Mit einer Kohorten-Analyse kann man zeigen, dass sich gewohnte Mobilitätsmuster verändern. Dabei ergeben sich unterschiedliche Entwicklungen zwischen Frauen und Männern und neue Tendenzen bei den Altersgruppen.
Seit der Wiedervereinigung kennen wir das „System repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV)“. Es ist ein Befragungskonzept, das in der DDR entwickelt und seit 1972 im Fünfjahres-Rhythmus angewendet wurde. Dabei wurden die Erhebungen auf Städte beschränkt; sie sind deshalb auch unter dem Namen „Städtepegel“ bekannt. Socialdata hat dieses Konzept aufgegriffen und auf westdeutsche Städte ausgedehnt. Der Vergleich der Städte in Ost und West, speziell vor und nach der Wende, ist ein wichtiges Dokument über Konstante und Variablen unserer Mobilität (siehe hierzu mobilogisch! 2/15, „Der deutsche Städtepegel: Ein Schatz im Datensee“).
Aber nicht nur das. Der Städtepegel ermöglicht es auch, die Entwicklung der Mobilität im Zeitverlauf zu verfolgen und zu analysieren. Dabei ist es von großem Vorteil, dass alle hier genutzten Daten mit identischem Methoden-Design erhoben wurden. Viele Zeitvergleiche in der Mobilitätsforschung scheitern nämlich daran, dass die verglichenen Datensätze mit unterschiedlichen methodischen Artefakten behaftet sind.
Bei der Analyse der zeitlichen Entwicklung gibt es verschiedene Techniken. Eine dieser Techniken, die wenig bekannt und kaum genutzt ist, ist die „Kohorten-Analyse“. Sie erlaubt mit einfachsten Methoden interessante Einblicke, die bei den gängigen – statistisch oft überfrachteten – Analysetechniken leicht untergehen. Für die hier gezeigte Kohorten-Analyse haben wir einen Zeitraum von zwanzig Jahren gewählt (1995 bis 2014) und dafür die Daten aus ost- und westdeutschen Städten zusammengeführt (Gesamt-Fallzahl ca. 20.000 Personen).
Mobilität kann man mit verschiedenen Kennziffern messen (siehe hierzu mobilogisch! 3/15, „Mobilität ist komplex. Und ihre Beschreibung ist es auch.“). Wir beschränken uns hier auf Aktivitäten, Ausgänge und Wege (jeweils pro Person/Tag).
Alle drei verwendeten Kennziffern zeigen einen (leichten) Rückgang. Dieser Rückgang ist am größten bei den Aktivitäten, am wenigsten berührt ist die Zahl der Ausgänge. Vereinfacht: Die Menschen gehen genauso oft aus dem Haus, erledigen dabei aber weniger und verzeichnen in Folge auch weniger Wege. Diese Entwicklung vollzieht sich sehr unterschiedlich bei verschiedenen demografischen Gruppen. Wir zeigen dies beispielhaft an Frauen und Männern. (nächste Seite, linke Spalte)
Dabei verwenden wir einen Index, den wir auch bei späteren Tabellen gut gebrauchen können. Dieser Index bezieht sich auf die in der ersten Tabelle dargestellten jeweiligen Gesamtwerte 1995 (= 100). Damit können wir zunächst sehen, dass 1995 die Männer überduchschnittlich aktiv waren, die Frauen unterdurchschnittlich. Bei 4 % mehr Ausgängen erledigten die Männer 13 % mehr Aktivitäten und benötigten dafür 9 % mehr Wege. Dieses Bild hat sich gründlich geändert: Frauen haben mehr Ausgänge, sie erledigen mehr Aktivitäten und haben mehr Wege als vor zwanzig Jahren und als die Männer heute.
Bei den Männern zeigt sich ein Rückgang der Ausgänge um etwa 4 %, der aber mit einer deutlicheren Reduzierung der Wege und – vor allem – Aktivitäten einhergeht. Die eingangs gezeigte Entwicklung ist also ausschließlich auf die Männer zurückzuführen und wird durch die Frauen sogar noch abgeschwächt.
Die Kohorten-Analyse vergleicht Altersgruppen im Zeitverlauf. Dabei müssen die Altersgruppen genauso groß sein, wie der zeitliche Abstand der Basisjahre. Unser zeitlicher Abstand ist zwanzig Jahre, also müssen wir auch Altersgruppen von jeweils zwanzig Jahren bilden. Dies ergibt vier Altersgruppen mit einer „open-end“-Gruppe in der höchsten Altersstufe.
Es zeigt sich für 1995 das gewohnte Bild. Nach Erreichen des Erwachsenen-Alters steigt die Mobilität um etwa 20 % an, bleibt auf diesem Niveau bis vor dem Rentenalter und sinkt dann wieder (um etwa 25 %) ab. Diese Entwicklung beginnt sich jetzt zu ändern. Der Anstieg der Mobilität bei den Gruppen ab zwanzig Jahren ist geringer und der Rückgang der Mobilität im Alter fällt schwächer aus.
Dabei ist eine Betrachtung der einzelnen Altersgruppen lohnenswert. Bei den Unter-Zwanzigjährigen konnte man 1995 erwarten, dass ihre Mobilität in den nächsten zwanzig Jahren um gut 20 % (89 auf 110) ansteigt. Im Jahr 2014 ist diese Altersgruppe 20 - 39 Jahre alt, ihre Mobilität ist aber nur noch um gute 10 % gestiegen (von 89 auf 100). Bei den 20 - 39jährigen 1995 konnte man erwarten, dass sie ihr Mobilitätsniveau bis zum sechzigsten Lebensjahr beibehalten. Es ist aber von 110 auf 106 gefallen. Und wer 1995 zwischen 40 und 60 Jahre alt war, musste damit rechnen, dass seine Mobilität um 25 % (von 110 auf 85) sinkt, tatsächlich ist dieser Rückgang aber weniger stark ausgefallen (auf 92 statt 85). Damit sind die drei Effekte, die man mit einer Kohorten-Analyse darstellen kann, schon angedeutet.
Der „Age-Effect“ zeigt, wie sich die Mobilität im Laufe des Lebensalters entwickelt, der „Cohort-Effect“ zeigt, wie sich die Mobilität jeder Alterskohorte verändert und der „Period-Effect“, der zeigt, wie sich das Mobilitätsniveau im Laufe der Zeit ändert. Vereinfacht erfahren wir durch den „Age-Effect“, welche Entwicklung wir erwarten müssten; durch den „Cohort-Effect“, was wirklich passiert und durch den „Period-Effect“, wie es weitergeht.
Wenn wir dieses Konzept auf die Nutzung der Verkehrsmittel anwenden wollen, sollten wir uns zunächst die zeitliche Entwicklung der Verkehrsmittelwahl ansehen.
Wir sehen einen Anstieg der Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung und einen Rückgang der Fußwege. Die Pkw-Nutzung erscheint relativ konstant (tatsächlich hat sie bis in den Beginn des neuen Jahrtausends zu- und danach wieder abgenommen).
Die Verkehrsmittel des Umweltverbundes (UV = zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV) hatten 1995 einen Anteil von 49 % an allen Wegen, die des motorisierten Individualverkehrs (MIV = Pkw-Fahrer(in) oder -Mitfahrer(in), motorisiertes Zweirad) von 51. Heute (2014) halten UV und MIV 2014 gleiche Anteile (50:50). (s. rechte Spalte)
Dabei ist der Anteil des Umweltverbundes bei den Frauen fast immer höher als bei den Männern. Seine Entwicklung in den verschiedenen Altersgruppen der Frauen ist relativ gleichmäßig: Ein Rückgang mit zunehmendem Alter, wobei die leicht verstärkte UV-Nutzung in der dritten Altersgruppe verschwindet. Bei den Männern geht 1995 die UV-Nutzung zunächst deutlich zurück und steigt dann mit Erreichen des sechzigsten Lebensjahres wieder auf das Niveau der Frauen an.
Wesentlich deutlicher sind die Veränderungen bei der MIV-Nutzung. Frauen nutzen 2014 den MIV bis zum vierzigsten Lebensjahr gleich oder weniger als vor zwanzig Jahren, danach aber deutlich mehr. Männer dagegen sind inzwischen in den „mittleren Jahren“ (20 - 60) erheblich weniger mit dem Auto/Motorrad unterwegs als vor zwanzig Jahren und ihre Nutzungswerte haben sich denen der Frauen fast angeglichen. Nur im höheren Alter ist die MIV-Nutzung bei Männern stärker als früher und fast eineinhalbmal so hoch wie bei den Frauen.
Bei nahezu gleichen MIV-Anteilen im Gesamt zeigen sich also deutliche Unterschiede schon bei einfachen soziodemografischen Untergliederungen: Starke Rückgänge bei Männern und mittleren Altersgruppen (bei Frauen nur bis 40 Jahre), die durch Zuwächse bei „Senioren“ (bei Frauen bereits ab 40 Jahre) wieder kompensiert werden.
Die Verkehrsmittelwahl wird auf Wegebasis berechnet. Die durchschnittliche Zahl der Wege – das haben wir eingangs gesehen – verändert sich zwar, aber nicht so stark, wie die Zahl der Aktivitäten.
Während wir bisher (Beispiel 1995) davon ausgehen konnten, dass die durchschnittliche Zahl der Aktivitäten pro Tag mit Erreichen des Erwachsenen-Alters um ein knappes Drittel ansteigt und im Senioren-Alter um ein gutes Drittel absinkt, müssen wir jetzt mit erheblich flacheren Kurvenverläufen rechnen. Bei geringfügig geringerer Ausgangsbasis im jungen Alter (86 zu 83) liegt die Aktivitäten-Häufigkeit der ersten Kohorte zwanzig Jahre später um 15 % unter dem Erwartungswert (100 statt 115). Danach steigt sie leicht an (107) erreicht aber nicht den Vergleichswert 1995 (112). Und in der letzten Altersstufe kehrt sich die Entwicklung um und der Wert 2014 sinkt nur noch um 16 % auf anstatt um 32 % (auf 91 statt 80).
An dieser Stelle sollte darauf verwiesen werden, dass in der Mobilitätsforschung der Begriff „Aktivitäten“ nur die sog. „aushäusigen“ Aktivitäten umfasst; also Arbeiten, Einkaufen, Oma besuchen etc.. Andere Aktivitäten bleiben davon unberührt. Und man kann annehmen, dass solche andere Aktivitäten, vor allem die, die durch Internet, digitale Medien etc. ausgelöst sind, langsam auch die „klassischen“ Aktivitäten ersetzen.
Das wird ganz deutlich, wenn wir uns die verschiedenen Aktivitäten genauer ansehen. Ein Vergleich 1995 zu 2014 bringt da zunächst wenig Aufschluss. (s. Spalte rechts oben)
Die durchschnittliche Zahl der Aktivitäten sinkt im Gesamt um 4 % und die Verteilung dieser Aktivitäten ändert sich kaum. Für die detailliertere Analyse fassen wir die Aktivitäten zusammen in Pflicht-Aktivitäten (Arbeit; dienstlich/geschäftlich; Ausbildung). Versorgungs-Aktivitäten (Einkauf; Inanspruchnahme von Dienstleistungen; Begleitung) und Freizeit-Aktivitäten. Diese drei Blöcke umfassen jeweils etwa ein Drittel aller Aktivitäten; ihre Anteile bleiben im Zeitverlauf und im Gesamt nahezu gleich.
Dieses Bild ändert sich, wenn wir soziodemografisch untergliedern. Die Anteile der Pflicht-Aktivitäten bleiben dabei noch weitgehend unverändert. Bei gleichem Ausgangsniveau steigen sie in den mittleren Altersgruppen an und sinken dann deutlich ab, bei Männern jeweils stärker als bei den Frauen. (s. folgende Seite)Bei den Versorgungs-Aktivitäten haben die Frauen, schon in jungen Jahren höhere Anteile. Erst im höheren Alter werden sie von den Männern überholt. Allerdings entwickeln sich die Anteile bei den Frauen auch nach zwanzig Jahren noch nahezu gleich (mit einer leichten Zunahme im höheren Alter). Dagegen gibt es bei den Männern bei niedrigerem Ausgangsniveau deutliche Rückgänge in den mittleren Altersgruppen, die erst ab 60 Jahren wieder ausge-
glichen und sogar übertroffen werden. Diese Veränderungen führen dazu, dass sich die Zahl der Versorgungs-Aktivitäten bei Männern über zwanzig nicht mehr verdoppelt (17 zu 32) sondern nur noch vereineinhalbfacht (17 zu 24) und damit nur wenig mehr als die Hälfte der vergleichbaren Frauengruppe (41) erreicht.
Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch bei den Freizeit-Aktivitäten. Bei einem leichten Rückgang im Gesamt bleibt der Wert bei den Männern zwischen zwanzig und vierzig um ein Drittel unter dem Erwartungswert (27 statt 42) und erholt sich erst in der letzten Altersklasse. Dagegen bleiben die Frauen bis zum vierzigsten Lebensjahr hinter den zwanzig Jahre vorher gemessenen Werten, wenn auch weniger deutlich. Aber bereits die vierzig- bis sechzigjährigen Frauen übertreffen 1995 und damit auch die vergleichbaren Werte bei den Männern. Und alle Senioren verzeichnen heute etwa 10 % mehr Freizeit-Aktivitäten als vor zwanzig Jahren.
Bisher waren wir daran gewöhnt, dass die Zahl der Aktivitäten, der Ausgänge und der Wege nahezu konstant war und sich nur wenig und im „Gleichschritt“ ändert. Diese Vorstellung ist nicht mehr zeitgemäß. Wir waren es auch gewohnt, dass Männer bei allen Mobilitätskennziffern höhere Werte erreichen als Frauen. Auch das muss in Frage gestellt werden. Wir waren uns auch sicher, dass die Mobilität mit zunehmendem Alter ansteigt und dann wieder sinkt. Das wird wohl so bleiben wenn auch in abgeschwächter und sehr differenzierter Form. Und schließlich waren wir überzeugt, dass Autofahren mehr Männer- als Frauen-Sache ist und seinen Nutzungshöhepunkt in der Lebensmitte erreicht. Aber auch diese Überzeugung ist inzwischen von zahlreichen Unsicherheiten behaftet.
Dafür bleibt uns die Gewissheit, dass es heute noch wichtiger ist als früher, die Mobilität und ihre Entwicklung sorgfältig zu messen und differenziert zu analysieren. Wenn man sich dann ansieht, wie derzeit in unserem Land große Mengen an Mobilitätsdaten gesammelt werden ohne valides Methodengerüst, dann kann einem schon ein bisschen mulmig werden.
Das Mobilitätsverhalten in unseren Städten lässt sich durch wenige Variablen gut beschreiben. Diese Variablen signalisieren auch relative Konstanz im Gesamt. Geht man jedoch weiter ins Detail, so zeigen sich erhebliche Veränderungen, die sich oft gegenseitig ausgleichen und bei aggregierten Betrachtungen nur schwer erkennbar sind. Alles deutet darauf hin, dass sich diese Differenzierung eher fortsetzen wird und deshalb genau betrachtet werden muss.
Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2016, erschienen.
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Der FUSS e.V. liebt Zebrastreifen, amtlich „Fußgängerüberwege“ (FGÜ), weil sie dem Fußverkehr den Vorrang beim Überschreiten von Fahrbahnen einräumen. Ein kniffliges Thema ist allerdings die Beleuchtungsfrage. Die technischen Normen stellen hier hohe Anforderungen. Daraus ergibt sich ein gewisses Dilemma:
Einerseits macht eine gute Beleuchtung das Queren an Zebrastreifen sicherer, sowohl die Anlage selbst als auch die Fußgänger/innen werden besser erkannt. Andererseits kostet die Herstellung einer entsprechenden Beleuchtung im Durchschnitt ca. 10.000 €. In Städten mit vielen Zebrastreifen kann diese finanzielle Hürde dazu führen, dass bestehende entfallen.
Das droht derzeit z.B. in Trier, wo es mit rund 400 FGÜ bei rund 100.000 Einwohner/innen eine überdurchschnittlich hohe FGÜ-Dichte gibt. Dementsprechend sind auch die Nachrüstungskosten für die Beleuchtung besonders hoch: In Trier kämen bei richtlinienkonformer Ausleuchtung aller FGÜ etwa vier Millionen € zusammen. Die Stadt sieht sich daher aus finanziellen Gründen gezwungen, viele FGÜ aufzuheben.
Seit 2013 überprüfen viele Städte ihren FGÜ-Bestand. Anlass ist eine schon 2009 veröffentlichte Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur StVO (VwV-StVO). Diese geben nun ausdrücklich auch den Straßenverkehrsbehörden, die für die Anordnung von Verkehrsschildern und Markierungen zuständig sind, eine Verantwortung für die Einhaltung der Beleuchtungsvorschriften - auch bei bestehenden Altanlagen. Zuvor waren dafür nur die Straßenbaubehörden verantwortlich (Straßen-/ Tiefbauämter der Großstädte bzw. ansonsten i.d.R. die Straßenverwaltungen der Länder, z.T. auch der Kreise). Weil die StVO-Novelle von 2009 in Teilen ungültig war und erst 2013 rechtssicher geheilt wurde, hat die geänderte Verwaltungsvorschrift oft auch erst seitdem volle Beachtung gefunden. Somit ist die Thematik derzeit vielerorts aktuell. Dennoch gibt es Behörden, die die Beleuchtungsnormen für bestehende FGÜ in ihrem Geltungsbereich mehr oder weniger ignorieren und auf eine Überprüfung der Beleuchtungsstandards verzichten.
Diese werden in den Grundsätzen von den schon seit 15 Jahren geltenden „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen 2001“ (R-FGÜ) des Bundesverkehrsministeriums definiert und in technischen Normen (DIN bzw. EN) präzisiert.
R-FGÜ 2001, Kap. 3.4 "Ortsfeste Beleuchtung“
Auch bei der Fahrbahn- und Gehwegausbildung entsprechen viele FGÜ nicht dem Stand der Technik (R-FGÜ 2001, RASt 2006, EFA 2002, H BVA 2011 / DIN 18040-3). Wenn die Um- bzw. Nachrüstung der Beleuchtung mit Umbauten der Verkehrsfläche kombiniert wird (z.B. Bodenindikatoren für Blinde und Sehbehinderte, Bordabsenkung auf 0 und/oder 3 cm und möglichst zusätzliche sicherheitserhöhende Elemente wie Mittelinseln, Teilaufpflasterungen und/ oder Gehwegnasen, Herstellung von breiten Warteflächen), entstehen weitere Kosten von ca. 5.000 bis 20.000 €, bei Notwendigkeit von Grunderwerb noch mehr. Dann können sich Durchschnittskosten von ca. 25.000 € pro FGÜ ergeben, was eine weitere Reduzierung bestehender Anlagen zur Folge haben kann. Dabei wäre es nötig, viele neue anzulegen.
Nachfolgend Thesen und Lösungsvorschläge zur Diskussion von FUSS e.V.:
Generell ist zu bedenken: Die Anzahl der Querungsanlagen verbessert die Verkehrssicherheit in einer Stadt, mehr FGÜ wirken insgesamt positiv (vgl. Apel, Kolleck, Lehmbrock; Verkehrssicherheit im Städtevergleich, Berlin 1988). Der Abbau von Zebrastreifen wegen Nichteinhaltung der Beleuchtungsvorschriften kann sich somit als Bumerang in Bezug auf die Verkehrssicherheit erweisen.
Übrigens: Eine Mittelinsel als Zusatz zu einem FGÜ macht diesen auch fahrzeugfreundlicher – und ermöglicht die FGÜ-Anwendung auch bei höheren Kfz-Mengen.
Die technischen Normen stellen hohe Anforderungen an die Beleuchtung von Zebrastreifen. Die ggf. nötige Aufrüstung bestehender Zebrastreifen kostet manchen klammen Kommunen zu viel. Die Verantwortlichen wollen häufig lieber den Zebrastreifen abbauen. FUSS e.V. wünscht sich möglichst viele Zebrastreifen. Um das zu erreichen, können an bestimmten Stellen Abstriche beim Beleuchtungsniveau erwogen werden, meint FUSS und stellt seine Thesen zur Diskussion.
Wir bitten Sie um Meinung, Ergänzungen, Korrekturen und Hinweise an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2016, erschienen.
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Der aufrechte Gang hat es dem Menschen ermöglicht, seine Umwelt besser wahrzunehmen. Dennoch wären in imaginären Aufzeichnungen absolvierter Mobilität solche Selbstverständlichkeiten, wie das Fahren mit dem Auto und dem Aufzug zum Laufband im Fitnessstudio oder aufgrund der enormen Verkehrsbelastung dem mütterlichen Instinkt folgende Mamataxifahrten vorzufinden. Nach wie vor sind derlei Verhaltensweisen auch in den Köpfen der Verkehrsplaner und -politiker wiederzufinden.
Nachdem die Stadt mit ihren großzügigen Promenaden für zu Fuß Gehende von der Gründerzeit in den 1920ern zur autogerechten Stadt in den 1970ern mutierte, führen heute die Verkehrsmittel und ihre Nutzer untereinander einen Streit um die Hoheit der Fläche. In der Verkehrsplanung spielt der Fußverkehr, abgesehen von den Innenstadtreservaten, häufig die Rolle des Lückenfüllers, obwohl der Modal Split-Anteil des Fußverkehrs in Deutschland bei 24 % (1) liegt. Dieser unterminierte Stellenwert liegt zum Teil an der schlechten Datenlage über Anforderungen und Verhaltensweisen des Fußverkehrs.
Der Fußverkehr findet bisher aus medialer Sicht nur einen geringen Stellenwert. Während für andere Verkehrsmittel bereits Indizes zur Wertung der jeweiligen Qualität in deutschen Städten bestehen, allen voran für den Radverkehr, war ein Index, der den Fußverkehr nach einem einheitlichen Prinzip in einer Vielzahl von Städten untersucht, nicht gegeben. Diese Lücke wollte ich schließen. In meiner Masterarbeit wurde der Fußverkehr für alle 76 deutschen Großstädte mit über 100.000 Einwohnern (Berlin bis Moers) untersucht. Dies wurde mithilfe verschiedener, auf transparente Weise hergeleiteter Indikatoren sowie deren Übertragung in den eigens erstellten perpedesindex 2016 realisiert.
Als Erstes versuchte ich, in der Fußverkehrspolitik erläuterte Qualitätsziele und Indikatoren für den Fußverkehr zu finden, zunächst gelang es nicht aus diesen Quellen passende Indikatoren für einen Index zu finden. Im nächsten Schritt wollte ich herauszufinden, welche Determinanten aus Bereichen wie Stadtplanung, Umwelt und Psychologie den Fußverkehr berühren, um daraus Indikatoren ableiten zu können. Dabei konnten mir wissenschaftliche Ausführungen zum Thema der Walkability (Gesamtbegehbarkeit) diese Determinanten liefern.
In einem weiteren Schritt untersuchte ich die nationale und internationale Fußverkehrspolitik grundlegend auf Ziele, die sich Staaten und Kommunen auferlegt haben, um den Fußverkehr zu verbessern. Darunter zu finden sind vor allem die Verkehrsentwicklungsplanung (VEP), die Luftreinhalteplanung (LRP) und die Lärmminderungsplanung (LMP) sowie Fußverkehrskonzepte auf kommunaler Ebene, Fußverkehrsstrategien wie z.B. der „Masterplan Gehen“ auf nationaler Ebene und rechtsverbindliche Dokumente wie z.B. die European RoadSafety Charter auf internationaler Ebene.
In einem letzten Schritt habe ich bestehende Indizes unabhängig von den Schwerpunkten ihrer Betrachtungen (Copenhagenize Index, ADFC-Fahrradklimatest, Bundesländerindex Mobilität, Walk Score) auf
untersucht und miteinander verglichen, um bereits evaluierte Indikatoren oder Themenbereiche, z.B. zur Einschätzung des Radverkehrs in Städten, in meinen perpedesindex 2016 zu übertragen.
Aus den politischen Zielen, den Ergebnissen meiner Untersuchung anderer Indizes, sowie aus den Determinanten der Walkability konnte ich daraufhin Zielgrößen für meinen Index definieren.
Aus diesen Zielgrößen habe ich nach allgemein gültigen Anforderungen (2) Indikatoren abgeleitet. Aufgrund einer fehlenden übergreifenden Statistik oder Vergleichsgröße für die Barrierefreiheit konnte diese Zielgröße nicht mit einem Indikator berücksichtigt werden. Ebenso floss die Fußverkehrspolitik nicht direkt in den perpedesindex 2016 ein, da die konkrete Zuweisung einzelner Finanzmittel für den Fußverkehr in den Kommunen nicht erhoben werden konnte.
Das Ergebnis der Voruntersuchung ist der perpedesindex 2016, welcher aus folgenden Indikatoren besteht:
Eine Gewichtung der einzelnen Indikatoren untereinander wurde nicht vorgenommen. Jeder der fünf Indikatoren besitzt dasselbe Gewicht von 20 % im perpedesindex. Ein frei erstelltes Gewichtungssystem würde dem Problem gegenüberstehen, eine Berechtigung für die unterschiedliche Bewertung der Einflussfaktoren nachzuweisen. Die Gewichtung innerhalb der Indikatoren wurde wiederum mithilfe von Interpolation durchgeführt. Die Ergebnisse werden normalisiert, wobei der beste Wert aller Städte eines Indikators einen Punktewert von 100 bzw. der schlechteste Wert einer Stadt 0 Punkte erhält. Die Werte dazwischen werden interpoliert und orientieren sich damit an den jeweiligen Grenzwerten. Der Vorteil der Normalisierung auf 0 bis 100 Punkte ist die Vergleichbarkeit der einzelnen Indikatoren untereinander, sowie die Möglichkeit einen Durchschnitt aller Indikatoren zu bilden.
Während der Motorisierungsgrad und die Erholungsfläche pro Einwohner schnell über das statistische Bundesamt erhoben werden konnten, mussten die anderen Indikatoren aufwendiger ermittelt werden:
Den höchsten Wert erreichten die Städte Jena und Rostock mit jeweils 76 Punkten. Diese Städte wiesen Bestwerte bei den Indikatoren Modal Split, Motorisierungsgrad und Verkehrssicherheit auf und führen damit den perpedesindex 2016 an. Die Stadt Jena erhielt, bis auf den Indikator Erholungsflächenanteil, bei allen Indikatoren Werte über 85 Punkte, was ein Alleinstellungsmerkmal unter allen Städten darstellt. Ferner erreichten die Städte Göttingen (73), Halle (Saale) (69) und Aachen (67) nennenswert hohe Punktewerte. Die geringsten Werte wiesen Saarbrücken (39), Regensburg (38) und Heidelberg (36) auf. Die Stadt Heidelberg konnte aufgrund ihrer sehr geringen Stadtfläche und ihrer besonderen Stadtstruktur bei den Indikatoren Umwegefaktor und Erholungsflächenanteil keinen Punkt erhalten. Saarbrücken ist die Stadt mit dem niedrigsten Wert für den Indikator Verkehrssicherheit und erreichte ebenfalls einen sehr niedrigen Punktwert für den Indikator Erholungsflächenanteil (4 Punkte). Insgesamt weisen die meisten Städte einen Gesamtpunktwert zwischen 50 und 60 auf. Nur die drei jeweils o.g. Städte erhielten einen Punktewert unter 40 bzw. über 70 Punkten. Der durchschnittliche Punktewert des perpedesindex beträgt 56 Punkte, der von 35 Städten überschritten wird.
Alle erreichten Punktwerte werden in einer Onlinekarte dargestellt, bei der jeder schauen kann, welche Platzierung „seine“ Stadt erreichte.
Mithilfe einer Sensitivitätsanalyse wurden die Indikatoren des perpedesindex 2016 geprüft. Dabei wurde die Gewichtung der einzelnen Indikatoren verändert und die dabei entstehenden Endergebnisse auf starke Abweichungen überprüft. Innerhalb der Prüfung konnten lediglich geringe Abweichungen festgestellt werden. Obgleich einer Sensitivitätsanalyse keinerlei Regeln unterstehen, kann der perpedesindex 2016 nach statistischen Gesichtspunkten als sicher betrachtet werden.
Nachdem ich den perpedesindex 2016 erstellt hatte, stellte sich für mich die Frage, welche wissenschaftlichen Aussagen man über die Ergebnisse treffen kann. Dies versuchte ich anhand einer Korrelation von Einflussfaktoren wie
mit den Ergebnissen des perpedesindex 2016. Des Weiteren versuchte ich die einzelnen Indikatoren miteinander zu korrelieren um bspw. Aussagen zu treffen wie: „Eine Stadt mit einem hohen Modal Split-Anteil besitzt gleichzeitig einen hohen Erholungsflächenanteil“. Nachdem ich zahlreiche Daten miteinander korreliert hatte, konnten folgende Aussagen getroffen werden:
Für alle anderen Einflussfaktoren konnte keine wissenschaftliche Aussage getroffen werden, aufgrund sehr geringer Bestimmtheitsmaße. Wobei auch bei den oben genannten Ergebnissen aufgrund von Bestimmtheitsmaßen von weniger als 0,2 lediglich von Tendenzen gesprochen werden kann.
Den deutlichsten Unterschied zeigte eine Gegenüberstellung von Städten der alten Bundesländer mit Städten der neuen Bundesländer.
Der Fußverkehr wird in Zukunft vom demografischen Wandel profitieren. Der perpedesindex 2016 kann dazu beitragen, Städte zu ermutigen, den Fußverkehr in ihrer Stadt- und Verkehrsplanung stärker einzubeziehen. Als vergleichendes Instrument mit einer Vielzahl von Indikatoren ist der perpedesindex 2016 signalgebend für Stadtplaner, Politiker und Verbände. Aus diesem Grund wurden die Ergebnisse allen untersuchten Kommunen, deren Polizeipräsidien und Stadtplanern, sowie einschlägigen Verbänden in Form der erstellten Karte zugestellt. Die Reaktionen auf die Ergebnisse werden erste Hinweise geben, ob der Fußverkehr seine Rolle als gleichwertiges Verkehrsmittel einnehmen kann.
Bei der Auswahl der Indikatoren hat sich gezeigt, wie schwierig es ist, den Fußverkehr ohne eine gute Datengrundlage zu messen. Für eine verbesserte und periodische Erstellung des perpedesindex könnten hierfür aufwendigere Methoden für die Erhebung gewählt werden, wie z.B. eine repräsentative Befragung. Ferner wäre für die Erstellung eines fortlaufenden perpedesindex die Vergrößerung des Fragenpools im Zensus von Deutschland auf weitere Kenngrößen des Verkehrs wünschenswert.
Der Fußverkehr spielt bisher auf der politischen und medialen Bühne eine Nebenrolle. Ein Ranking des Fußverkehrs von Städten kann Hilfestellung sein, um sich dem Fußverkehr zu nähern. In dieser Masterarbeit wurde der Fußverkehr für alle 76 deutschen Großstädte mit über 100.000 Einwohnern untersucht. Dies wurde mithilfe hergeleiteter Indikatoren sowie deren Übertragung in den eigens erstellten perpedesindex 2016 realisiert.
Die Masterarbeit „Fußverkehrsqualität in Städten messen- der perpedesindex 2016“ , 121 Seiten. 1. Betreuer: Prof. Mathias Gather, FH Erfurt, Institut für Verkehr und Raum (IVR) 2. Betreuer: Attila Lüttmerding, Fuss e.V., IVR.
Nach einer Nachbereitung wird die Arbeit vorausichtlich ab Juni 2016 in „Berichte des Instituts Verkehr und Raum“ zu finden sein (www.fh-erfurt.de/fhe/vur/download-bereich/berichte-des-instituts-verkehr-und-raum/)
(1) Vgl. DLR- Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. Institut für Verkehrsforschung, infas- Institut für angewandte Sozialwissenschaft (2010): Mobilität in Deutschland 2008, Berlin, Ergebnisbericht, Struktur- Aufkommen- Emissionen- Trends, Berlin, S. 25.
(2) Vgl. Dietrich, Edgar; Schulze, Alfred; Weber, Stefan (2007): Kennzahlensystem – für die Qualitätsbeurteilung in der industriellen Produktion, Hanser Verlag, Weinheim, S. 14-15, verfügbar unter: www.beck-shop.de/ fachbuch/leseprobe/9783446410534_Excerpt_001.pdf
Dieser Artikel von Jörg Kwauka ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2016, erschienen.
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In der Fußgängerstadt Wien fand im Oktober 2016 die Walk 21 Vienna statt. Doch trotz eines ausladenden Programmes war für notwendige Diskussionen um die Messung und Analyse des Verhaltens der Fußgänger(innen) zu wenig Platz.
Soeben ist die Walk 21 Vienna zu Ende gegangen. Es war die neunte Ausgabe einer internationalen Konferenz-Reihe, die sich dem Thema Zu-Fuß-Gehen widmet. In ihrem Rahmen entstand eine bemerkenswerte Initiative. Der Schweizer Daniel Sauter hat mit vier weiteren Kollegen aus Belgien, England und Kanada (Tim Pharoah, Miles Tight, Ryan Martinson, Martin Wedderburn) einen „International Walking Data Standard“ zum „Treatment of Walking in Travel Surveys“ erstellt (www.measuring- walking.org). Dafür haben sie sich fünf Jahre Zeit genommen und sehr gründlich gearbeitet. Der Standard lag rechtzeitig zur Wiener Konferenz vor, klar gegliedert, verständlich formuliert und gut lesbar aufbereitet. Er befasst sich mit einem Thema, das von grundsätzlicher Bedeutung ist für jede(n), der/die sich für das Mobilitätsgeschehen interessiert. Denn ohne saubere Daten über das Verhalten der Menschen sind fundierte Analysen oder Planungen schwer vorstellbar. Und ganz besonders beim Zu-Fuß-Gehen, dem einzigen Verkehrsmittel das jeder nutzt, sind die Datengrundlagen eher dürftig.
Sie, liebe Leser, werden jetzt denken, dass dieser Standard an geeigneter Stelle im Konferenz-Programm präsentiert wurde. Da kennen Sie die Walk-Konferenz aber schlecht. Es gibt/gab ein ausuferndes Programm mit schwachen Präsentationen, es gab eine langatmige Eröffnungsveranstaltung mit Talk-Show-Charakter, aber für die Erhebung der Daten – die ja die Menschen repräsentieren – war keine Zeit. Lediglich ein Workshop im Vorprogramm der Konferenz konnte den Veranstaltern abgerungen werden.
Vor diesem Hintergrund können Sie sich bereits vorstellen, wie es einer Auswertung ergangen ist, die wir speziell für diese Konferenz, mit aktuellen Daten zu Wien und besserer Erfassung des Fuß-Verkehrs (inkl. Fuß-Etappen und Warte-Etappen) gemacht haben. Ihre Präsentation hat es auch nur ins Vorprogramm geschafft.
Dabei wollten wir zeigen, wie detailliert man mit gängigen Erhebungsverfahren die tägliche Mobilität auf Etappenbasis erfassen kann. Zugrunde liegen zwei Datenquellen. Eine Erhebung für das Austrian Institute of Technology (AIT) im Jahre 2012, bei der alle Personen eines Haushalts und ihr Mobilitätsverhalten für sieben Tage auf Etappenbasis erfasst wurden. Diese Erhebung war sehr erfolgreich (Antwortquote 69 %) aber auch aufwändig. Deshalb war die Stichprobe relativ klein (210 Personen). Die zweite Quelle war die kontinuierliche Erhebung der Mobilität der Wiener(innen) von 1993 bis 2009. Diese Erhebungen erfassten alle Tage eines Jahres, wurden jährlich fortgeschrieben und zu einem Gesamt-Bestand von knapp 24.000 Personen verschmolzen. Die in der ersten Erhebung ermittelten Kennwerte für Etappen wurden dann in die zweite Erhebung eingespielt und die Mobilitätsdaten auf das Jahr 2015 fortgeschrieben.
Ein Weg besteht fast immer aus mehreren Etappen. Dabei werden in der Regel auch mehrere Verkehrsmittel genutzt. Für viele Auswertungen ist es aber nötig, pro Weg ein Verkehrsmittel zu bestimmen, das sog. „hauptsächlich genutzte Verkehrsmittel (HVM)“. Hierzu wird am häufigsten eine Verkehrsmittel-Hierarchie benutzt, bei der in der Regel der öffentliche Verkehr „oben“ und der Fuß-Verkehr „unten“ steht. Mit anderen Worten: Wann immer ein ÖV auf einer Etappe benutzt wurde, ist es ein ÖV-Weg. Fußwege sind dagegen nur Wege, bei denen es keine Etappen mit anderen Verkehrsmitteln gibt. Da wir alle wissen, dass sehr viele Verkehrsmittel nur in Verbindung mit Fußwegen genutzt werden können, wird deutlich, dass das Zu-Fuß-Gehen der große Verlierer bei der Bestimmung des HVM ist. Wie groß dieser „Verlust“ ist, möchten wir an einem besonders geeigneten Beispiel zeigen: Der Mobilität der Wiener(innen).
In unserem fortgeschriebenen Datenbestand für 2015 legen die Wiener(innen) über ein Drittel (38 %) aller Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. An zweiter Stelle folgt das Zu-Fuß-Gehen (28 %) und erst an dritter der Pkw-Fahrer (21 %). Diese Dominanz des öffentlichen Verkehrs begründet das Image Wiens als ÖV-Stadt. Da wir aber wissen, dass der ÖV nicht ohne Fußgänger funktioniert, müssen wir dieses Image bereits jetzt revidieren. Denn beide Verkehrsmittel decken bereits zwei Drittel aller Wege ab, Wege also, die ohne die eigenen Füße nicht möglich wären.
Wenn man sich jetzt alle Verkehrsmittel ansieht, die bei einem Weg (einmal oder mehrmals) benutzt werden, ergibt sich eine Summe von 180 %. Es werden also pro Weg 1,8 Verkehrsmittel genutzt. Und bei neun von zehn Wegen ist mindestens eine Fuß-Etappe dabei. Wien ist also sicher eine ÖV-Stadt, vor allem aber eine Stadt der Fußgänger.
Mit den 1,8 Verkehrsmitteln werden in Wien 3,0 Etappen pro Weg zurückgelegt (in der Tabelle: 300 %). Und es zeigt sich, dass wir im Schnitt pro Weg mit zwei Fuß-Etappen rechnen können. Aus 28 % Fußwegen (HVM) werden 90 % Wege mit Fuß-Etappen und zwei Fuß-Etappen pro Weg. Dabei sind Etappen auf Privatgrund nicht berücksichtigt (traditionell werden bei Mobilitäts-Erhebungen nur Wege auf öffentlichem Boden erfasst); mit ihnen wäre die Dominanz der Fuß-Etappen noch stärker.
Man kann diese Werte aber auch so darstellen, dass die Summe der HVM, der genutzten Verkehrsmittel und der Etappen immer hundert ergibt. Dann zeigt sich, was wir aus der vorherigen Tabelle schon indirekt ablesen können: Ein gutes Viertel (28 %) aller Wege sind Fußwege nach HVM, die Hälfte aller Verkehrsmittel sind „Zu Fuß“ und zwei Drittel aller Etappen werden zu Fuß zurückgelegt.
Interessant ist hier aber auch die zeitliche Entwicklung dieser Kennziffern. Nach gängiger Lesart (HVM) ist in Wien der öffentliche Verkehr stark angestiegen, ausschließlich zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Dagegen blieb der Anteil der (reinen) Fußwege über zwanzig Jahre konstant. Die Zuwächse im ÖPNV sind allerdings (relativ) am größten bei der Betrachtung des HVM und am geringsten auf Etappenbasis. Beim Pkw-Fahrer ist es genau umgekehrt. Das wäre auch so, wenn wir den MIV gesamt betrachten würden (mobilogisch! Leser wissen allerdings, dass wir es für einen ebenso großen wie häufigen Fehler halten, nur den MIV auszuweisen und nicht nach Pkw-Fahrer und -Mitfahrer zu unterscheiden).
Schon 1993 ergab sich für Wien ein Spitzenwert mit 7,3 Etappen pro Person und Tag; bis 2015 ist dieser Wert nochmal um ein Siebtel gestiegen (8,3). Um ein besseres Gefühl für diese Etappen zu bekommen, müssen wir die Wege nach HVM und den jeweiligen Wege-Etappen untergliedern. Dabei zeigen sich auch ganz ungewöhnliche Kombinationen, die nur sehr selten vorkommen und in der Tabelle mit 0,00 ausgewiesen sind.
Die geringste Anzahl an Etappen pro Weg finden wir beim Fahrrad (1,08), die höchste beim ÖPNV (5,80!). Der motorisierte Individualverkehr liegt durchwegs im Bereich von 1,6 Etappen pro Weg. Dabei handelt es sich fast immer um Fuß-Etappen. Nur beim ÖPNV werden auch 1,64 öffentliche Verkehrsmittel im Schnitt auf einem Weg miteinander verknüpft. Dem stehen aber (bei einem durchschnittlichen ÖPNV-Weg!) etwa vier Fuß-Etappen gegenüber.
Für diese Wege-Etappen kann man auch die jeweils zurückgelegte Entfernung oder die entsprechende Dauer hinterlegen. Dabei kann man unterscheiden zwischen der Entfernung/ Dauer für das jeweilige HVM und für die dazugehörigen Fuß-Etappen. Für diese Auswertung haben wir die gesamte Mobilität pro Person und Tag zugrunde gelegt.
Für den Durchschnitt aller Personentage zeigt sich ein gewohntes Bild: Die täglich zurückgelegte Entfernung wird zum weitaus größten Teil mit dem HVM bewältigt; Fuß-Etappen umfassen nur knapp 6 % (1,1 von 19,3 km). Allerdings übersteigen sie in ihrer Summe bereits die Entfernung, die mit „reinen“ Fußwegen erreicht wird (0,8 km) um über ein Drittel. Oder anders: Die über HVM ermittelte Fuß-Entfernung muss mehr als verdoppelt werden, um die tatsächliche Verkehrsleistung mit den eigenen Füßen zu ermitteln. Und: Die in ÖPNV-Etappen zurückgelegte Fuß-Entfernung ist bereits so hoch (oder höher) als die des HVM Zu Fuß.
Ein deutlich akzentuierteres Bild ergibt sich bei einer Aufgliederung der Wege-Dauern, wobei wir hier die Warte-Etappen (im ÖPNV) noch zusätzlich ausgewiesen haben. Im HVM ist die Dauer pro Person und Tag fast gleich bei Zu Fuß und Pkw-Fahrer (12 und 13 Minuten) und beim ÖPNV am höchsten (17 Minuten). Allerdings summieren sich die Fuß-Etappen zu insgesamt 17 Minuten (alleine im ÖPNV 14 Minuten) und erreichen damit fast den eineinhalbfachen Wert der reinen Fußwege. Beim ÖPNV kommen nochmal fünf Minuten Wartezeit dazu. Damit beträgt die reine Fahrzeit (17 Minuten) noch nicht einmal die Hälfte der gesamten Reisezeit (36 Minuten).
Traditionelle Mobilitäts-Analysen auf Basis des HVM haben ihren Sinn und sind nicht verzichtbar. Aber man sollte immer im Kopf haben, dass dabei - wie bei jeder Standardisierung - wichtige Informationen verloren gehen.
In unserem Beispiel für Wien sind das pro Person und Tag 1,1 Kilometer der täglich zurückgelegten Entfernung (6 % von 19,3; bei anderen Verkehrsmitteln zugeordnet). Und die tägliche Unterwegszeit (72 Minuten) gliedert sich in 50 Minuten mit einem HVM (davon 12 Minuten zu Fuß als HVM), 17 Minuten für Fuß-Etappen (davon 14 Minuten im Zusammenhang mit dem ÖPNV) und 5 Minuten Warte-Etappen (ebenfalls ÖPNV).
Der praktische Nutzen solcher detaillierter Daten wird sofort deutlich, wenn wir uns mit einem Thema befassen, das in den letzten Jahren große Bedeutung gewonnen hat: Körperliche Bewegung (physical activity). Da ist inzwischen weitgehend akzeptiert, dass wir uns im Schnitt 30 Minuten am Tag bewegen sollten. Dass man dieses Ziel am einfachsten über die Alltagsmobilität erreicht, wurde in der klassischen Verkehrsplanung lange nicht erkannt. Das ist inzwischen in vielen Städten anders, so auch in Wien.
Addiert man nun die Dauer aller Rad-Wege, Fuß-Wege und Fuß-Etappen (sog. „Active Modes“) dann ergibt sich für Wien über alle Personen (allen Alters) und alle Tage bereits heute ein Durchschnittswert von 32 Minuten; bei denen die, die das Haus verlassen („mobile Personen“) sogar 39 Minuten.
Differenziert man diesen Wert nach Verkehrsmittel-Partizipations-Gruppen (also nach Personen, die an einem durchschnittlichen Tag mindestens ein Mal das jeweilige Verkehrsmittel als HVM nutzen), so zeigt sich, dass Fußgänger (innen) und Radfahrer(innen) die 30 Minuten-Marke deutlich überschreiten. Nutzer des motorisierten Individualverkehrs liegen dagegen durchwegs darunter. Aber die Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel erreichen auch Werte, die mit 49 Minuten das tägliche „Soll“ um fast zwei Drittel übertreffen: Wer den ÖPNV nutzt, lebt gesünder.
In dem genannten Workshop auf der Walk 21 Vienna, aber auch in den Gesprächen rund um die Konferenz ist immer wieder eine Frage gestellt worden, die ich aus vierzigjähriger Arbeit mit empirischer Mobilitätsforschung gut kenne: „Wozu braucht man das eigentlich?“
Hierfür bietet Wien ein vorzügliches Beispiel. Dazu müssen wir uns erinnern an den zu Beginn der neunziger Jahre erarbeiteten Master-Plan in Wien, in dem ein Konzept zur Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs und zur Förderung seiner Alternativen angelegt wurde. Dabei wurde erkannt, dass infrastrukturelle Maßnahmen alleine nicht ausreichen würden, sondern dass auch die Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit eine wichtige Rolle spielt und einbezogen werden muss. Und es wurde erkannt, dass „Öffentlichkeit“ nicht nur die Bürgerinnen und Bürger meint, sondern alle Institutionen (wie z. B. Politik, Medien, Verwaltung, Interessengruppen, Initiativen etc.). Diese Erkenntnis resultierte in einem Auftrag an Socialdata zur Erarbeitung und Umsetzung eines „Public-Awareness (PAW)-Konzeptes“. Dieses PAW-Konzept hat Verhalten, Einstellungen, Potentiale für die erhofften Veränderungen ermittelt und mit diesen empirischen Daten ein Konzept der sog. „soft policies“ entwickelt und umgesetzt. Eine wichtige Erkenntnis war, dass die Stimmung in der Öffentlichkeit gegenüber dem gewollten Konzept positiver als erwartet ist und dass Verhaltensänderungen in die gewünschte Richtung leichter möglich sind, als vermutet. Auch auf freiwilliger Basis und ohne umfängliche infrastrukturelle Maßnahmen.
Dieses Konzept traf auf eine relativ geschlossene, gute vernetzte Planer-Szene in Wien. Sie hatten Daten und Ansichten, die von unseren oft abwichen. Als „Höhepunkt“ der dadurch ausgelösten Konflikte wurde in der für die Verkehrsplanung zuständigen Magistratsabteilung ein Flugblatt über unsere Ergebnisse verteilt, das mit „Rattenfänger unterwegs“ betitelt war.
Heute weiß man, wie erfolgreich Wien auf dem Weg zu einer verträglichen Mobilität ist. Dazu bedurfte es vieler guter Planungs- und Infrastrukturprojekte. Aber eben auch das Mitwirken der gesamten Öffentlichkeit. Und aus der zuständigen Magistrats-Abteilung ist zu hören, dass die Planung jetzt einfacher geworden ist, weil viele Menschen ihr Verhalten auch freiwillig ändern. Die Frage: „Why survey data?“ ist damit beantwortet: Empirische Daten repräsentieren das Leben und sind für Planungen, die sich an den Menschen orientieren wollen, unverzichtbar.
Werner Brög
Ohne das Zu-Fuß-Gehen gibt es keine Alltagsmobilität. Das wird besonders deutlich in einer Stadt wie Wien, in der konsequent Alternativen zum Autoverkehr gefördert werden. Allerdings braucht es eine verfeinerte Methodik, um das Zu-Fuß-Gehen auch empirisch angemessen abbilden zu können. Eine Diskussion dieser Methodik wird selten geführt und liegt leider nicht im Interessenspektrum einschlägiger Foren.
Socialdata, Institut für Verkehrs- und Infrastrukturforschung GmbH:
- Mobilitätserhebung 2012 im Auftrag von Austrian Institute of Technology
- Kontinuierliche Marktanalyse für die Wiener Linien 2009 im Auftrag der Wiener Linien
Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2015, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.
Unsere Alltagsmobilität ist individuell vielfältig und im Durchschnitt simpel und unspektakulär. Ihre Messung / Beschreibung ist aber immer eine Herausforderung.
Wir verbringen unser Leben am eigenen Wohnstandort oder an auswärtigen Gelegenheiten / Zielen. Um diese Ziele zu erreichen sind wir unterwegs. Dieses „Unterwegssein“ nennen wir Mobilität. In der Mobilitätsforschung nimmt man in der Regel die gesamte Mobilität der Menschen, zieht den Wirtschaftsverkehr und Fahrten über 100 km ab, erhält die täglichen Abläufe und Routinen und nennt das die „Alltags-Mobilität“.
Diese Alltags-Mobilität erleben wir täglich selbst und nehmen sie jeweils subjektiv (und damit unterschiedlich) wahr. Ihre empirische Messung ist gar nicht so einfach. Heute möchten wir aber, auf Bitte der mobilogisch!-Redaktion, die wichtigsten Variablen vorstellen, mit denen wir ein einheitliches Bild der Alltags-Mobilität herstellen können. Und damit dies nicht nur mit abstrakten Begriffen geschieht, quantifizieren wir die Basis-Variablen mit Daten aus einem unserer Datenbestände. Er bildet das Verhalten von Bewohner(inne)n deutscher Städte ab, umfasst alle Personen der jeweiligen Haushalte, ist für jeweils einen Stichtag, verteilt über das ganze Jahr erhoben und umfasst ca. 35.000 Personen (fortgeschrieben auf das Jahr 2015).
Außer-Haus-Anteil: Die Grundvoraussetzung für Mobilität ist, dass wir das Haus verlassen. Das machen in deutschen Städten vier von fünf Bewohnern. Sie sind die „Mobilen“ (80 % „Außer-Haus-Anteil“).
Ausgänge: Jedes Mal, wenn wir aus dem Haus gehen, erledigen wir – bis zu unserer Rückkehr – einen Ausgang. Die durchschnittliche Zahl der Ausgänge, die wir (im Jahresmittel) pro Tag verzeichnen, ist allerdings mit 1,29 relativ gering.
Jede(r) Zweite verlässt an einem durchschnittlichen Tag das Haus nur einmal (48 %) jeder Vierte (24 %) zweimal.
Zeitbudget: Auch die Zeit, die wir für das Leben außer Haus aufwenden, ist im Schnitt überschaubar. Etwa 18 Stunden verbringen wir zuhause, knapp fünf Stunden an (aushäusigen) Zielen. Es verbleibt eine gute Stunde für die Mobilität.
Diese Stunde ist eine der großen Konstanten in der Mobilitätsforschung; wir finden sie im horizontalen Vergleich vieler verschiedener Länder ebenso wie im vertikalen Vergleich der zeitlichen Entwicklung.
Das, was wir an den (aushäusigen) Zielen erledigen, nennt man Aktivität. Es gibt drei etwa gleich große Gruppen von Aktivitäten: „Pflicht-Aktivitäten“, „Gelegenheits-Aktivitäten“ und „Freizeit-Aktivitäten“.
Dabei ist „Freizeit“ der schillerndste Begriff. Er umfasst beispielsweise „soziale Kontakte“ (9 %); „Erholung“ (6 %); Sport (5 %); „Restaurant“ (2 %); „Kirche / Friedhof“ (2 %); „Kulturelle Aktivitäten“ (1 %) usw..
Auch die Zahl der aushäusigen Aktivitäten ist überschaubar. Ein Mobiler kommt auf 2,1 und für alle Personen ergeben sich 1,7 Aktivitäten pro Person und Tag.
Das liegt vor allem daran, dass fast die Hälfte der Mobilen nur eine Aktivität am Tag erledigt, ein knappes Drittel zwei.
Aktivitäten-Muster: Bei (relativ) wenigen Ausgängen und Aktivitäten pro Tag kann man keine komplizierten Aktivitätsmuster erwarten.
Diese Aktivitätsmuster werden mitunter auch „Wegeketten“ genannt. Bei einer genaueren Aufgliederung zeigt sich, dass vier Fünftel dieser Wegeketten (82 %) nur einer einzigen Aktivität dienen. Jede neunte Wegekette enthält zwei und nur jede vierzehnte drei Aktivitäten oder mehr.
Insgesamt haben wir in unserem Bestand (mit fast 50.000 Ausgängen) 722 verschiedene Möglichkeiten gefunden, einen Ausgang zu gestalten. Gleichwohl entfielen fast drei Viertel (73 %) dieser 722 Varianten auf vier einfache Muster.
Die Art und Weise, wie wir unsere alltägliche Mobilität organisieren ist aber nicht nur simpel, sondern auch sehr stabil. Wir haben die gezeigten Wegeketten in einer Reihe von Städten über einen Zeitraum von zwanzig Jahren verglichen und festgestellt, dass für die wichtigsten Aktivitätsmuster im Jahr 2014 nahezu identische Werte ermittelt wurden wie 1995! Trotz Internet, Leihfahrrädern und Car-Sharing ändert sich die Struktur unserer Alltags-Mobilität offenbar nicht oder nur sehr, sehr langsam.
Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass Mobilität kein Selbstzweck ist, sondern der Ausübung von Aktivitäten dient. Man misst sie aber in Wegen und meint damit alles, was zwischen den einzelnen Standorten (der Wohnung oder der Aktivität) stattfindet. Das hat den Vorteil, dass etwa 90 % der Befragten Wege auch aktivitätenbezogen verstehen und man damit bei Verwendung dieses Wegebegriffes die Befragten nicht mit komplizierten oder schwer verständlichen Wege-Definitionen behelligen muss.
Wohnungsbezug: In unserem Bestand haben wir 2,96 Wege pro Person und 3,69 pro Mobilem gemessen. Der größte Teil dieser Wege hat einen Wohnungsbezug.
Sieben von acht Wegen, die wir alltäglich durchführen, beginnen oder enden an der eigenen Wohnung. Das ist wichtig für alle Projekte, deren Ziel es ist, unser Mobilitätsverhalten zu beeinflussen. Über den eigenen Wohnstandort ist die „Trefferquote“ hierfür – mit Abstand – am größten.
Verkehrsmittel: Die von uns gewählte Wegedefinition ist naheliegend und leicht verständlich. Sie stellt uns aber auch vor drei bedeutende Herausforderungen. Die Erste hat zu tun mit den Verkehrsmitteln, die wir nutzen.
Wenn wir beispielsweise mit dem Bus in die Arbeit fahren, gehen wir zu Fuß zur Haltestelle, warten, fahren mit dem Bus und gehen von der Haltestelle zu Fuß ins Büro. In diesem (einfachen) Fall werden zwei Verkehrsmittel genutzt (zu Fuß und Bus) und eines davon (zu Fuß) sogar zweimal.
Für viele Auswertungen / Analysen muss jedoch ein (hauptsächlich genutztes) Verkehrsmittel (HVM) bestimmt werden. Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die gebräuchlichste ist eine Verkehrsmittel-Hierarchie. Danach ist bei allen Kombinationen mit dem ÖV das HVM immer ÖV, bei allen anderen Kombinationen mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) ist der MIV das HVM. Und zu Fuß wird nur als HVM gewertet, wenn der Weg ausschließlich zu Fuß durchgeführt wurde. Das hat – wie auch alle denkbaren Alternativen – Vorteile und Nachteile. Wichtig ist vor allem, dass diese Definition dem Befragten nicht zusätzliche Informationen abverlangt, dass sie offengelegt und auch im internationalen Vergleich am häufigsten angewendet wird.
Dauer und Entfernung: In unserem Datenbestand liegt die durchschnittliche Zahl der Wege pro Person / Tag bei 2,96; diese Wege dauern etwa 21 Minuten und haben eine Entfernung von knapp sieben Kilometern. Pro Person / Tag ergibt sich hieraus eine Unterwegszeit von 65 Minuten und eine Entfernung von knapp 21 Kilometern (nur Alltags-Mobilität).
Man könnte die Verkehrsmittelwahl also auf Basis der Wege, der Dauer oder der Entfernung darstellen. Und immer dann, wenn es verschiedene Formen der Darstellung eines Sachverhaltes gibt, hat jede dieser Varianten ihre Berechtigung. Man muss also wissen, was man aussagen möchte um die geeignete Variante zu finden.
Die Wege-Variante beschreibt wie viele unserer aushäusigen Aktivitäten mit welchem Verkehrsmittel erreicht wurden. Dies ist bei dem hier skizzierten Mobilitätsverständnis die naheliegende Variante.
Die Dauer-bezogene Betrachtung gibt uns Hinweise, wie viel Zeit wir mit einzelnen Verkehrsmitteln (HVM) unterwegs sind. Sie wird in der Unfallforschung angewendet. Dies folgt der Überlegung, dass das Risiko, mit einem bestimmten Verkehrsmittel zu verunglücken, davon abhängt, wie viel Zeit wir mit diesem Verkehrsmittel im Verkehr zubringen.
Und die Entfernungs-bezogene Darstellung gibt Aufschluss über die sog. „Verkehrsleistung“. Diese Größe hilft bei der Kapazitätsplanung oder der Bestimmung der Belastungen. Jede dieser Varianten – das ist die zweite Herausforderung – hat ihre besonderen Liebhaber und – richtig angewendet – ihre Berechtigung. „Richtig“ oder „falsch“ ist keine.
Die dritte Herausforderung bei der Betrachtung der Verkehrsmittel hat mit den oben geschilderten Wege-Etappen zu tun. Wir nutzen bei unseren Wegen im Schnitt 1,58 Verkehrsmittel und jeder Weg besteht aus 2,03 Etappen (alle Etappen ohne Entfernungsbegrenzung).
Man könnte also die Verkehrsmittelwahl auch für alle genutzten Verkehrsmittel oder für alle Etappen ausweisen. Dann wäre die Bestimmung eines HVM nicht mehr nötig. Sofort zeigt sich die überragende Bedeutung der Fußwege, denn gerade da wirken sich die Folgen der HVM-Bestimmung über die Verkehrsmittel-Hierarchie besonders aus.
Man könnte sich jetzt die Frage stellen, warum Mobilitäts-Erhebungen nicht immer auf Etappenbasis durchgeführt werden (denn ein HVM kann man dann immer noch bestimmen). Diese Überlegung ist sehr berechtigt und die Antwort hat nichts mit Inhalt oder Konzept zu tun, sondern ist ganz pragmatisch.
Für eine seriöse Etappen-Erhebung muss man nämlich etwa den doppelten Aufwand im Vergleich zu einer „normalen“ Mobilitäts-Erhebung ansetzen. Und das betrifft nicht nur die Kosten sondern auch den konzeptionellen und organisatorischen Aufwand. Wenn man sich diese Mühe aber macht, wird man reich belohnt. Dann zeigt sich nämlich, dass wir ein gutes Fünftel unseres täglichen Mobilitäts-Zeitbudgets für Etappen benötigen. Diese Etappen (die 14 Minuten dauern) werden bei „normalen“ Auswertungen zur Mobilität einzelnen Verkehrsmitteln zugeschlagen, weil dort die Dauer und Entfernung in der Regel „von Tür-zu-Tür“ bestimmt werden.
Den auffälligsten Effekt hiervon sehen wir bei den Fußwegen. Die Zeit, die wir „als Fußgänger“ unterwegs sind, wird durch Fuß- und Warte-Etappen mehr als verdoppelt.
Auswertungen zur Mobilität / Verkehrsmittelwahl werden traditionell auf Wegebasis durchgeführt. Das macht zwar Sinn, führt aber manchmal auch zu Verwechslungen (z. B. dass 13 % aller Menschen Fahrrad fahren und nicht 13 % aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt werden).
Man kann aber auch die Mobilität auf Personen-Basis darstellen. Das nennt man dann Partizipation. Eine Partizipationsgruppe haben wir schon kennengelernt (und sie erschien uns ganz logisch): Die Mobilen oder – in diesem Jargon – die „Partizipationsgruppe Außer-Haus“. Das sind alle Menschen, die an einem durchschnittlichen Tag des Jahres an der Mobilität teilnehmen. Genauso kann man die Partizipation mit dem Fahrrad oder einem anderen Verkehrsmittel bestimmen (hier: HVM).
Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass man mobil sein muss um einer Verkehrsmittel-Partizipationsgruppe anzugehören und es zeigt sich, dass unsere Stadt-Bewohner(innen) im Schnitt 1,33 Verkehrsmittel (als HVM) nutzen, sofern sie unterwegs sind.
In der Markt- und Meinungsforschung, die sich traditionell mit Personen (und nicht mit Wegen) befasst, wird die Verkehrsmittelwahl gerne auf Personen-Ebene dargestellt. Dazu wird erfragt, wie oft ein bestimmtes Verkehrsmittel genutzt wird (z. B. „jeden oder fast jeden Tag, mehrmals pro Woche, pro Monat etc.). Diese Form der Abfrage erscheint einfach ist aber voller Tücken. Darüber werden wir in Bälde berichten.
Werner Brög
Unsere Alltags-Mobilität ist nicht kompliziert und ist uns sehr vertraut. Dennoch gibt es sehr unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Beschreibung. Das zeigt sich besonders deutlich bei der Verkehrsmittelwahl. Gleichwohl hat jede der gezeigten Varianten ihre jeweils spezifische Berechtigung. Schnelle Urteile über „richtig“ oder „falsch“ sollte man deshalb meiden.
Werner Brög: Surveys on daily mobility are not „surveys to go“ (Plenary paper).10th International Conference on Transport Survey Methods, 2014 in Leura, Australia
Dieser Artikel von Werner Brög ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2015, erschienen.
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