicht so weit fahren wollen, weil sie dann unter den DB-Nahverkehrstarif statt unter den Verbundtarif fallen und ihre BahnCard anerkannt wird.
Unterm Strich bleibt also: Das Preissystem im Bahnverkehr ist extrem kompliziert und gleichzeitig bis auf wenige Ausnahmen auch sehr teuer. Beides führt dazu, dass Kunden vom Bahnfahren abgeschreckt werden; für eine Verlagerung von Verkehr auf die Schiene ist es denkbar ungeeignet. Und wenn offensichtlich nicht einmal die Auslastung der Züge durch dieses Preissystem gesteigert wurde, ist letztlich nicht einmal die Absicht der DB AG aufgegangen.
Es ist also Zeit, über ein ganz neues Preissystem bei der Bahn nachzudenken – kundenfreundlich, übersichtlich und fair. Das Nebeneinander der Systeme und Sparpreisbedingungen muss ein Ende haben, der Normalpreis muss wieder normal und bezahlbar sein – ohne monatelanges Frühbuchen und Zugbindung. Primäres ziel sollte nicht sein, möglichst viel von der Kundschaft „abzuschöpfen“, sondern jeder Fahrgast sollte als potenzieller Vielnutzender betrachtet werden – die zufrieden sein und gerne wiederkommen sollen.
Ein solches Preissystem müsste letztlich nicht von der DB AG sondern vom Bund kommen. Nur damit könnte es im gesamten öffentlichen Verkehr gültig sein und damit auch ermöglichen, durchgehende Tickets von jedem beliebigen Ort des Landes zu jedem anderen zu kaufen. Dabei kann wie so oft im öffentlichen Verkehr die Schweiz als Vorbild dienen, wo es genau eine solche Regelung mit dem „direkten Verkehr“ schon seit langer Zeit gibt – und extrem erfolgreich ist.
Die DB muss verstehen, dass der Großteil der Bahnreisenden keine Schnäppchenjäger sind, die stunden- und tagelang nach irgendwelchen Billigangeboten suchen und dann mit Zügen zu unpassenden Zeiten fahren wollen, sondern dass sie möglichst einfach buchen und zu einem fairen Preis und flexibel unterwegs sein wollen. Genau diese Flexibilität ist nämlich die große Stärke der Bahn gegenüber anderen Verkehrsmitteln – besonders den Fernbussen und dem Flugzeug: Züge fahren auf den meisten Strecken im stündlichen oder zweistündlichen Taktfahrplan von morgens bis abends, und bei einem ausreichenden Platzangebot in den Zügen können die Reisenden diese Flexibilität auch wirklich nutzen.
Diesen Vorteil sollte die Bahn sich nicht selbst durch die Notwendigkeit des Frühbuchens kaputtmachen, sondern stattdessen offensiv damit werben. Und sie darf nicht jeden einzelnen Zug daraufhin optimieren, dass er für sich Gewinn machen soll, sondern muss ihr Angebot im Zusammenhang verstehen: Auch ein nicht voll besetzter Zug am Abend macht im Rahmen des Gesamtangebots Sinn. Diesen Zug aus rein betriebswirtschaftlichen Erwägungen zu streichen, wie es die DB leider immer wieder tut, macht genau den Systemnutzen kaputt.
Die BahnCard muss wieder einheitlich und erschwinglich werden. Auch hier macht die Schweiz es vor: Dort gibt es ein einheitliches „Halbtax-Ticket“, das im gesamten Land für jeglichen öffentlichen Verkehr den Preis halbiert. Es ist also umfassend nutzbar und wird nicht durch alternative Rabatte wie bei uns entwertet. Die heutigen 255 Euro für die BahnCard 50, immerhin auch inflationsbereinigt fast eine Verdoppelung seit der Bahnreform 1994, sind in Anbetracht der Tatsache, dass diese BahnCard bei weitem nicht überall gilt, deutlich zu hoch. Und ebenso erschwinglich sollte auch die BahnCard 100 als ultimative Mobilitätskarte sein, denn so gewinnt man wirkliche Dauerkunden für die Bahn. Bei Preisen jenseits von 4000 Euro bleibt die BahnCard 100 jedoch – anders als das zur deutlich größeren Leistung günstigere „Generalabonnement“ in der Schweiz – ein Nischenprodukt.
Und noch etwas muss das Angebotskonzept des Bahn-Fernverkehrs widerspiegeln: Es gibt ganz unterschiedliche Kundenbedürfnisse. Die einen wollen schnell ankommen und zahlen dafür einen höheren Preis, andere sind mit mehr Zeit unterwegs und wollen lieber weniger zahlen oder umsteigefrei reisen. Die zweite Gruppe hatte die DB AG im Fernverkehr lange vergessen und merkt nun mit dem Erfolg der Fernbusse, dass diese Menschen nicht sowieso Bahn fahren.
Die unterschiedlichen Reisebedürfnisse müssen sich bei den Zugangeboten und damit verbunden in den unterschiedlichen Preisen wiederfinden – und auch das ist keine neue Erfindung: Dafür gibt es die klassische Unterscheidung zwischen dem sehr schnellen ICE, dem schnellen IC und bis Anfang der 2000er Jahre dem InterRegio. Stattdessen fahren inzwischen auch auf vielen langsamen Strecken ICEs und ICs, so dass die unterschiedlichen Produkte kaum noch erkennbar sind. Wir brauchen wieder eine klare Unterscheidung der Zuggattungen und Wahlmöglichkeiten mit Blick auf Geschwindigkeit und Preis: Der InterRegio-Express zwischen Hamburg und Berlin darf keine einzelne Strecke bleiben, sondern daraus muss wieder ein deutschlandweites Netz von InterRegios werden – mit der Möglichkeit, auf vielen Strecken alleine durch die Zugwahl sehr viel günstiger, aber auch bequem und oftmals ohne Umsteigen unterwegs zu sein. So kann die Bahn auch ohne Schnäppchenangebote sehr günstig sein – und das transparent und nachvollziehbar.
Dieser Artikel von Bernhard Knierim ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2015, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.