In der letzten Ausgabe der mobilogisch stellte Bernhard Knierim an dieser Stelle seine Kritik am DB-Preissystem dar. Ein besonderer Dorn im Auge ist ihm die Auslastungssteuerung, die in unterschiedlichen Fahrpreisen für eine Strecke mündet. Auch ich wünsche mir eine bezahlbare Bahn, die von möglichst vielen Menschen genutzt wird - aus ökologischen wie sozialen Gründen. Steht diesem Ziel aber eine marktorientierte und nachfragebasierte Preisbildung entgegen? Ich meine jein.
Eigentlich wäre es für mich in Ordnung, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse und Komfortansprüche der Fahrgäste sowie die extrem schwankende Nachfrage im Verkehr in unterschiedliche Fahrpreise münden. Warum sollen preissensible Kund_innen kampflos Fernbus und Flugzeug überlassen werden und umgekehrt durch ein insgesamt niedrigeres Preisniveau Einnahmen von Geschäftsreisenden und Gutverdienern verschenkt werden? Zudem sind nachfrageabhängig schwankende Preise im Flug- und Fernbusverkehr akzeptiert. Es gibt nur eine wichtige Voraussetzung: Marktmechanismen und -preise müssen bei allen Verkehrsträgern gelten. Sobald es eine flächendeckende, nachfrageabhängige Bepreisung von Parkraum und Straßen gibt und im Flugverkehr Steuern auf Kerosin und Tickets gezahlt werden, sehe ich keine Notwendigkeit auf ein Preissystem mit Steuerungseffekt im Bahnverkehr zu verzichten.
Insbesondere auf Straße und Schiene ist die Auslastung der vorhandenen Infrastruktur extrem unterschiedlich. An wenigen Stunden am Tag kann die Nachfrage kaum bewältigt werden, die restlichen etwa 80-90 Prozent der Zeit sind die vorhandenen Verkehrsanlagen nicht vollständig ausgelastet. Was liegt da näher als Anreize zu setzen, Fahrten zeitlich zu verschieben oder auf Strecken zu lenken, die geringer ausgelastet sind? Angesichts allörtlicher Forderungen nach dem Ausbau von Straßen und Schienenstrecken könnte die konsequente Anwendung von Marktmechanismen Ausbaumaßnahmen unnötig machen. Das wäre nicht nur volkswirtschaftlich mit Blick auf den hohen Unterhaltungsbedarf des bestehenden Netzes ein wichtiger Schritt sondern auch ökologisch, um eine weitere Betonierung und Verlärmung zu vermeiden.
Richtig ist, dass die Anzahl der Fahrgäste im Schienenfernverkehr in den letzten Jahren nicht wesentlich zugenommen hat. Angesicht von Fahrgastverlagerungen auf den Nahverkehr und einer steigenden Steuerlast ergibt sich für mich daraus aber kein Rückschluss, dass eine Auslastungssteuerung generell ungeeignet ist. Ebenso wenig die Tatsache, dass sich zweifellos nur ein Teil des Verkehrsaufkommens in nachfrageschwachere Zeiten verlagern lässt.
Als Positivbeispiel verweist Bernhard Knierim auf die BahnCard50 und das schweizerische Halbtaxabo, die Inhabern einen im Vergleich zu anderen Branchen ungewöhnlich hohen Rabatt von 50 Prozent gewähren. Im Umkehrschluss erzwingt die massenhafte Ausgabe rabattierter Fahrkarten hohe Normalpreise, um Einnahmen zu erzielen. Die hohen Normalpreise werden aber nur von 10 Prozent der Fahrgäste gezahlt, prägen aber das Bild vom teuren Bahnverkehr maßgeblich. Wie viele Fahrgäste werden so Tag für Tag abgeschreckt? Zudem steht die Bahn in Deutschland viel stärker als in der Schweiz im Wettbewerb mit dem Flug- und Fernbusverkehr. Das Preissystem sollte entsprechend darauf reagieren, auch wenn dies das Ende der BahnCard50 mit hohem Rabatt bei voller Flexibilität bedeutet.
Beim Ruf nach einem niedrigen Preisniveau ist allerdings wichtig zu bedenken, dass - solange die Wettbewerbsverzerrung zwischen den Verkehrsträgern andauert - die Bahn preislich nicht mithalten kann. Laut www.fernbusse.de kostet die Fahrt im Fernbus 5,7 Cent je Kilometer. Im Schienenfernverkehr liegt der Kilometerpreis ohne Ermäßigung je nach Entfernung und Relation bei etwa 30 Cent (wobei DB-Fernverkehr gerade mal elf Cent pro Kilometer einnimmt). Laut ADAC liegen die Kosten pro Kilometer im Pkw zwischen 30 und 60 Cent, also sogar über dem Normalpreis und deutlich über den durchschnittlich von Reisenden tatsächlichen bezahlten Kilometerpreis. Allerdings haben die meisten (potentiellen) Bahnkunden ein Auto zur Verfügung und werden alleine deshalb auch in Zukunft nicht Vollkosten als Vergleichsgrundlage nehmen. Zweifellos ist ein Preissystem, bei dem die tatsächlichen Einnahmen nur 1/3 des regulären Preises betragen, alleine schon aus Imagegründen überarbeitungsbedürftig. Dennoch wird es nur über den Fahrpreis nicht gelingen, nennenswerte Marktanteile für die Schiene zu gewinnen. Wichtig ist deshalb ein Blick auf die Wettbewerbsvor- und -nachteile:
Zu den (nicht ausgeschöpften) Systemvorteilen gehören verlässliche und weitgehende witterungsunabhängige Ankunftszeiten, ein höherer Fahrkomfort und die Möglichkeit die Fahrzeit zu nutzen. Mit besseren Anschlüssen (integrale Taktknoten) könnten auch vielen Relationen wettbewerbsfähige Fahrzeiten angeboten werden.
Verpasst wurde leider die Ausstattung der Fahrzeugflotte kontinuierlich den Ansprüchen anzupassen (Klimaanlage, Steckdosen, Wi-Fi) oder Vorteilen der Konkurrenz wie der Sitzplatzgarantie im Auto, Bus und Flugzeug durch kostenlose oder wenigstens sehr günstige Online-Buchungen entgegen zu treten. Ein weiterer Pluspunkt könnte eine großzügige Kundengarantie (Vorbild 10-Minuten-Garantie in Verkehrsverbünden) als Bekenntnis zur Bedeutung pünktlicher Ankunftszeiten und Abgrenzung zur Konkurrenz sein.
Den richtigen Weg eingeschlagen hat die DB mit Kooperationen und Rabatten bei Car- und Bikesharern. Denn: Wer kein eigenes Auto hat, muss auch nicht bei jeder Fahrt durch Schnäppchenangebote gelockt werden. Unerlässlich ist zudem ein umfassendes Bonusprogramm, das ökonomische Vorteile und emotionale Elemente vereint. Hier besteht bei der Deutschen Bahn, die Bahn-Stammkunden allen Ernstes Fluggutscheine offeriert, sicher noch Verbesserungsbedarf.
Wichtig finde ich, zwischen der Deutschen Bahn AG und der politischen Verantwortlichkeit zu trennen. Auch ich wünsche mir häufige, umsteigefreie, schnelle und komfortable Verbindungen in ganz Deutschland, zu bezahlbaren Preisen. Das ist aber nicht Aufgabe einer Bahn Aktiengesellschaft sondern dafür brauchen wir ein Fernverkehrsgesetz, das Bedienstandards definiert und die öffentliche Finanzierung sicherstellt.
Maximilian Meyer
Die Bahn wünscht sich eine konstante, hohe Auslastung ihrer Züge – ein durchaus nachvollziehbares Anliegen, wenn er denn nicht mit hohen Kollateralschäden verbunden wäre. „Auslastungssteuerung ist Umweltschutz“ – hinter diese Aussage möchte ich ein großes Fragezeichen setzen.
Immer wieder wird das Flugzeug – wo eine Auslastungssteuerung mit variablen Preisen völlig normal ist – als Hauptkonkurrent der Bahn wahrgenommen, neu dazu kommen nun die Fernbusse – auch diese mit schwankenden Preisen je nach Auslastung. Tatsächlich ist aber mit weitem Abstand nach wie vor das Auto der eigentliche Konkurrent des öffentlichen Verkehrs; über 80 Prozent der Personenverkehrsleistung bleiben motorisierter Individualverkehr. Die meisten potenziellen Fahrgäste entscheiden also nicht zwischen Bahnfahren und Fliegen bzw. Fernbus, sondern zwischen Bahnfahren und Auto. Was macht die nach wie vor enorme Attraktivität des Autos aus? Neben der eigenen Privatsphäre und unkomplizierter Gepäckmitnahme ist es zuallererst die Flexibilität: Der Autofahrer kann jederzeit reisen, wenn ihm danach ist, und er zahlt dafür immer den gleichen Preis. Dieser ist dazu noch relativ gering, nachdem die Entscheidung für die Anschaffung des Autos nebst Kfz-Steuern einmal gefallen ist. Tatsächlich fallen für die Fahrt dann lediglich Sprit- und Verschleiß-Kosten an, wobei letztere oft sogar in der eigenen Über-den-Daumen-Rechnung unterschlagen werden.
Dass diese Kosten des Autofahrens deutlich zu gering sind und viele externe Kosten ausblenden, ist vielfach nachgewiesen und muss politisch schleunigst geändert werden. Die Frage hier ist jedoch, wie die Bahn dagegen ankämpfen kann. Sie kann es kaum, wenn eine Festlegung auf einen bestimmten Zug schon Monate im Voraus notwendig ist, um zu einem Preis reisen zu können, der auch nur annähernd konkurrenzfähig zum Auto ist.
Diese Analyse war die nach wie vor völlig richtige Grundidee der BahnCard: Auch die Bahn-Vielfahrer sollten analog zur Anschaffung eines Autos einmal jährlich vorab zahlen, um dann jederzeit vergleichsweise günstig – zum halben Preis – reisen zu können. Die Logik, warum eine solche BahnCard hohe Normalpreise erzwinge, erschließt sich mir dabei nicht. Sie wurde eingeführt, ohne dass es einen nennenswerten Aufschlag auf die Normalpreise gegeben hätte.
Der Reiz dieses Angebots aus Sicht der Bahn sollte gerade darin liegen, dass sie damit Dauerkundschaft an sich bindet – die dafür ja auch einen mit inzwischen 255 Euro sehr erheblichen Beitrag zahlt. Dass dieser alleine in den letzten zwölf Jahren fast verdoppelte Preis inzwischen deutlich zu hoch ist, zeigt der immer weiter voranschreitende Umtausch von BahnCard 50 gegen die viermal günstigere BahnCard 25: Viele lassen sich doch von der Hoffnung auf all die Schnäppchen leiten, die es wiederum nur mit der BahnCard 25, nicht aber mit der BahnCard 50 gibt, und geben dafür die Flexibilität auf. Kein Wunder, dass all diese Menschen dann von Fahrt zu Fahrt immer neu entscheiden, ob gerade Bahn, Fernbus, Flugzeug oder doch das Auto die günstigere Option ist. Völlig zu Recht wird die BahnCard 25 vor allem „für Einsteiger“ und nicht für Dauerkunden beworben, sie ist eben bei weitem keine solche Kundenbindung wie die BahnCard 50 mit verlässlichem Rabatt zu jeder Zeit.
Und noch an einem zweiten Punkt ist das Auto dem öffentlichen Verkehr in punkto Flexibilität nach wie vor weit überlegen: Dem Autofahrer kann es völlig egal sein, in welchem Bundesland er fährt und um was für eine Straße es sich handelt: Es gelten immer die gleichen Regeln. Nicht so im öffentlichen Verkehr: Hier muss sich die Kundschaft mit unterschiedlichen Tarifsystemen und Bedingungen auseinandersetzen, teilweise sogar mehrere Tickets kaufen – und vieles davon wissen nur die eingefleischten Bahn-Freaks. Ob und welchen Rabatt die BahnCard im Nahverkehr bewirkt, ist z.B. je nach Region völlig unterschiedlich. Hier ist die Schweiz eben doch ein Vorbild: Ein einheitliches und überschaubares Tarifsystem für den öffentlichen Verkehr im ganzen Land ohne einen Wust an unüberschaubaren Sonderangeboten, davon sind wir weit entfernt – und von den daraus resultierenden Nutzerzahlen in der Schweiz erst recht.
Aber ist die gleichmäßigere Auslastung der Züge diese Kollateralschäden vielleicht doch wert, wie Maximilian Meyer schreibt? Die entscheidende Frage dabei ist, ob es wirklich so schlimm ist, wenn Sitzplätze im Zug zeitweise ohne Fahrgäste rollen. Hier gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Bahn und Luftverkehr: Leere Plätze in Zügen lassen sich zuerst einmal nie vermeiden, weil Züge nicht nur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen darstellen, sondern immer viele Orte verbinden – mit der Folge, dass sie nicht auf der ganzen Strecke von Anfang bis Ende gleichmäßig ausgelastet sein können. Die leeren Plätze kosten bei der Bahn aber sehr viel weniger als beim Flugzeug, und sie sind auch nicht sonderlich umweltschädlich: Ein zusätzlicher Wagen macht aufgrund des geringen Roll- und Luftwiderstandes keinen so viel höheren Energieaufwand aus. Dies ist übrigens auch ein Argument für lokgebundene statt Triebwagenzügen, denn hier sind die Kosten pro Sitzplatz nur etwa halb so hoch. Dazu kommt die etwas aus der Mode gekommene Möglichkeit, Wagen je nach Bedarf flexibel an- und abzukoppeln. So muss man nicht die Kundschaft am Zug ausrichten, sondern viel eleganter und kundenfreundlicher geht es umgekehrt.
Auch hier verfolgt die Schweiz eine ganz andere Strategie: Die SBB-Züge fahren beständig in dichtem Takt, auch wenn nicht alle zu jeder Zeit stark nachgefragt sind. Dafür wissen die Fahrgäste, dass sie sich immer auf die Bahn verlassen und zu jeder Zeit flexibel reisen können – und dies immer mit einem Sitzplatz. Reservierungen werden kaum gemacht, da sie schlichtweg nicht notwendig sind. Dieses gute Angebot führt insgesamt zu einer sehr guten Nutzung der Bahn und relativiert die Kosten der leeren Plätze damit erheblich, von dem Umweltvorteil durch die viel stärkere Nutzung der Bahn (Marktanteil in der Schweiz 25% gegen über 8% bei uns) statt anderer Verkehrsmittel ganz abgesehen.
Bei der Frage der weiteren Systemvorteile der Bahn stimme ich Maximilian Meyer vollstens zu: Es geht nicht nur um den Preis, sondern die Bahn sollte in vielen anderen Bereichen deutlich besser werden und damit dann auch offensiv werben: zuallererst Verlässlichkeit und Reisekomfort – wo sie in den letzten Jahren leider nicht geglänzt hat. Aber die Flexibilität, also die Möglichkeit, zu beliebigen Tages- und auch Nachtzeiten (Stichwort: Nachtzüge)reisen zu können, sollte die Bahn auf keinen Fall aufgeben, denn dies ist ihr größter Trumpf, der sie dem Auto ebenbürtig und Flugzeug und Fernbus überlegen macht.
Bernhard Knierim
Beide Autoren beziehen sich auf den Beitrag von Bernhard Knierim „Das Preissystem der Bahn: unübersichtlich“, in der mobilogisch! 1/15, Seite 47 ff
Die beiden Artikel von Maximilian Meyer und Bernhard Knierimsind in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2015, erschienen.
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Um die Verkehrssicherheit von Fußgängern ist es nicht überall gut bestellt, das hat der ökologische Verkehrsclub VCD in seinem diesjährigen Städtecheck festgestellt. Der Grund: viele Kommunen haben den Fußverkehr bisher zu wenig im Blick.
Schon die Bundesstatistik zeigt: Wer zu Fuß geht, wird noch viel zu häufig Opfer eines Verkehrsunfalles mit schweren Unfallfolgen. Besonders kritisch sieht es bei den tödlichen Fußgängerunfällen aus. Der Anteil der getöteten Fußgänger an allen im Verkehr verunglückten lag innerhalb geschlossener Ortschaften in den letzten Jahren bei 33% 2013 sogar bei 40%. (2) Überproportional hoch, gemessen am durchschnittlichen Fußwegeanteil von 24%.
Auch direkt vor Ort in den Städten, zeigt sich Handlungsbedarf bei der Sicherheit von Fußgängerinnen und Fußgängern. Im Städtecheck 2014 wurden die Zahlen der verunglückten Fußgänger/-innen in den deutschen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern untersucht. Für die Jahre 2009 bis 2013 wurde für jede Großstadt mittels der linearen Regression eine Entwicklungstendenz berechnet.
Im Schnitt aller untersuchten 80 deutschen Großstädte ist die Zahl der verunglückten Fußgängerinnen und Fußgänger mit einer jährlichen Steigung von +0,02 % annähernd gleich geblieben. Die einzelnen Großstädten betrachtet, stellt sich die Entwicklung jedoch sehr differenziert dar. In 38 Städte verlief die Entwicklung positiv mit jährlichen Abnahmen bis zu 11 Prozent. In 41 Städten hat die Zahl der verunglückten Fußgängerinnen und Fußgänger in den letzten fünf Jahren jedoch zugenommen. Und das um bis zu 10 Prozent.
Wo laueren die Gefahren? 2012 verunglücken etwa 80% der Fußgänger/-innen beim Überqueren von Straßen. (3) Die räumlichen Unfallschwerpunkte liegen dabei vor allem an belebten Hauptverkehrsstraßen, vorwiegend im Zentrum. Auch Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs wurden als Unfallschwerpunkte genannt. (4)
Autofahrende verursachten Fußgängerunfälle vor allem durch Abbiegefehler oder durch das Nichtbeachten des Fußgängervorrangs. Häufig wird das Fehlverhalten durch eine schlechte Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur begünstigt. So können beispielsweise Fußgängerfurten, die zu weit vom Kreuzungsbereich entfernt sind, dazu führen, dass der Abbiegende seine Pflicht zu warten und nach Fußgängern Umschau zu halten nicht erkennt. Ungünstige Kreuzungswinkel können zu Unklarheiten bei der Vorfahrt führen und schlecht sichtbare Zebrastreifen werden zu Unfallschwerpunkten. (4)
Fußgänger/-innen selbst machen am häufigsten Fehler, wenn sie Straßen an unübersichtlichen Stellen oder trotz roter Ampel überqueren. (5) Diese Fehler werden begünstigt, wenn z.B. an stark belasteten Straßen Ampeln, Mittelinseln oder Zebrastreifen fehlen, (3) sichere Überwege nicht in der Laufrichtung von Fußgängern liegen und somit Umwege erfordern oder weil Wartephasen an Ampeln einfach zu lang sind. (5)
Städte und Gemeinden, die die Wege für Fußgänger/innen sicherer machen wollen, sollten vor allem zwei Punkte im Blick haben:
Beispielhafte Maßnahmen sind die Ausweisung von Tempo 30, um die Häufigkeit und die Schwere von Unfällen im Straßenverkehr deutlich zu reduzieren, denn dadurch halbiert sich der Anhalteweg und Autofahrende bekommen bei niedrigeren Geschwindigkeiten mehr vom Geschehen am Straßenrand mit. Auch die Gestaltung der Straße sollte klare Signale für ein langsameres Fahren geben. Und nicht zu letzt müssen regelmäßige Kontrollen die Einhaltung der vorgegebenen Tempi unterstützen.
Um die Sichtbarkeit von Fußgänger/innen im Straßenverkehr zu erhöhen haben sich viele Maßnahmen bereits bewährt: Gehwegvorstreckungen, Fahrradbügel statt Autoparkplätzen im Kreuzungsbereich oder sogenannte Lollies zur besseren Sichtbarkeit von Zebrastreifen, sind nur ein paar Beispiele.
Der VCD Städtecheck 2014 stellt an fünf Beispielstädten und mit einer umfassenden Beispielsammlung eine Vielzahl bewährter Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Fußverkehr vor, die sich auch mit geringem Budget und kurzfristig umsetzen lassen. Und das ist dringend erforderlich, denn aus der ergänzenden qualitativen Befragung der untersuchten Städte wird deutlich, dass der Fußverkehr im Vergleich zum Radverkehr in vielen Städten weder explizit gefördert noch analysiert wird.
Städte, die sich für den Radverkehr engagieren, können zwar auch von den Synergien für Fußgänger profitieren. Diese „Mitnahmeeffekte“ greifen jedoch für die Altersgruppen Kinder und ältere Menschen – die besonders viel gehen - nicht im gleichen Maße. Langfristig können die Unfallzahlen im Fußverkehr nur mit einem Bündel unterschiedlicher Maßnahmen, wie im VCD Städtecheck beschrieben, gesenkt werden.
Auch die Attraktivität des Fußverkehrs hat indirekt Einfluss auf die Sicherheit. Wie die VCD Studie zeigt, sind Fußgänger umso sicherer unterwegs, je mehr Wege zu Fuß zurück gelegt werden. Denn je mehr Menschen zu Fuß unterwegs sind, umso bewusster werden sie von allen Verkehrsteilnehmern wahrgenommen und beachtet. Bei Städten mit einem geringen Fußgängeranteil (bis zu 15 %) verunglücken Fußgänger/innen so häufig, wie es ihrem Anteil an den Wegen entspräche. In Städten mit überdurchschnittlich hohem Fußgängeranteil (mehr als 25 % Fußwege) verunglücken Fußgänger gemessen am Fußwegeanteil, nur noch weniger als halb so oft.
Dieser Artikel von Anna Haenel ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2014, erschienen.
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Die Äußerung der Aussage in der Überschrift sollte man sich überlegen. Sie ähnelt rechtlich gesehen dem Spruch „Soldaten sind Mörder“. Und für diese Verallgemeinerung kann und konnte man Ärger bekommen. - Das war nicht die einzige Erkenntnis, die die Macher der „Wegeheld-App“ erleben mussten.
Der erste Versuch, die alterwürdigen „Parke nicht auf unseren Wegen“-Aufkleber mit einer digitalen Version zu ergänzen, wurde vor etwa sechs Monaten gestartet. Leider wurde der etwas unglückliche Name „Straßensheriff“ gewählt (eigentlich nur wegen des Gags, den „altdeutschen“ Namen des Initiators Heinrich Strößenreuther in die heutige Zeit zu transferieren.)
Das Medienecho war auch bereits damals beeindruckend. Wobei der Trend in die Richtung ging, die App bzw. die Macher als „Blockwarte“, „Stasi“, „NSA“ und Ähnliches zu bezeichnen. Die Version 2.0 der App wurde daher im Ton „entschärft“, es wird deutlich Wert auf Dialog und Anonymisierung gesetzt. Der Schritt, das falsch abgestellte Fahrzeug ans Ordnungsamt zu melden, ist erst der letzte in einem dreistufigen Verfahren. Viel genutzt hat es nicht: „Petze“ ist noch ein eher harmloser Begriff in den Medien.
Nach dem Laden bestimmt die App zunächst den Standort des Nutzers, der dann einen Vorfall aus einer vorgegebenen Liste (z.B. „Fahrzeug vor Bordsteinabsenkung“ oder „auf Gehweg-Ecke“) und einen Fahrzeugtyp aus einer ebenfalls vorgegebenen Liste auswählt und den Fall auf wegeheld.org postet. Wahlweise können diese Posts mit folgenden Optionen versehen werden:
Je nach Sicht und Betroffenheit bedauerlich oder erfreulich: Die Mail ans Ordnungsamt ist juristisch gesehen keine Anzeige. Ursprüngliche Pläne der Macher ließen sich aus rechtlichen Gründen nicht verwirklichen.
Zwar bezieht sich die inhaltliche Argumentation auf der Website überwiegend auf den Radverkehr, jedoch sind in der Nutzungsfunktion Fußgänger gut vorgesehen (z.B. sind alle Arten von Behinderungen durch Falschparker in der Auswahl vorhanden.)
Das Straßenverkehrsamt Frankfurt am Main ist nicht begeistert von der neuen Smartphone-Anwendung. Eine Zusammenarbeit könne man sich nicht vorstellen. Für den Leiter des Straßenverkehrsamts sind die eingehenden Nachrichten der „Wegeheld“-Nutzer nicht anders zu behandeln als die täglichen Anrufe von erbosten Bürger/innen. „Denen gehen wir, sofern es unsere personellen Kapazitäten zulassen, nach“. Das Ordnungsamt der Stadt ist sich noch unsicher, wie man damit umgehen soll. Hingewiesen wird jedoch, dass bereits jetzt viele Bürger/ innen Fotos per Mail an das Amt schicken. Die App sei nur ein halbwegs neues Medium.
Das Ordnungsamt von Berlin-Pankow dagegen zeigte sich anfangs interessiert und kooperationsbereit, wurde jedoch später „von oben zurückgepfiffen“.
Die App polarisiert und Diejenigen, die die Funktion als denunziatorisch denunzieren, agieren lauter als die, die die App nutzen. Es wird die Angst geäußert, dass das Agieren mit der App das „Klima zwischen Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern verschlechtert“ werden würde. Das alte Spiel: Der Bote der schlechten Nachricht ist schuld. Nicht dass Sie jetzt etwa denken, das schlechte Klima hätte ursächlich etwas mit den Falschparkern zu tun. Die Leute, die sich jetzt empören, sind wahrscheinlich still, wenn über Apps und Radio die Standorte der Tempokontrollen durchgegeben werden. Bei aller Kritik von interessierter Seite: Der Bedarf nach solch einer App ist aber offensichtlich vorhanden. Nach rund einer Woche war die kostenlose Funktion 20.000mal heruntergeladen worden. Die Funktion, ein Foto zu posten, wird anscheinend zurückhaltend genutzt. Die meisten Nutzer/innen beschreiben den Fall nur auf der interaktiven Karte.
Übrigens verzichten die digitalen Wegehelden nicht ganz auf Papier: Es gibt ein Kärtchen, so groß wie die „Parke nicht“-Aufkleber, auf dem steht „Ich bin hier, weil Sie schlecht stehen!“
wegeheld.org Der Weg zur App für Android kann auf der Startseite der Website oben rechts angeklickt werden
In vielen Kommunen wächst die Zahl der Schutz- und Radfahrstreifen. Und damit wächst logischerweise auch der Ärger mit ihnen. Innerstädtisch werden sie häufig durch Pkw und Kfz-Lieferverkehr blockiert. Das behindert nicht nur den Radverkehr, sondern ist auch noch gefährlich, wenn die Radler/innen in den Kfz-Strom ausweichen müssen.
Die Landesverbände Berlin von BUND und ADFC haben im März eine Aktion gestartet, bei der man ohne Anmeldung auf der Website radspuren-frei.de mit Hilfe eines Formulars blockierte Streifen melden kann. Dabei geht es auch hier nicht ums Anzeigen der Autofahrer, sondern um Ort, Uhrzeit, Zahl und Art der Fahrzeuge. Im Herbst sollen die eingegangenen Hinweise ausgewertet und an die Zuständigen weitergeleitet werden.
Bei der Eröffnungsaktion zeigte sich das fehlende schlechte gewissen der Kfz-Lenker/ innen. Bei der angemeldeten Aktion war das Ordnungsamt gut sichtbar präsent. Trotzdem wurden in kürzester Zeit 75 Radspurblockierer an einer Straße gezählt. - Übrigens verzichten die digitalen Radspur-Freihalter nicht ganz auf Papier: Es gibt eine Postkarte für die Scheibenwischer, auf der steht „Radspuren frei!“
Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2014, erschienen.
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Die Form der Fußgänger-Signalisierung wird in Deutschland seit vielen Jahren immer wieder und oft auch emotional diskutiert. In den Diskussionen wird besonders hervorgehoben, dass das Laufen gegen Rot mindestens zu Irritationen bei zu Fuß Gehenden aber auch zu Konfliktsituationen mit abbiegenden Kraftfahrzeugen führt. Das Forschungsprojekt „Verbesserung der Bedingungen für Fußgänger an Lichtsignalanlagen“ sollte als Grundlagenarbeit der Einschätzung dienen, ob mit Hilfe einer Anzeige des Übergangs von der Freigabezeit zur Sperrzeit die Situation für zu Fuß Gehende verbessert werden kann.
Problemlage „Laufen gegen Rot“
Während im Ausland verschiedenste Formen der Fußgänger-Signalisierung existieren, ist in Deutschland die Signalfolge Grün-Rot-Grün vorgegeben (Ausnahme Düsseldorf). Die Räumzeit, also die Zeit zwischen Grün (Freigabezeit) und Rot (Sperrzeit), in der Verkehrsteilnehmer die Fahrbahn räumen sollen, wird – anders als bei den Fahrverkehren mit Gelb – beim Fußverkehr nicht gesondert angezeigt, sondern mit Rot signalisiert. Durch die Lage der Signalgeber hinter der Fahrbahn, kann sich somit die Situation ergeben, dass zu Fuß Gehende „gegen Rot“ laufen. Es wird immer wieder berichtet, dass es dadurch zu Irritationen, Stresssituationen und ggf. auch zu Abbrüchen des Überquerungsvorgangs kommt. Ein weiterer potenzieller Konflikt besteht darin, dass gleichzeitig frei gegebene Kfz-Abbiegeverkehre (sog. bedingt verträgliche Verkehre) zu Fuß Gehende zu Unrecht auf der Fahrbahn vermuten und durch aggressive Einforderung ihres vermeintlichen Rechts Überquerende nötigen oder gar körperlich gefährden.
Problemlage „Ansatz Geh-/Räumgeschwindigkeit“
Eine weitere vielfach diskutierte Problemlage besteht in der Berechnung der erforderlichen Räumzeiten für den Fußverkehr bzw. der Mindestgrünzeiten. Im aktuellen Regelwerk, den Richtlinien für Lichtsignalanlagen RiLSA, wird eine Regelräumgeschwindigkeit von 1,2 m/s empfohlen, wobei die Spanne zwischen 1,0 m/s und 1,5 m/s liegen kann. Bei der Länge der Grünzeiten wird lediglich eine Mindestgrünzeit von 5 s vorgegeben. Ansonsten gilt die Aussage, dass mindestens die halbe Überquerungslänge zurückgelegt werden muss, bei Furten mit Zusatzeinrichtungen für blinde und sehbehinderte Personen muss die gesamte Furt überquert werden können. Welche Gehgeschwindigkeit hierfür jedoch angesetzt werden soll, wird weder vorgegeben noch empfohlen. Untersuchungsmethodik Der Schwerpunkt des Forschungsvorhabens lag in videogestützten Verhaltensbeobachtungen an 17 signalisierten Fußgängerfurten mit unterschiedlichen Signalisierungsformen. An ausgewählten Furten wurden zudem zu Fuß Gehende nach der Fußgänger-Signalisierung befragt. Zusätzlich wurden eine schriftliche Befragung von über 60 Städten, eine Unfallauswertung sowie eine Literaturanalyse durchgeführt. Fallbeispiele Für die vertiefte Untersuchung an den 17 Fußgängerfurten wurden in mehreren Städten im In- und Ausland unterschiedliche Signalisierungsformen untersucht. Dabei wurden über 34.000 zu Fuß Gehende bezüglich ihres Verhaltens bei verschiedenen Signalisierungszuständen analysiert. Außerdem wurden bei über 14.000 zu Fuß Gehenden die Überquerungsgeschwindigkeiten gemessen.
Bei der Bewertung muss beachtet werden, dass in den jeweiligen Städten die spezifischen Signalisierungsformen in unterschiedlicher Ausprägung angewendet werden. So zeigt das Fußgänger-Gelb in Düsseldorf die vollständige Räumzeit an, während in Zürich in der Regel zwei Drittel der Räumzeit mit Gelb und ein Drittel mit Rot signalisiert werden. Analog zum Gelb in Zürich wird das Grünblinken in Basel zur Anzeige der Räumzeit eingesetzt. Dahingegen wird das Grünblinken in Graz (4 s) und in Eindhoven (3 s) dazu verwendet, das Ende der Grünzeit anzuzeigen. Viele Städte wünschen sich eine verbesserte Signalisierung 38 der 48 Städte, die sich an der Befragung beteiligten, sehen auch unterschiedliche Probleme mit der heutigen Signalisierung, wobei 24 dieser Städte sich für eine Verbesserung der Fußgängersignalisierung aussprechen. Rund die Hälfte davon sieht dafür auch einen notwendigen Änderungsbedarf bei der Straßenverkehrsordnung StVO und den aktuellen Richtlinien für Lichtsignalanlagen RiLSA. Die Städte gaben an, dass bei den Signalanlagen in der Regel Umlaufzeiten zwischen 90 und 120 s realisiert werden.
Bei den Räumgeschwindigkeiten werden die in den RiLSA empfohlenen 1,2 m/s am häufigsten in Ansatz gebracht, wobei ein Großteil der Städte auch niedrigere Geschwindigkeiten von 1,0 m/s in besonderen Fällen anwendet. Die Mindestgrünzeit wird am häufigsten in Abhängigkeit von der Furtlänge berechnet, aber beinahe die Hälfte der Städte wenden zumindest teilweise auch die Mindestgrünzeit von 5 s an.
Gute Regelkenntnis – geringe Regelakzeptanz
Die Befragung von 600 zu Fuß Gehenden – jeweils 200 im Bereich der Fallbeispiele mit Rot-Grün-Signalisierung, Fußgänger-Gelb und Grünblinken – hat gezeigt, dass in Deutschland die Regelkenntnis sowohl in den Städten mit der Standardsignalisierung als auch in Düsseldorf mit der Gelbsignalisierung sehr hoch ist (98%). In Zürich nehmen immerhin 10 % der Befragten irrtümlicherweise an, dass bei Gelb noch ein Überquerungsvorgang gestartet werden darf. Knapp 50 % der Befragten in Graz und Eindhoven sind dagegen ebenso fälschlicherweise der Meinung, dass bei Grünblinken nicht mehr gestartet werden darf. Dieses Ergebnis kann darauf hinweisen, dass zusätzliche Signale nicht zum Regelverständnis beitragen, zumindest wenn nicht wie beispielsweise in Düsseldorf eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit stattfindet. Trotz des Regelwissens gaben in den Städten mit Rot-Grün-Signalen 60 bzw. 40 % an, noch loszulaufen, wenn es gerade Rot geworden ist oder das Signal schon länger Rot zeigt. Auch in Düsseldorf räumten 50 % und in Zürich 60 % der Befragten ein, bei Gelb den Überquerungsvorgang noch zu beginnen. In den Städten mit Grünblinken gaben 80 % an, bei Grünblinken noch zu starten, insbesondere Menschen ab 60 Jahren gaben aber vermehrt an; dann nicht mehr zu überqueren.
Zu Fuß Gehende fühlen sich weitestgehend sicher trotz Konflikte
In Deutschland wurde zusätzlich nach dem subjektiven Sicherheitsempfinden gefragt. In Bonn und Bochum, den Städten mit der klassischen Rot-Grün-Signalisierung, stuften die Befragten auf einer Schulnotenskala das Sicherheitsempfinden an den Signalanlagen als Fußgänger mit den Noten 1,9 bzw. 2,0 als sicher ein. In Düsseldorf wurde das Sicherheitsempfinden mit der Durchschnittsnote 2,7 schlechter eingestuft. Als bereits erlebte Gefahrensituationen aufgeführt wurden dabei insbesondere Konflikte mit abbiegenden Kraftfahrzeugen sowie die Rotlichtmissachtung von Kraftfahrzeugen. Bezüglich der potenziellen Konfliktsituation mit bedingt verträglichen Kfz-Abbiegeströmen darf nicht unerwähnt bleiben, dass knapp 17 % der Befragten mit Führerscheinbesitz der Meinung sind, dass man als abbiegender Autofahrer noch bei Fußgänger-Rot auf der Fahrbahn befindliche Zu Fuß Gehende nicht mehr vorbeilassen muss. Auch in diesem Bereich erscheint zumindest mit bestehender Signalisierungsform eine Öffentlichkeitsarbeit und ggf. eine nachhaltigere Fahrerausbildung angebracht.
Auffällige Unfallzahlen mit bedingt verträglichen Abbiegern
Für Düsseldorf wurde eine makroskopische Unfallanalyse für einen 5-Jahres-Zeitraum durchgeführt. Beachtenswert ist, dass von der Polizei als zweithäufigste Unfallursache (28 %) von insgesamt 931 Fußgängerunfällen an Signalanlagen ein falsches Verhalten gegenüber Fußgängern beim Abbiegen registriert wurde, was auf die Bedeutung des Konflikts mit bedingt verträglichen Kraftfahrzeugströmen hinweist. Der Vergleich mit Ergebnissen früherer Untersuchungen in NRW zeigt, dass es in Düsseldorf deutlich mehr getötete oder schwer verletzte Fußgänger pro 100 Lichtsignalanlagen gibt als in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen oder im Landesdurchschnitt. Dies kann als Hinweis gedeutet werden, dass das Fußgänger-Gelb in Düsseldorf zumindest keinen sicherheitsfördernden Einfluss ausübt. Laufen gegen Rot auch bei Anzeige der Räumzeit Die videogestützte Verhaltensuntersuchung hat gezeigt, dass die klassische Rot-Grün-Signalisierung die höchste Regelakzeptanz bei den zu Fuß Gehenden aufweist. Lediglich 3,4 % der beobachteten Verkehrsteilnehmer startete den Überquerungsvorgang bei Rot. Bei den Fallbeispielen mit zusätzlichen Signalen lagen die Anteile bei der Missachtung des Sperrsignals, bei dessen Aufleuchten die Fahrbahn nicht mehr betreten werden darf, zwischen 6 und 12 %. Da relativ viele zu Fuß Gehenden bei Fußgänger-Gelb noch starten, wird auch das Laufen gegen Rot nicht verhindert, sondern in die Phase der eigentlichen Sperrzeit verlegt, in der ein Konflikt mit dem Kfz-Verkehr wahrscheinlicher wird. Anzeige des Freigabezeitendes wird kaum genutzt Das Grünblinken und die Restgrünanzeige sollen insbesondere auch für langsamere Fußgängergruppen einen Komfortgewinn darstellen. Die Untersuchung konnte jedoch nicht nachweisen, dass ältere oder mobilitätseingeschränkte Menschen die Anzeige nutzen, um ggf. einen Überquerungsvorgang nicht mehr zu beginnen.
Freigabe- und Räumzeiten berücksichtigen keine langsamen Geher
Bei allen Signalisierungsformen wurde sehr deutlich, dass sich bei den älteren und mobilitätseingeschränkten Menschen die Anteile derjenigen massiv erhöhen, die bei Grün starten und während der Überquerung gegen Rot oder Gelb laufen. Da viele Menschen aus diesen Gruppen nicht oder kaum beschleunigen können, wird das gegen Rot Laufen vor allem von der Länge der Freigabezeit in Relation zur Überquerungslänge beeinflusst. Die Überquerungsgeschwindigkeiten lagen bei der Fußgänger-Hauptgruppe im Mittel mit 1,41 m/s relativ hoch. Bei der Gruppe der Senioren lag der Mittelwert bei 1,22 m/s, aber immerhin 15 % der Senioren lief nicht schneller als 1,04 m/s. Mobilitätseingeschränkte Personen erreichen im Mittel nur 0,98 m/s. Bei Nutzern von Rollatoren sank die mittlere Gehgeschwindigkeit sogar auf 0,85 m/s. Es kann also festgehalten werden, dass viele Menschen aus der langsamen Fußgängergruppe nicht die empfohlene Räumgeschwindigkeit von 1,2 m/s schaffen. Erschwerend kommt hinzu, dass Wartende an Signalanlagen eine „Zuwegzeit“ benötigen, um nach Signalwechsel auf Grün von der Warteposition bis zur Fahrbahn zu gelangen. Diese Zeit wird bislang bei Berechnung der Freigabezeit nicht berücksichtigt. Eine kleine Stichprobe ergab, dass im Mittel hierfür 2,4 s benötigt werden. Mindestfreigabezeiten von 5 s lassen also kaum zeitlichen Spielraum, um den Überquerungsvorgang während der Freigabezeit beenden zu können.
Erweiterung der Rot-Grün-Systematik
Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass sich die klassische Fußgängersignalisierung mit eindeutigen roten und grünen Signalen bewährt hat, grundsätzlich beibehalten aber eine Erweiterung der Informationsübermittlung ggf. über Blinksignale zukünftig weiter diskutiert und erforscht werden sollte. Hierzu gehören „echte“ Räumzeitanzeigen mit Beibehaltung der Rot-Grün-Systematik (Rotblinken, Count-Down-Regelung) und das Grünblinken ggf. mit gestaffelter Räumgeschwindigkeit ebenso wie der zu definierende Einsatz von Restzeitanzeigen. Signalisierung für alle Menschen Bereits heute sollten die Städte ihre Möglichkeiten für eine fußgängerfreundliche Signalisierung häufiger ausschöpfen. Generell anzustreben sind kurze Wartezeiten, die Vermeidung von Zwischenhalten auf Mittelinseln, die Vermeidung von Mindestgrünzeiten sowie ein vorzeitiger Grünzeitbeginn für zu Fuß Gehende bei nicht beanspruchten Kfz-Freigabezeiten. Aber auch die zeitlich getrennte Freigabe von Kfz-Abbiegeverkehren und Fußverkehren ist generell zu überprüfen, ggf. ist auf die gleichzeitige Fußgängerüberquerung durch ein blinkendes Gelb-Signal aufmerksam zu machen. Die Regelräumgeschwindigkeit sollte zukünftig bei 1,0 m/s liegen und in einer Spanne von 0,8 m/s bis 1,2 m/s Anwendung finden. Auch die Mindestfreigabezeiten sollten überprüft und eine Berechnung vorgegeben werden. Neben der Berücksichtigung einer Gehgeschwindigkeit von 1,0 m/s ist hierfür auch eine Zuwegzeit von 3 s einzurechnen. Grundsätzlich sind jedoch Mindestfreigabezeiten zu vermeiden. Mit Beachtung dieser Grundsätze und Einführung fußverkehrsgerechter Maßstäbe kann eine Signalisierung umgesetzt werden, die dem Anspruch eines „Designs für Alle“ gerechter wird.
In Kürze
Mit dem Forschungsprojekt sollte untersucht werden, ob durch eine zusätzliche Signalisierung des Übergangs von der Freigabe- zur Sperrzeit eine Verbesserung der Fußgängersignalisierung erreicht werden kann. Die Ergebnisse führen zu dem Schluss, dass aufgrund der Eindeutigkeit die klassische Rot-Grün-Signalisierung beibehalten, aber ggf. durch zusätzliche Signale erweitert werden sollte. Hinweis: Das Forschungsprojekt wurde mit Unterstützung durch P. Häckelmann von den beiden Büros PGV Hannover und AB Stadtverkehr GbR Bocholt/Bonn bearbeitet. Download Bericht: http://bast.opus.hbz-nrw.de Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg. 2012): Verbesserung der Bedingungen für Fußgänger an Lichtsignalanlagen. – Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Verkehrstechnik Heft V217, Bergisch Gladbach
Dieser Artikel von Arne Blase AB Stadtverkehr GbR ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2013, erschienen.
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Zwar verkauften wir in den letzten fünf Jahren 660.000 „Parke nicht auf unseren Wegen“-Aufkleber, diese helfen jedoch nur bei Autofahrern, die gegen die StVO verstoßen. Beim legalisierten Gehwegparken (das blaue Hochkant-Zeichen 315) helfen die Aufkleber natürlich nicht. Das schafft evtl. ein Hinweis an die Zuständigen, da ihre Anordnungen zum Gehwegparken nicht mehr dem Stand der betrffenden Verwaltungsvorschrift entsprechen.
In den Verwaltungsvorschriften (VwV) der StVO steht seit der Fassung vom 17. Juli 2009 zum Zeichen 315: „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, die Gehwege und die darunter liegenden Leitungen durch die parkenden Fahrzeuge nicht beschädigt werden können und der Zugang zu Leitungen nicht beeinträchtigt werden kann.“ Nach den gültigen Straßenbau-Richtlinien muss ein solcher Gehweg(rest) mindestens 2,20, in der Regel 2,50 Meter breit sein.
Die o.g. Einschränkungen und die Breitenangabe haben unseres Erachtens weitreichende Folgen, die bisher von den Verwaltungen nicht ausreichend gewürdigt wurden:
Diese aktuellen Vorschriften sind auch ein gewichtiges Argument gegen das in vielen Kommunen praktizierte Tolerieren der Behörden des Falschparkens auf Gehwegen, solange Autofahrer eine bestimmte Passagenbreite („Restgehwegbreite“) freilassen. Dabei wird oft von 1,20 bis 1,50 Meter Breite als Richtwert für eine Duldung durch die Mitarbeiter der Ordnungsämter ausgegangen.
In vielen Kommunen stehen auch die Bestimmungen der jeweiligen Baumschutzverordnungen bzw. -satzungen einer Anordnung des Gehwegparkens entgegen: Insbesondere wenn das Parken auf unbefestigten Flächen zwischen den Bäumen zugelassen wird, verfestigt sich dort der Boden durch das Gewicht der Fahrzeuge so stark, dass die Wurzeln der Bäume darunter leiden. Das Verfestigen des Bodens wird in der Regel in den Verordnungen untersagt.
FUSS e.V. fordert daher die Kommunen auf, systematisch alle ihre Anordnungen zum Gehwegparken zu überprüfen und entsprechend rechtsfest anzupassen. Sonst könnten die Behörden bald wie bei der von ihnen verschlafenen Anpassung der Radwegebenutzungspflicht von ihren Bürgern vor den Verwaltungsgerichten vorgeführt werden. Versuchen Sie es doch vorerst mit einer Erinnerung!
Mehr Infos auf www.gehwege-frei.de > Rechtliches > Legalisiertes Gehwegparken bzw. Aktiv > Verwaltungen aktivieren
Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2014, erschienen.
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