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Nachhaltigkeit – ein Gummiwort, genutzt für Inhalte von Prozessen und Zielen, egal ob für unternehmerische PR oder in der (Umwelt-)Politik. Nachhaltigkeit – im ursprünglichen forstwirtschaftlichen Sinn – die Natur so zu bewirtschaften, dass die heutige aber auch zukünftige Generationen davon profitieren können – dies sollte im Zusammenhang mit Naturschutzmaßnahmen eine Selbstverständlichkeit sein, möglicherweise sogar originäres Ziel.

Wenn im Rahmen von Infrastrukturprojekten Kompensationsmaßnahmen entstehen, bei denen Gartenbaubetriebe Heu und Fallobst planmäßig auf eine Deponie fahren müssen, da keine Nutzer für diese Naturprodukte existieren, stellt sich (unabhängig davon, dass Streuobstwiesen für den Naturhaushalt tatsächlich wertvoll sind) die Frage nach dem Sinn solcher Maßnahmen.

Die Ausgangssituation

Vorhaben die in die Natur eingreifen gibt es viele. Hierzu gehören – um nur ein paar zu nennen - die kommunale Bauleitplanung, um den Bau von Einfamilienhäuser, Einzelhandel und Gewerbebetrieben zu ermöglichen, der oberflächennahe Abbau von Rohstoffen wie Sand oder Gestein aber natürlich auch große Infrastrukturvorhaben rund um den Transport von Menschen, Waren und Energie.

Zurzeit werden für solche Vorhaben in Deutschland täglich Flächen in einer Größe von rd. 120 Fußballfeldern neu versiegelt bzw. dem Naturhaushalt dauerhaft entzogen.

Jedes dieser Projekte, das in die Natur eingreift, muss diese Eingriffe - entsprechend der sogenannten Eingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes - auch wieder ausgleichen, was nicht wirklich gut gelingt. In verschiedenen Untersuchungen der letzten Jahre konnte immer wieder festgestellt werden, dass die Umsetzungsrate von Kompensationsmaßnahmen gerade mal in der Nähe von 60 % liegt. Und dies bedeutet noch nicht, dass das mit einer Maßnahme verfolgte Ziel auch erreicht wird, der Zielerreichungsgrad dieser umgesetzten Maßnahmen ist nochmals niedriger (1).

Zu Recht wird daher die Eingriffsregelung seit ihrer Einführung im Jahr 1976 von intensiven Diskussionen u.a. um ihre Vollzugsprobleme begleitet.

Hintergrund: Eingriffsregelung

Zur Vereinfachung steht in diesem Beitrag die Eingriffsregelung stellvertretend für einen ganzen Strauß von naturschutzrechtlichen Themen und Prüfinhalten, nämlich für:

  • die Eingriffsregelung selbst (Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, §§ 13ff BNatSchG),
  • den Schutz der Natura-2000-Gebiete (Schadensbegrenzungs- und Kohärenzsicherungsmaßnahmen den europäischen Biotop- und Artenschutz in den Fauna-Flora-Habitat- und Vogel-Schutzgebieten (FFH), § 34 BNatSchG),
  • den besonderen Artenschutz (vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen und Kompensatorische Maßnahmen, §§ 44f BNatSchG) und
  • die Vorsorge zur Vermeidung von Umweltschäden (§ 19 BNatSchG).
  • Ihnen allen ist gemein, dass im Rahmen der verschiedenen Prüfungen, Kompensationsmaßnahmen entstehen, welche im Landschaftspflegerischen Begleitplan definiert werden und im Rahmen der Baumaßnahme umzusetzen sind.

Das Problem

Der Grund hierfür liegt im System der Baurechtsschaffung und ist über alle Vorhabenträger von Infrastruktur- bzw. Baumaßnahmen verbreitet. Nach der Baurechtsschaffung steht die Realisierung der Infrastruktur im Vordergrund und das Interesse an der Umsetzung von Naturschutzmaßnahmen tritt in den Hintergrund (oder zumindest in Richtung Projektende).

Infrastrukturprojekte jeder Größenordnung leiden daher auch an einem starken Auseinanderdriften der „Bauzeit Technik“ und der nachlaufenden „Bauzeit Naturschutz“.

Da Planungsauftrag und -grundlage bei großen Verkehrsprojekten aus dem Bundesverkehrswegeplan abgeleitet werden, gilt das öffentliche Interesse als gegeben. Einer Durchsetzung dieses Baurechts auch gegen mögliche Widerstände der Betroffenen steht wenig im Wege, da diese Projekte über den Weg der Planfeststellung durchgeführt werden, die durch ihre Konzentrationswirkung ein sehr mächtiges Verfahren ist um Baurecht zu schaffen. Die „Sozialbindung“ des Eigentums räumt hier dem „Wohl der Allgemeinheit“ den Vorrang ein und ermöglicht so Enteignungen nicht nur für den Bau der eigentlichen Infrastruktur sondern z.B. auch für die Pflanzung von Bäumen oder die Anlage von Grünland (2).

Gerade dem wesentlichen Hindernis bei der Umsetzung von Kompensationsmaßnahmen wird damit noch Vorschub geleistet – der mangelnden Flächenverfügbarkeit in der späteren Umsetzungsphase. Die Planung von Kompensationsmaßnahmen kann am grünen Tisch erfolgen, vollkommen losgelöst vom Einverständnis der Eigentümer in Bezug auf die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke.

Regelmäßig scheitert daher der Versuch, Naturschutzmaßnahmen wie geplant umzusetzen. Die dann erforderlich werdenden Änderungen der Planung nehmen sich erst im Nachgang der vorher verschleppten Themen an. Hieraus entsteht eine Planung, die zwangsläufig auch Fragmente der Ursprungsplanung enthält und qualitativ immer nur eine „Notlösung“ sein kann.

Zur zeitlichen und flächenmäßigen Größenordnung

Für den Bau der Neubaustrecke von Köln nach Frankfurt (Köln – Rhein/Main) wurden durch die reinen Gleisanlagen rund 200 ha Fläche in Anspruch genommen, rechnet man hier die Böschungen und Seitenwege hinzu, beläuft sich der beanspruchte Grund auf rund 700 ha. Der hierfür geplante und inzwischen auch geleistete Kompensationsumfang belief bzw. beläuft sich auf 2.000 ha. Als Mitte der 90er Jahre mit dem Bau der Trasse begonnen wurde, stellte sich heraus, dass 80 % der – überwiegend auf landwirtschaftlichen Flächen – geplanten Kompensationsmaßnahmen nur gegen den Widerstand der Eigentümer umzusetzen gewesen wäre.

Da theoretisch mögliche Enteignungen in dieser Größenordnung von keinem der Projektpartner gewollt waren, nahm die Suche nach tatsächlich realisierbaren Naturschutzmaßnahmen, die Durchführung von Planänderungsverfahren, die Erarbeitung von Umsetzungskonzepten und letztendlich die Realisierung der Maßnahmen nahezu 20 Jahre in Anspruch, so dass der letzte Baum tatsächlich erst in diesem Herbst gepflanzt werden kann.

Die Qualität der – oft mit den ortsansässigen Landwirten - umgesetzten Einzelmaßnahmen ist bislang durchweg gut. Aus den Zwängen heraus, jedes überhaupt verfügbare Stück Land beplanen zu müssen, entstand jedoch eine Planung, die hunderte von Kleinstmaßnahmen umzusetzen hatte. Unzählige Streuobstwiesen, Feldgehölze und andere Kompensationsmaßnahmen sind z.T. kilometerweit voneinander entfernt angelegt worden, die Kontrolle dieser Maßnahmen wird zukünftig eine enorme logistische Leistung verlangen.

Aktuelle Erfordernisse und neue Hierarchien im Naturschutzgesetz

Nun hat sich seit Anbeginn der Planungen von Köln – Rhein/Main doch einiges geändert, so ist es für Vorhabenträger seit Einführung von FFH-Verträglichkeits- und Artenschutzprüfung noch dringender geworden, Kompensationsmaßnahmen nicht nur umzusetzen sondern auch frühzeitig für die Funktionsfähigkeit garantieren zu können, einfach weil die Genehmigungsfähigkeit eines Bauprojekts vom Funktionieren der vorgesehen Maßnahmen abhängen kann. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in der Novelle des Bundesnaturschutz-Gesetz (BNatschG) 2010 auch auf die grundsätzlichen vorgenannten Vollzugsdefizite reagiert.

So wird die Möglichkeit der Kompensation dadurch erleichtert, dass der bisherige Vorrang von funktional gleichartigem Ausgleich vor nur gleichwertigem Ersatz entfällt. Die Flächensuche wird von der Nähe zum unmittelbaren Eingriffsort gelöst und durch die Möglichkeit großräumig erleichtert, im selben der deutschlandweit bestehenden 73 Naturräume (3) zu kompensieren. Weiterhin werden explizit Möglichkeiten ohne nennenswerten Flächenbedarf, nämlich zur Entsiegelung, zum Rückbau und für Maßnahmen der Biotopverknüpfung geschaffen.

Neben diesen Erleichterungen gibt es aber auch echte Herausforderungen für Vorhabenträger und Behörden. Zum einen muss der Vorhabenträger schon zum Zeitpunkt der Planung (und nicht erst irgendwann Jahre später) die Verfügbarkeit der beplanten Flächen nachweisen.

Zum anderen sind bei der Inanspruchnahme von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen vorab die neugeschaffenen Möglichkeiten der Entsiegelung etc. tatsächlich auch zu prüfen. Alle Daten zu Kompensationsmaßnahmen sind außerdem den Landesbehörden zu übergeben, die hierfür in den vergangenen Jahren Datenbanken eingerichtet haben. Dies ist insofern bedeutsam, als der Wortlaut des Gesetzes in diesem Zusammenhang eine strikte Prüfungspflicht der Behörden gegenüber den Vorhabenträgern nicht nur vorsieht, sondern über die Datenbanken erstmals auch überhaupt ermöglicht. Das ist auch im Einklang des novellierten BNatschG: effektiv zum Abbau der vielfach konstatierten Vollzugsdefizite im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung beizutragen.

Es geht besser und funktioniert

Die allgegenwärtige Planungspraxis - basierend auf der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) - bietet für die neuen Anforderungen keine Lösung. Weder die tatsächliche Realisierbarkeit noch die Art der Umsetzung und der dauerhaften Unterhaltung von Naturschutzmaßnahmen sind bei einer HOAI-Planung Inhalt der Genehmigungsplanung.

Die Umsetzung des im Weiteren vorgestellten Konzeptes begann 2007 und erfolgte im Rahmen der Planung zum Planfeststellungsabschnitt 1 (PA1) der Neubaustrecke Rhein/Main - Rhein/ Neckar (RMRN). Die Planungen zu RMRN wurden Anfang 2011 ausgesetzt, da der Projektzuschnitt im Rahmen der Fortschreibung des BVWP vom BMVBS z.Zt. überprüft wird. Der Kompensationsflächenbedarf für die rund 80 km lange Strecke wird sich zw. 1.000 und 1.500 ha belaufen.

Das Vorgehen unterscheidet sich vom vorgenannt skizzierten: Die Prämisse, dass nur Maßnahmen geplant werden, für die die Flächenverfügbarkeit und über einen entsprechenden Partner auch die Umsetzbarkeit und die dauerhafte Unterhaltung garantiert werden können, wurde schon zum Projektstart gesetzt.

Für die Größenordnung des Projektes kamen hier vorrangig Partner in Frage, die über nennenswerten Flächenbesitz verfügen. Dies sollten immer insolvenzsichere Partner sein, wie beispielsweise Forst- und oder Domänenverwaltungen der Länder, Kommunen, Öko- oder Flächenagenturen, Bundeswasserstraßenverwaltung, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bundesforst), Stiftungen o.ä.

Tatsächlich stellte sich heraus, dass im hochverdichteten und zusätzlich intensiv landwirtschaftlich genutzten Rhein/Main - Rhein/Neckar Raum nur die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben über Flächen im benötigten Umfang verfügt. Durch den Rückzug der amerikanischen Streitkräfte wurden innerhalb des hier maßgeblichen Naturraums Liegenschaften in größerem Umfang freigesetzt.

Überhaupt ist das bundesweit vorhandene Flächenpotential enorm. Seit dem Jahr 2000 wurden von vormals militärisch genutzten Flächen rund 800 km² von den Streitkräften verlassen und auch von den aktuell noch militärisch genutzten rd. 4000 km² werden im Rahmen der Bundeswehrreform und aufgrund von Abzugsplänen der Stationierungsstreitkräfte in den nächsten Jahren noch weitere Flächen freigesetzt (4). Die Sicherung und Nutzung solcher Flächen drängt sich für Kompensationsmaßnahmen – wenn dafür geeignet - geradezu auf.

Das Ergebnis

Das Ergebnis, das in den letzten fünf Jahren als vorgezogene Kompensation für die noch nicht vorgenommenen Eingriffe für RMRN erzielt werden konnte, nämlich die Umsetzung von rund 250ha Kompensationsmaßnahmen auf nur drei zusammenhängenden ehemaligen Militärflächen, lässt sich wirklich sehen: Seit September 2009 leben vom Aussterben bedrohte Przewalski-Urwildpferde auf einem ehemaligen Militärübungsplatz in Hanau und leisten wertvolle Landschaftspflege-Dienste.

Die Schwierigkeiten, die es hierbei natürlich auch gab, sollen unberichtet bleiben – nur so viel sei gesagt: Es ist möglich, für sinnvolle Kompensationsmaßnahmen auch ohne Baurecht, selbst Jahre vor einem wahrscheinlichen Baubeginn und sogar im Rahmen von großen bundesfinanzierten Infrastrukturprojekten eine Finanzierung auf die Beine zu stellen, ebenso wie es möglich ist Behörden davon zu überzeugen, dass eine rein aus Naturschutzrecht-Sicht perfekte Planung nur so viel wert ist, wie ihre späteren tatsächlichen Realisierungschancen.

Es lohnt sich für alle Beteiligten Kompromisse einzugehen – sowohl für Genehmigungs- und Kontrollbehörden, als auch für Geldgeber und Bauherrn. Denn nur so – frühzeitig, dauerhaft und großflächig lassen sich alle vorgenannten Vollzugsdefizite vermeiden, Kontrollen effektiv durchführen, Fehler gesamthaft reduzieren (oder korrigieren) und letztendlich Qualität für den Naturschutz garantieren.

In Kürze

Durch frühzeitige, umfassende und abschließende Planung tatsächlich realisierbarer naturschutzrechtlicher Kompensationsmaßnahmen wird zusätzliche Angriffsfläche im Rahmen von Infrastrukturprojekten vermieden, Planungsaufwand und –kosten reduziert, Zeitverzug bei der Baurechtsschaffung und Projektabschlüssen vermieden. Dies ist bislang nicht die Regel, profitieren können alle davon, Gesellschaft, Behörden, Bauherren und nicht zuletzt die Natur.

Quellen:

(1) Quelle Tischew et al. (2004)

(2) Zumindest war dies auch in höchstrichterlichen Entscheiden bis zur Novelle des BNatschG 2010 so. Wie die Rechtsprechung mit der neuen Gesetzesgrundlage umgeht, bleibt abzuwarten.

(3) www.bfn.de > Themen > Natura 2000 > Großraum

(4) Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage – Naturschutz und Forstwirtschaft auf Truppenübungsplätzen in Deutschland - Drucksache 17/9101, 20. 04. 2012

/p> Dieser Artikel von Matthias Mähliß ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2012, erschienen. 

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