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Im Rahmen meiner Doktorarbeit habe ich die Motivationen und Mobilitätspraktiken der Bewohner* innen in neun autofreien Wohnsiedlungen in Deutschland und der Schweiz untersucht. Ihre Gründe, ohne eigenes Auto zu leben, in eine autofreie Siedlung zu ziehen und ihre Alltagsmobilität wurden analysiert und in einer Typologie von unterschiedlichen Lebensstilen zusammengefasst. Außerdem wurde auch das notwendige Umfeld für ein autofreies Leben untersucht.

Die negativen Auswirkungen von Autos und dem für sie aufgebauten System an Infrastrukturen sind bestens bekannt. Diese haben insbesondere in Städten ein Ausmaß erreicht, das eine Transformation dringend nötig macht. In diesem Kontext sind seit den 1990er-Jahren in verschiedenen westeuropäischen Städten autofreie Wohnsiedlungen entstanden, in denen sich die Bewohner*innen verpflichten, langfristig ohne eigenes Auto zu leben. Um eine autodominierte Gesellschaft zu überwinden ist es wichtig diese Haushalte zu verstehen, da ihre Wohnorte „Reallabore“ einer zukunftsfähigen Mobilitäts- und Stadtentwicklung darstellen.

Dieser Beitrag präsentiert die Ergebnisse meiner Doktorarbeit für welche ich die Bewohner* innen neun autofreier Siedlungen untersucht habe, fünf in der Schweiz (Burgunder in Bern, FAB-A in Biel/Bienne, Giesserei in Winterthur, Oberfeld in Ostermundigen und Sihlbogen in Zürich) und vier in Deutschland (Klein Borstel und Saarlandstraße in Hamburg, Stellwerk60 in Köln und Weißenburg in Münster). Diese beinhalten die unterschiedlichen Arten von autofreien Wohnsiedlungen bezüglich Wohnform (auch wenn sechs davon Genossenschaften oder Wohnprojekte sind), Größe (zwischen 20 und 426 Wohneinheiten), Alter (die älteste wurde ab 2000, die neuste ab 2014 bezogen) und Lage (von der Innenstadt bis zum Stadtrand).

Die Analysen basieren einerseits auf einer 2016 durchgeführten Fragebogen-Befragung der rund 1‘200 Haushalte in allen neun Siedlungen (Rücklaufquote: 46%). Andererseits habe ich im Jahr danach mit 50 Haushalten in sechs Siedlungen ausführliche Interviews geführt.

Spezifische Profile

Die Bewohner*innen zeichnen sich durch sehr spezifische Profile aus. Beinahe die Hälfte der Haushalte sind Familien (41% Paare mit Kind/ ern und 7% Alleinerziehende), rund ein Drittel Ein-Personen-Haushalte und etwa ein Sechstel Paare ohne Kinder. Sie verfügen über ein hohes Ausbildungsniveau, fast zwei Drittel der über 15-Jährigen haben einen Universitäts- oder Fachhochschul-Abschluss. Beim Haushaltseinkommen zeigt sich hingegen eine relativ ausgewogene Verteilung, höhere Einkommens­klassen sind leicht übervertreten, was sich aber durch die vielen Familien relativiert. Durch all diese Merkmale unterscheiden sich die Bewohner*innen stark von den autofreien Haushalten insgesamt, aber auch von der Bevölkerung in den Städten, in denen sie leben. Dieser Unterschied zeigt sich auch daran, dass den Bewohner*innen ethische oder altruistische Werte am wichtigsten sind, so würden über 80% links wählen (d.h. in Deutschland Linke und Grüne, in der Schweiz SP, Grüne und AL).

Persönliche und praktische Motivationen

Fast alle Bewohner*innen leben freiwillig ohne eigenes Auto und dies bedeutet kein Verzicht für sie. Ihre Motivationen autofrei zu leben beziehen sich hauptsächlich auf praktische und persönliche Gründe. Erstere sind entweder individuell – kein Bedarf für ein Auto, negative Aspekte des Autobesitzes und des Autofahrens, in der Stadt insbesondere, und nutzen statt besitzen – oder auf den Kontext bezogen – es sind genügend alternative Mobilitätsformen verfügbar oder grundsätzlich eignen sich Städte für ein autofreies Leben. Persönliche Motivationen beinhalten vor allem Überzeugungen, vorwiegende ökologische, aber auch Präferenzen (für andere Mobilitätsformen) und eine negative Einstellung zu Autos, entweder grundsätzlich oder in Bezug auf Städte. Finanzielle sowie Gesundheits- und Altersgründe spielen hingegen nur für sehr wenige Haushalte eine Rolle. Selten erklärt hingegen ein einzelner Grund, dass jemand autofrei lebt. Meistens ist es eine Kombination aus persönlichen und praktischen Motivationen, wobei die Interviews gezeigt haben, dass für die meisten Bewohner*innen die persönlichen überwiegen. Mit anderen Worten: sie wollen und können autofrei leben.

Die Motivationen, in eine autofreie Wohnsiedlung zu ziehen, basieren auch auf praktischen und persönlichen Gründen. Für die meisten Bewohner*innen waren die Eigenschaften der Siedlung zentral, insbesondere in den Genossenschaften und Wohnprojekten, in denen Gemeinschaftsleben, Partizipation und Selbstverwaltung wichtige Eigenschaften sind. Aber auch Energieeffizienz und Gemeinschaftsräume oder die Kinderfreundlichkeit spielten eine Rolle. Die Eigenschaften der Wohnung hingegen waren für viele nicht, wie sonst üblich, von größter Bedeutung. Mobilitätsbezogene Gründe wie die Lage der Siedlung und die Möglichkeit, sich im Alltag zu Fuß und mit dem Rad fortzubewegen gehörten zu den wichtigsten Umzugsgründen, die Autofreiheit der Siedlungen an sich hingegen nicht. Während sie für einige Haushalte zentral war, gab es aber auch Haushalte, die sich trotz Autofreiheit zu einem Umzug entschieden haben. Tatsächlich besaßen insgesamt 25% der Haushalte vor dem Einzug ein Auto. Schließlich gab es auch persönliche Gründe, welche die Wohnungswahl beeinflusst hatten, so beispielsweise der Wille unabhängig von Autos, in einem umweltfreundlichen Umfeld zu leben und Aktivitäten und Einrichtungen mit der Nachbarschaft zu teilen.

Vier Strategien, um autofrei zu leben

Die Bewohner*innen verfügen über ein ausgeprägtes Mobilitätskapital, das heißt sie haben zahlreiche persönliche Zugänge zu Mobilitätsformen wie auch die nötigen Kompetenzen, um ohne ein eigenes Auto mobil zu sein. Diese wurden zusammen mit ihren Mobilitätspraktiken, den tatsächlich zurückgelegten Wegen, zu vier Arten von Strategien zusammengefasst, welche ihnen ermöglichen, ohne eigenes Auto mobil zu sein.

Erstens bauen die Bewohner*innen auf die Nutzung von (erweiterten) alternativen Transportformen. Das ist insbesondere das Fahrrad, fast die Hälfte der Haushalte verfügen über mehr als ein Rad pro Person und nur 9% über kein einziges. Dazu kommen noch Anhänger sowie E- oder Cargo-Bikes. Diese werden oft explizit als Autoersatz gesehen und als viel praktischer, um in der Stadt Einkäufe oder Kinder zu transportieren. Dazu kommt, mindestens für längere Strecken, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Dies zeigt sich auch in der hohen Verfügbarkeit von Abos, insgesamt besitzen 60% der über 16-Jährigen eine Monats- oder Jahreskarte, in Deutschland meist für eine Stadt oder Region, in der Schweiz ist das GA, der Zugang zum öV im ganzen Land, sehr stark vertreten. Schließlich gehen viele Bewohner*innen auch oft und gerne längere Strecken zu Fuß.

Zweitens nutzen sie Mobilitätsdienstleistungen wie Taxis und Lieferdienste, aber auch punktuell Carsharing- oder andere Leih-Autos. Über 80% der erwachsenen Bewohner*innen besitzen einen Führerschein, wobei sich aber gezeigt hat, dass einige seit Jahren nicht mehr Auto fahren. Rund 40% sind Mitglied eines Car­sharing-Anbieters, dieser Anteil variiert aber sehr stark, zwischen 19% in der Saarlandstraße und über 60% im Stellwerk60. Auch hat sich gezeigt, dass die große Mehrheit der Bewohner* innen ein Auto seltener als ein Mal im Monat braucht, besonders um große und schwere Dinge zu transportieren, für Freizeitaktivitäten oder Besuche von Freund*innen und Verwandten. Carsharing-Nutzung oder Taxifahrten ermöglichen es auch die vereinzelt genannten Probleme der Unerreichbarkeit gewisser Orte oder Aktivitäten zu lösen.

Im Zusammenhang mit diesen Dienstleistungen hat sich gezeigt, dass die Digitalisierung autofrei leben stark vereinfacht. Insbesondere Smartphone-Apps, welche Zugang zu allen Mobilitätsformen ermöglichen und deren Nutzung unterstützen, spielen eine wichtige Rolle. Dies wurde besonders von älteren Bewohner* innen erwähnt, während sie für jüngere derart normal sind, dass sie meist nicht spontan erwähnt wurden. Aber auch die Kommunikationsmöglichkeiten, unterwegs oder für Heimarbeit, sind ein wichtiger Aspekt der Digitalisierung, wie auch die Möglichkeit, sich (fast) alles online zu bestellen und liefern zu lassen.

Drittens favorisieren die Bewohner*innen autofreie Erreichbarkeit und daher für ihre Alltagsaktivitäten oft Ziele in der Nähe. Insbesondere Einkäufe werden meistens zu Fuß oder mit dem Fahrrad in nahe gelegenen Geschäften erledigt. Für Freizeitaktivitäten, aber auch für Arbeitsstellen stellt die Erreichbarkeit oft ein wichtiges Kriterium dar, und in einem weiteren Sinn auch für Urlaubsreisen, wobei hier zahlreiche Bewohner*innen auch auf Autos zurückgreifen oder gar mit dem Flugzeug verreisen.

Viertens erschien die Gemeinschaft der Bewohner*innen auch als wichtig. Auf der praktischen Ebene erleichtern Nachbarschaftshilfe oder Gemeinschaftsaktivitäten in der Siedlung autofreies Leben, dadurch dass Wege gar nicht erst entstehen oder Transporte gemeinsam organisiert werden. So gibt es in vielen Siedlungen Kommunikationskanäle, über welche sich Nachbar*innen absprechen können, wenn zum Beispiel jemand einen Transporter mietet und zum Baumarkt fährt. Darüber hinaus stärkt die Gemeinschaft die Bewohner*innen auch und „normalisiert“ diese Lebensform.

Unterschiedliche Lebensstile

Obschon wie beschrieben für Motivationen und Praktiken klare Tendenzen bestehen, existiert eine große Vielfalt an Bewohner*innen. Basierend auf den Wertvorstellungen und Motivationen, autofrei zu leben, wie auch auf den Mobilitätspraktiken, wurden sechs Typen von Lebensstilen gefunden: ökologische, pragmatische und nutzenorientierte Fahrradfahrende sowie die selben drei Typen von Multimodalen.

Diese unterscheiden sich einerseits durch die unterschiedliche Bedeutung ökologischer Werte für Ihr Leben. Während für die Ökologischen der Umweltschutz all ihre Praktiken beeinflusst und leitet, haben die Pragmatischen zwar ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, das aber nicht genügend wäre um autofrei zu leben. Für sie spielen praktische Aspekte auch eine wichtige Rolle für die Mobilität. Bei den Nutzenorientierten dagegen erklären ausschließlich praktische Gründe ihr autofreies Leben, sie brauchen kein Auto um in der Stadt mobil zu sein und begründen dies nicht mit bestimmten Wertvorstellungen. Bei allen drei Typen gibt es zwei unterschiedliche Muster der Alltagsmobilität: während für die einen das Fahrrad ganz klar das Hauptverkehrsmittel ist, sind die andern multimodal unterwegs und nutzen, regelmäßig oder gar überwiegend, auch öffentliche Verkehrsmittel.

Räumlicher und sozialer Kontext für autofreies Leben

Neben all diesen Aspekten, welche sich auf die Personen beziehen, braucht es schließlich aber auch einen räumlichen und sozialen Kontext, der es ermöglicht, autofrei zu leben. Nach Einschätzung der Bewohner*innen sind Infrastrukturen auf drei Ebenen wichtig. In der Siedlung selbst muss der Wichtigkeit des Fahrrads Rechnung getragen werden und für sichere, genügend große und einfach zugängliche Fahrradparkierungsmöglichkeiten gesorgt werden. Ein minimales Carsharing-Angebot scheint notwendig, wie auch eine ansprechende Gestaltung der Außenbereiche sowie Räume, welche Gemeinschaftsaktivitäten ermöglichen. Im umliegenden Quartier sind insbesondere Nahversorgungsmöglichkeiten aber auch Naherholungsgebiete zentral, während alle anderen Orte wie Poststellen oder Restaurants auch etwas weiter entfernt sein können. Schließlich hat sich gezeigt, dass nicht eine bestimmte Distanz zum Stadtzentrum ein Kriterium ist, sondern vielmehr eine gute Anbindung mit (mehreren) ÖPNV-Linien sowie attraktive Fuß- und Fahrradwege zur Innenstadt und anderen Alltagsorten. Kurz zusammengefasst scheint also autofrei Wohnen fast überall in (vor)städtischen Gebieten möglich.

Andererseits beinhaltet der zum autofreien Leben notwendige Kontext aber auch immaterielle Aspekte. Dazu gehören insbesondere soziale Normen welche ermöglichen, Autofreiheit überhaupt in Betracht zu ziehen, aber auch Gesetze, welche autofreie Wohnsiedlungen nicht erschweren und Autobesitz und -fahren erleichtern.

Ein System autofreier Mobilität

Zusammengefasst muss ein System von autofreier Mobilität aufgebaut werden, um das bisher dominierende System der Automobilität zu überwinden. Ein solches System besteht einerseits aus den verschiedenen individuellen Strategien der autofreien Menschen, aber auch aus einem räumlichen und sozialen Kontext, der autofreies Leben ermöglicht.

Für die Stadt- und Mobilitätsplanung heißt das, dass es zwar nicht sehr viel braucht (Fahrrad-Infrastruktur, ÖPNV, Nahversorgung und -erholung sind oft bereits vorhanden), damit Menschen erfolgreich autofrei leben können. Aber so lange das Auto in den Städten nicht grundlegend eingeschränkt wird und der „Nutzen“ und die gesellschaftliche „Normalität“ nicht gegeben sind, wird die notwendige Transformation zu einem System autofreier Mobilität nicht gelingen.

In Kürze

Meine Doktorarbeit untersuchte die Bewohner* innen neun autofreier Wohnsiedlungen in der Schweiz und Deutschland, die sich zu einem Leben ohne eigenes Auto verpflichten. Der Beitrag beantwortet die Fragen wer sie sind, weshalb und wie sie autofrei (und in diesen Siedlungen) leben und welchen räumlichen und sozialen Kontext es dazu braucht.

Hinweise:

Die Dissertation (auf Englisch) wird Ende 2019 publiziert, kontaktieren Sie mich bei Interesse (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Weitere Informationen zum Thema: Plattform autofrei/autoarm Wohnen: www.wohnbau-mobilitaet.ch

 

Dieser Artikel von Daniel Baehler ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2019, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.

Rechtsabbiegender Lkw übersieht eine/n geradeausfahrende/n Radfahrer/in, die/der zuvor parallel zu ihm fuhr. Im Durchschnitt fast wöchentlich kommt es so in Deutschland zu einem Todesfall an einer Kreuzung oder Einmündung. Dieses Risiko muss bestmöglich vermieden werden. Neben Abbiegeassistenten für Kfz und dem Schulterblick ihrer Fahrer/innen spielt u.a. auch die Infrastruktur eine Rolle.

Besonders gefährlich ist überraschenderweise die Situation, wenn das rechtabbiegende Kfz gehalten hat und wieder anfährt, während das geradeaus orientierte und bevorrechtigte Fahrrad (bei Grün) ohne Halt herannaht..(1) Gemäß Untersuchungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind Lieferwagen, Lkw und Busse zwar nicht überproportional häufig an Rechtsabbiegeunfällen mit Fahrradkollision beteiligt, sondern in etwa nur im Rahmen ihrer Verkehrsanteils. Doch haben Unfälle mit Beteiligung von Lkw und Lieferwagen im Mittel schwerere Unfallfolgen für den/die Radfahrer/in. Der Pkw-Anteil bei den 873 untersuchten Rechtsabbiegeunfällen lag bei 86 %.(2)

Geeignete infrastrukturelle Maßnahmen sind grundsätzlich:

  • Signalisierung: Bei beampelten Knotenpunkten mit Radwegen und Radfahrstreifen kann eine gesonderte Ampelphase für den Radverkehr diesen schützen, wenn Einbußen bei der Kfz-Leistungsfähigkeit und längere Wartezeiten in Kauf genommen werden. Da die Wartezeiten auch für den Radverkehr steigen, können vermehrt Rotfahrten und Unfälle mit kreuzenden Verkehrsteilnehmer/innen auftreten, die den Sicherheitsgewinn teilweise wieder mindern.(3)
  • Kleine Eckausrundungen: Kleinere Radien bzw. Korbbögen verlangsamen das Abbiegen und sorgen somit für mehr Reaktionsspielraum und weniger kinetische Energie.
  • Sichtverhältnisse: Hier geht es letztlich um die Form der Radverkehrsführung an den Knotenpunkten und im jeweils vorgelagerten Streckenabschnitt. Bei der Vorweg-Variante Radweg sollten möglichst alle Sichthindernisse entfallen, sowohl im Streckenabschnitt kurz vor dem Knotenpunkt (wo häufig parkende Kfz die Sicht versperren) als auch im Knoten selbst.(4) Bei Vorweg-Varianten auf der Fahrbahn - Mischverkehr oder markierte Radverkehrsanlagen - treten diese Sichtbehinderungen nicht auf.
  • Lage der Radverkehrsführung am Knotenpunkt: Was hier am besten ist, scheidet seit kurzem die Geister.
Toter Winkel
Toter Winkel – die rot markierten Bereiche sind ohne besondere Ausstattung grundsätzlich nicht einsehbar. Ein Radfahr- bzw. Schutzstreifen liegt am günstigsten in den Sichtfeldern des parallel fahrenden Kfz. Je weiter versetzt die Radfahrer/innen vom Lkw entfernt fahren, desto länger wird die unsichtbare Strecke im toten Winkel. [Grafik ADFC Münsterland]

Wunderlösung gesicherte Kreuzung?

In den letzten Monaten haben fast alle klassischen Medien über die Problematik der Rechtsabbiegeunfälle berichtet, zugespitzt von „Todesstreifen“(5) etc. geschrieben. Meist wurde dabei eine derzeit stark beworbene Wunderlösung vorgestellt und indirekt eingefordert: Die geschützte Kreuzung nach niederländischem Vorbild. Interessanterweise wird dieser Lösungsansatz hierzulande v.a. von verkehrsplanerischen Laiinnen und Laien in Initiativen, Blogs, Leserbriefen etc. eingefordert, während die einschlägig ausgebildeten Fachleute ganz überwiegend zurückhaltend bis ablehnend sind.

Geschützte Kreuzung mit Schwachpunkten für den Fußverkehr
Geschützte Kreuzung mit Schwachpunkten für den Fußverkehr: Immerhin haben die niederländischen Originale zumeist Zebrastreifen (Fußgängerüberwege) über die Radwege [Quelle: Kress, T.: Gestaltung von Knotenpunkten im Straßenverkehr in den Niederlanden. In: ADFC (Hrsg.): So geht Verkehrswende. Berlin 2018; eigene Ergänzung durch Anmerkung und Eintragungen in Rot/ Orange]

Beim Hype um die niederländischen Sicherheitskreuzungen wird oft vergessen, dass es sich um eine Bauform handelt, die in vielen deutschen Dörfern und Städten überhaupt nicht realisierbar ist: In Mittelgebirgslagen fehlt in vielen Straßenräumen schlichtweg der Platz – sowohl für gesonderte Radwege als auch deren Integration in die Einmündungen und Kreuzungen. Und auch in flachen Regionen gibt es teilweise enge historische Siedlungsstrukturen mit engen Hauptverkehrsstraßenräumen.

Kernelement, das die Sicherheit verbessern soll, ist das Abrücken der Furt nach Außen. Die deutsche Variante gibt es schon lange als „Knotenpunkt mit weit abgerückter Fahrradfurt (> 4 m)“. Da sie in wissenschaftlichen Sicherheitsstudien insgesamt oft schlecht bis sehr schlecht abgeschnitten hat, wird sie von den hiesigen technischen Regelwerken (RASt 2006, ERA 2010 samt Vorgängerausgaben) nicht favorisiert – obwohl oder weil es sich um eine besonders autofreundliche Lösung handelt. Zur Absicherung der Rad- und Fußverkehre werden Teilaufpflasterungen empfohlen.(6) Die weite Abrückung der Furt hat einzelne Vorteile, sicherheitsmäßig aber bedeutsame Nachteile

 

Vorteile von Knotenpunkten mit weit abgerückter Fahrradfurt (> 4 m) - Auswahl

mit Beampelung:

  • Hohe verkehrstechnische Knotenpunktleistungsfähigkeit bzw. Option zur Verkürzung der mittlere Wartezeiten für alle Verkehrsteilnehmer/innen(7)
  • Eignung zum indirektem Linksabbiegen (Wartezone, Signalisierbarkeit)

ohne Beampelung:

  • Erhöhte verkehrstechnische Knotenpunktleistungsfähigkeit bei Abwicklung der motorisierten Rechtsabbieger auf Kombifahrstreifen zusammen mit dem Kfz-Geradeaus- und ggf. -Linksabbiegeverkehr
  • Geringere Häufigkeit von Furtblockaden des Radverkehrs durch Kfz(8)
  • Höhere Sicherheit für (legal) linksfahrende Radfahrer/innen auf Zweirichtungsradwegen(9) (die aber innerorts eine seltene Ausnahme bilden, andere Probleme aufweisen und nicht Teil des aktuellen Vorschlags der geschützten Kreuzung sind!)

Mit und ohne Beampelung:

  • Besserer Sichtwinkel für Kfz-Fahrer/in zum/zur aus gleicher Richtung kommenden Radfahrer/in nach dem Abbiegen

Nachteile von Knotenpunkten mit weit abgerückter Fahrradfurt (> 4 m) - Auswahl

ohne Beampelung:

  • Höhere Unfallquoten als bei Radwegen mit geringerer Furtabsetzung(10)
  • Erhöhte Konfliktquote mit den Kfz, die auf der Nebenstraße zum Knotenpunkt fahren (durch i.d.R. ungünstige Sichtverhältnisse und zweifache Wartepflicht)11)
  • Unklarheit bezüglich der Bevorrechtigung des Radverkehr, ggf. Verlust des Vorrangs
  • Häufiges Auftreten kritischer Situationen „zwischen rechtsabbiegenden Kraftfahrzeugen und [regelkonform, d.V.] rechtsfahrenden Radfahrern durch die schlechten Sichtverhältnisse aufgrund der weiten Absetzung“12)

mit Beampelung:

  • In „der Unfallbilanz und (…) bei den Verhaltensbeobachtungen unter Sicherheitsaspekten am ungünstigsten“ (meiste Unfälle mit Radfahrer/innen, im Mittel die schwerste Unfallfolgen)13)
  • Mit und ohne Beampelung:

  • Höchster Anreiz zum gefährlichen (unrechtmäßigen) Linksfahren von Fahrrädern (entgegen der zugelassenen Richtung) – deutlich mehr als bei allen anderen Radverkehrsanlagen14)
  • Erhöhtes Kollisionsrisiko für (unrechtmäßig) linksfahrende Radfahrer/innen auf Einrichtungsradwegen15)
  • Häufig Zwangsumwege für den geradeaus gehenden Fußverkehr von ca. 8 bis 16 m
  • Häufig Zwangsumwege von bis zu 30 m für Fußverkehr, der zwei Straßenäste am Knotenpunkt quert
  • Zwingende Kombination mit Radwegen auf den vor- und nachgelagerten Strecken (somit also eine eher seltene Einsatzmöglichkeit)
  • (Dadurch) erhöhter Flächenbedarf sowohl am Knotenpunkt als auch in Streckenverlauf davor und i.d.R. dahinter
  • (Dadurch) vielerorts fehlende Machbarkeit

Weitere Bausteine der sogenannten geschützten Kreuzung

Die weiteren Bausteine der idealtypischen „geschützten Kreuzung“ sind in den Niederlanden kein allerorten und immer ganz selbstverständlich gegebener Standard (auch wenn manche euphorische Beschreibung in der jüngsten deutschen Literatur durch Pauschalisierungen den entsprechenden Eindruck erweckt): Die Wartenischen (2) (s. Abb.) mit vorgezogener Haltelinie (4) sind nur bei ausreichendem Platz realisierbar.16) Die ungewöhnlichen „Schutzinseln“ (1) haben hauptsächlich die Aufgabe, den Radverkehr auf die abgerückte Furt zu lenken. Eine wichtige und vorbildliche niederländische Besonderheit ist dabei, dass an diesen Stellen praktisch nichts herumsteht, was die Sicht auf den Radweg (und die Fußgängerfurt) stören würde. Während in Deutschland zu diesem (umstrittenen) Zweck an etlichen Knotenpunkten noch heute Absperrgeländer im Einsatz sind, sind die meist durch erhöhte Borde ausgebildeten „Schutzinseln“ eine städtebaulich ansprechendere Barriere (doch als solche auch mit den genannten Nachteilen verbunden). Interessant ist, dass in den Niederlanden nur die bevorrechtigten Radfurten eine Farbmarkierung (3) aufweisen (ziemlich regelmäßig, wenn auch nicht überall).

Modellhafte Darstellung einer niederländischen Kreuzung
Modellhafte Darstellung einer niederländischen Kreuzung (Ausschnitt). Erläuterungen im Text (Quelle: Kress 2018)

An manchen beampelten Knotenpunkten wird der Radverkehr gesondert signalisiert, Freigabe dann oft nur nach Anforderung z.B. durch Drucktaster.

Die Abrückung der Radfurt beeinträchtigt den Fußverkehr, denn die Fußverkehrsfurt wird gleichermaßen abgerückt. Meist liegt sie dann nicht mehr in der Gehwegachse, was Umwege zur Folge hat.

Rechtsabbiegeunfälle - Überblick über deutsche Studien

„Das Rechtsabbiegen von Kraftfahrzeugen ist an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlage der Hauptkonflikt bei Radwegführungen. Hier schneiden die Führungen des Radverkehrs auf der Fahrbahn oder auf Radfahrstreifen erheblich günstiger ab.“17)

In einer Untersuchung im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) wurden speziell Rechtsabbiegeunfällen mit Lkw- und Radfahrerbeteiligung analysiert. Dabei zeigte sich, dass knapp die Hälfte (333 von 684 Unfällen) an lichtsignalisierten Knotenpunktarmen mit Radweg und einer geringen Furtabsetzung von 0 bis 2 m auftrat.18)

Die GDV/UDV-Studie „Abbiegeunfälle Pkw/Lkw und Fahrrad“ aus dem Jahr 2013 , die Unfälle und Konflikte mit allen Kfz einbezog, zeigt keine eindeutige Sicherheitspräferenz bezüglich einer bestimmten Radverkehrsführungsform an Knotenpunkten im Hinblick auf Rechtsbbiegeunfälle von Kfz mit Fahrradkollision auf.

Der Mischverkehr auf der Fahrbahn war übrigens bei Knotenpunkten ohne LSA besonders sicher. Bei dieser Führungsform verunglückten bei den (allerdings nur fünf) untersuchten Unfällen keine Radfahrer/innen auf der Fahrbahn, sondern nur diejenigen, die unrechtmäßig auf dem vermeintlich sicheren Gehweg Rad fuhren (Diskrepanz von subjektiver und objektiver Sicherheit, s.u.).19)

Am unfallauffälligsten waren Knotenpunkte mit LSA und Radwegen mit mittlerer Furtabsetzung (zwischen 2 und < 4 m).(20) „In Bezug auf Rechtsabbiegeunfälle (…) [sind Knotenpunkte] ohne LSA [mit] (...) weiter Furtabsetzung > 4 m unfallauffällig. Es handelt sich hierbei um eine vergleichsweise seltene Führungsform mit insgesamt eher geringen Unfallzahlen, Unfalldichten und Unfallkostendichten. Für Rechtsabbiegeunfälle weisen die (…) [Knotenpunkte] jedoch im Vergleich (...) das höchste individuelle Unfallrisiko für Radfahrer und rechtsabbiegende Kfz (höchste Unfallraten) sowie die höchsten Unfallkostenraten auf.“(21)

Rechtsabbieger-Warnschild
Geschützte Kreuzung (Elst / NL): Rechtsabbieger-Warnschild: „Let op!“ - „Pass auf!“ (Foto Arndt Schwab / 2019)

An Knotenpunkten mit LSA und Radfahr- bzw. Schutzstreifen ist das „individuelle Unfallrisiko für geradeausfahrende Radfahrer und abbiegende Kfz (...) sehr gering“(22) (trotz hoher Unfallquoten und -dichten an den Untersuchungsknotenpunkten, was weiteren Forschungsbedarf aufzeigt). „In der Verhaltensbeobachtung wurde festgestellt, dass bei Radfahr-/Schutzstreifen die regelkonforme Nutzung am höchsten ist. Nur selten wird auf dem Gehweg oder in falscher Richtung gefahren. In der Befragung wurde bei dieser Führungsform das schnelle Vorankommen am positivsten bewertet.“(23)

In einer noch nicht veröffentlichten Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums wurden Radfahrstreifen in Mittellage zwischen Geradeaus- und Rechtsabbiegestreifen untersucht. Sie sind Bestandteil des deutschen technischen Regelwerks (ERA 2010, Bild 52) und verlagern das gefährliche Kreuzen zwischen rechtsabbiegenden Kfz und geradeausfahrendem Kfz in den Streckenabschnitt kurz vor dem Knotenpunkt, um ihn zu entschärfen. Dort tritt das später nach recht abbiegende Kfz nur als Fahrstreifenwechsler auf. Bei den Unfall- und Verhaltensanalysen ergaben sich unter bestimmten Bedingungen Sicherheitsvorteile (u.a. viel Radverkehr geradeaus, wenige Kfz-Rechtsabbieger, ausreichend lange Rechtsabbiegespur, bestimmte Breiten- und Längenmaße).(24)

Gut ausgeführte Radfahrstreifen in Mittellage sind eine attraktive Infrastrukturvariante im Zuge von Hauptverkehrsstraßen für den Stadtverkehr gewohnte Radfahrer/innen. Ein bisher vernachlässigter Ansatz zur Verbesserung von Sicherheit und Allgemeinakzeptanz der Radfahrstreifen in Mittellage sowie zur Ausweitung ihrer Einsetzbarkeit könnte eine zusätzliche leichte „Teilaufpflasterung“ (bauliche Anhebung) sein.

Subjektive Sicherheit vs. objektive Sicherheit

Damit das Fahrrad ein Alltagsverkehrsmittel für Alle wird, braucht es grundsätzlich für jede Relation mindestens eine möglichst schöne anfänger-/behinderten-/kinder-/senioren-/familienfreundliche Route, die wenig oder keinen Kfz-Verkehr aufweist, und darüber hinaus eine schnelle Direktverbindung für das dynamische und selbstsichere Segment der Radfahrerschaft (vgl. RiN 2008 / Richtlinie zur integrierten Netzgestaltung).

Bekanntlich fühlt sich ein Großteil der praktizierenden und vor allem der potentiellen Radfahrer/innen am sichersten auf Wegen mit einer baulichen Abgrenzung Kfz-Verkehr (bzw. ganz ohne Autoverkehr). Dass Bordsteinradwege objektiv nicht immer sicher sind, ist in Fachkreisen hinlänglich bekannt, bei den Radfahrenden aber oft nicht in ausreichendem Maß. Erwähnt seien hier nur die Stichworte „Knotenpunkte“ (s.o.!), „Grundstücksein- und Ausfahrten“, „Mitbenutzung durch Fußgänger/innen“, „hoher Anreiz zum gefährlichen unrechtmäßigen Befahren von Einrichtungsradwegen in Gegenrichtung“ (Linksfahren/ „Geisterfahrer“). Gewiss gibt es durchaus Radwege ohne erhöhtes Risiko, so wie es auch sichere und unsichere Schutz- und Radfahrstreifen gibt - je nach Breite oder möglichen Planungsfehlern.

Markierungslösungen sind oft sicherer als baulich angelegte Radwege. Bei auf der Fahrbahn markierten Radverkehrsanlagen gilt es v.a., ausreichend breite Sicherheitsstreifen zu parkenden Kfz einzuplanen (einheitlich 0,75 m) und möglichst kenntlich zu machen (Längsmarkierung auch an den Parkständen). Bei Fahrbahnführungen ist ruhender Kfz-Verkehr das Hauptrisiko für Radfahrer/innen, wo keine ausreichend breiten Radverkehrsanlagen bestehen oder eingerichtet werden können. Fahrradpiktogrammketten in entsprechend abgerückter Lage zum Kfz-Parken und -Halten können bei schmalen Fahrbahnen ein Lösungsansatz sein, um vor „Dooring“-Unfällen durch Autotüraufschlagen schützen (was derzeit im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums untersucht wird).

Ein weiterer Lösungsansatz wäre die (ggf. durch Begleitmaßnahmen durchgesetzte) Verlangsamung des Kfz-Verkehrs auf Tempo 30 oder weniger. Diese kostengünstige Sofortmaßnahme müsste rasch als Standard für Innerortsstraßen eingeführt werden.

Internationale Sicherheitsvergleiche kaum auf einen Aspekt reduzierbar

„Obwohl ein gutes Kreuzungsdesign lebensnotwendig für Radfahrende ist und das Thema im Zentrum der Diskussion über mehr Verkehrssicherheit steht, gibt es in Deutschland bisher keine angemessenen Lösungen“, kritisiert der ADFC etwas zugespitzt. Der Verband ist zu Recht besorgt wegen der zu erwartenden Zunahme der Radunfälle, die sich aus der Aufkommenssteigerung und mehr Pedelecs ergibt.(25)

Die deutschen technischen Regelwerke basieren i.d.R. auf umfangreichen wissenschaftlichen Studien oder konkreten positiven Praxiserfahrungen. Sind niederländische Varianten für sich genommen tatsächlich sicherer? Entsprechende Studien fehlen bzw. sind nicht bekannt, zumindest ist das Sicherheitsniveau in den Niederlanden nicht so gut wie oft behauptet. Auf jeden Fall greift es zu kurz, ausschließlich auf Unterschiede bei der Radverkehrsführung zu schauen, weil nicht immer ein ganzes Spektrum an Einflussfaktoren das Auftreten von Unfällen sowie deren Ausprägung bestimmt, z.B.:

In den Niederlanden läuft der Straßenverkehr im Allgemeinen entspannter und ausgeglichenerer als in Deutschland ab; das Auto ist mehr Gebrauchsgegenstand als Statussymbol (Mentalitätsunterschiede). Schnelles Autofahren ist kein nationaler Kulturbestandteil (Tempobegrenzungen auf Autobahnen und Landstraßen). Wer schon als Kind und Jugendliche/r viel „Fiets“ gefahren und in einem Land mit hohem Radverkehrsaufkommen lebt, wird auch als Auto-/ Bus-/Lkw-Fahrer/in ein gewisses Grundverständnis aufweisen und mit dem Auftreten von Fahrrädern rechnen (Kulturunterschiede, biografische Prägung). Die Sanktionen bei Verkehrsverstößen mit Kfz sind stärker und somit auch (sicherheits-)wirksamer als in Deutschland, wo selbst sichtbehindenderndes Falschparken wenig kostet und kaum rechtssicher abgeschleppt werden darf (ordnungsrechtlicher Rahmen, Würdigung des Autos im Vergleich zu nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer/innen). Wer in den Niederlanden mit dem Kfz eine/n Radfahrer/in schädigt, hat bei Kindern stets die volle Schuld und bei Jugendlichen und Erwachsenen immer mindestens die halbe (Verschuldungsvermutungshaftung) ... Mobilitätskultur wird durch vielerlei politische Rahmensetzungen gestaltet. Infrastruktur ist dabei nur ein Baustein.

Fazit

Für Situationen mit viel Kfz-Verkehr gibt es nicht „den“ optimalen Straßenkreuzungstyp zur Vorbeugung von Rechtsabbiegeunfällen mit Gefährdung von Radfahrer/innen. Letztlich muss jeder Straßenraum und jeder Knotenpunkt individuell für die jeweilige Situation geplant und in Zukunft ggf. angepasst werden. Selbstverständlich sollten dabei erfolgreiche Lösungsansätze angewendet werden. Viel Positives findet sich bereits im geltenden deutschen Regelwerk. Die Einbeziehung internationaler Erfahrungen ist sinnvoll, doch nicht alles ist unmittelbar übertragbar bzw. überall gleich wirksam. Schließlich sind auch nicht-bauliche Rahmenbedingungen für (Un-)Sicherheit von Infrastrukturen verantwortlich, einschließlich der Mobilitätskultur. Ruhender Kfz-Verkehr ist oft der größte Flächenkonkurrent in den Straßen. Die Verkehrswende braucht sowohl aus Sicherheits- als auch Kapazitätsgründen oft mehr Platz für Fahrrad, doch auch ausreichend breite und ungestörte Flächen zum Gehen. Gute Radverkehrsförderung zu Lasten der Fußgänger/innen geht nicht!

In Kürze

Die in der deutschen Debatte zum Radverkehr z.Z. sehr angesagte „geschützte Kreuzung“ wird überschätzt, u.a. weil sie vielerorts gar nicht angewendet werden kann und auch gewisse Nachteile aufweist, insbesondere für den Fußverkehr. Radverkehrssicherheit wird nicht nur von der Infrastruktur bestimmt, sondern von vielerlei Rahmenbedingungen.

Quellen:

(1) Zum Unfallrisiko bei rechtsabbiegenden Kfz, die verkehrsbedingt hinter der „grünen“ Ampel anhalten mussten und wieder anfuhren, siehe Verkehrsunfalldienst Bremen: Untersuchung von Radfahrer- und Fußgängerunfällen an Knotenpunkten mit Lichtsignalanlagen. Bremen 1985; zit. n. Alrutz / Schnüll 1992, S. 27. Zur besonders hohen Konfliktrate von Kfz, die bei Rot an der Haltlinie (und nicht verkehrsbedingt dahinter) gestoppt hatten und nach dem Anfahren auf bei Grün fahrende Fahrräder treffen, siehe: Kolrep-Rometsch u.a.: Abbiegeunfälle Pkw/Lkw und Fahrrad. Forschungsbericht Nr. 21. Hrsg.: Gesamtverband der dt. Versicherungswirtschaft GDV / Unfallforschung der Versicherer UDV. Berlin 2013, S. 94 /

(2) Kolrep-Rometsch u.a. 2013 , S. 65

(3) Welleman, A.G.: Konfliktfreie Phasen für Radfahrer und Mopedfahrer; Zeitschrift für Verkehrssicherheit, Heft 3/1984, S. 106-113; zit n. Alrutz / Schnüll 1992, S. 28.

(4) 43 % aller in einer BASt-Studie untersuchten Knotenpunktarme mit dokumentierten Lkw-Rechtsabbiegeunfällen und Fahrradbeteiligung wiesen Sichtbehinderungen durch Begrünung, parkende/haltende Kfz oder ÖPNV-Haltestellen auf, wodurch das Sichtfeld am Lkw-Fahrerplatz weiter eingeschränkt wurde. Quelle: Richter, T.: Sicherheit von Radverkehrsanlagen an Knotenpunkten –wie (un-)sicher sind regelkonforme Lösungen? In: Neue Wege im Verkehr 2018 – Seminar-Handout. Hrsg.: SHP Ingenieure Hannover, 26.9.2018, S. 1f

(5) TAZ: „Radeln auf dem Todesstreifen“, 19.3.2019, S. 1

(6) Alrutz / Schnüll u.a.: Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten. Bericht zum Forschungsprojekt 8925 der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Hrsg.: BASt. Bergisch Gladbach 1992, S. 237 und 242
(7) ebenda, S. 246
(8) ebenda, S. 230
(9) ebenda, S. 243
(10) ebenda, S. 238
(11) ebenda
(12) ebenda, S. 228
(13) ebenda, S. 246

(14) vgl. Kolrep-Rometsch u.a. 2013, S. 80 u. 88
(15) vgl. ebenda, S. 79

(16) vgl. fehlende Wartenische oben links in der Gesamtansicht des Musterknotenpunkts „Geschützte Kreuzung“ (s. Abb.)

(17) Alrutz / Schnüll u.a. 1992, S. 237

(18) Richter, T.: Sicherheit von Radverkehrsanlagen an Knotenpunkten –wie (un-)sicher sind regelkonforme Lösungen? In: Neue Wege im Verkehr 2018 – Seminar-Handout. Hrsg.: SHP Ingenieure Hannover, 26.9.2018, S. 1f

(19) Kolrep-Rometsch u.a. 2013, S. 78
(20) ebenda, S. 87
(21) ebenda
(22) ebenda S. 88
(23) ebenda

(24) vgl. Richter 2018, S. 2

(25) ADFC (Hrsg.) So geht Verkehrswende. Berlin 2018, S 35

 

Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2019, erschienen. Die vorliegende Onlinefassung wurde stellenweise ergänzt.

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Die Sicherheit im Straßenverkehr von „besonders schützenswerten“ Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern, wie beispielsweise Kindern oder Menschen mit Beeinträchtigungen, ist eine selbstverständliche Notwendigkeit. Insbesondere an Haupt- und Durchgangsstraßen stellt der motorisierte Verkehr eine Gefahr gegenüber diesen Gruppen dar. Mit Einführung der Verwaltungsvorschrift zu § 45 (9) 6 der Straßenverkehrsordnung (StVO) wurde bereits im Mai 2017 eine theoretische Grundlage zur Geschwindigkeitsbeschränkung geschaffen, um diese Gefahr weiter einzudämmen. Doch wie sieht es mit der praktischen Umsetzung aus?

Rechtsgrundlage:

§ 45 (9) 6 StVO → Erlaubt werden die „innerörtlichen streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h [...] auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen [...] im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.“

Ende 2016 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die neue Rechtsnorm § 45 (9) 6 StVO zur Geschwindigkeitsbeschränkung verabschiedet(1). Mussten bisher immer Gründe des Lärmschutzes oder der Nachweis eines Unfallschwerpunktes aufgeführt werden, um eine Reduzierung der Geschwindigkeit an Hauptverkehrsabschnitten vornehmen zu können(2), gilt seit der Änderung der Rechtsnorm § 45 StVO vor sozialen Einrichtungen die Regelgeschwindigkeit 30 km/h. Durch Umkehr des Regelfalls wird Tempo 50 hier zur begründeten Ausnahme. Durch die Änderung der StVO wurde somit die Möglichkeit geschaffen, die Bevölkerung an aufgeführten Einrichtungen auch präventiv zu schützen, ohne dass zuvor Unfälle geschehen mussten.

Umsetzung der Möglichkeit in Kommunen

Knapp zwei Jahre nach in Kraft treten des § 45 (9) 6 StVO, hat sich der Fachverband Fußverkehr bei Kommunen in Deutschland umgehört, wie es um die Umsetzung des Paragraphen in der Praxis steht. 500 Kommunen wurden angeschrieben, von denen uns 107 Gemeinden und Städte bereitwillig Auskunft erteilten. Dabei ging es um die Beantwortung der Fragen, ob eine Umsetzung bereits stattgefunden hat, welche Schwierigkeiten zu erkennen oder befürchten sind, welche Auswirkungen die Umsetzung auf das Verkehrsgeschehen hat und ob weitere Erleichterungen vom Gesetzgeber gefordert werden.

Gut die Hälfte (54%) aller befragten Kommunen haben die neu geschaffene Möglichkeit genutzt und Geschwindigkeitsreduzierungen aufgrund der neuen Rechtsgrundlage § 45 (9) 6 StVO in mindestens einem Fall umsetzen können. Überwiegend erfolgte diese vor Schulen und Kitas. Die Bereitschaft oder gesehene Notwendigkeit zum Schutz von Kindern überwiegt somit gegenüber anderen Gruppen besonders schützenswerter Verkehrsteilnehmer und -teilnehmer­innen. Nach der Verwaltungsvorschrift zum § 45 (9) 6 StVO sind die Geschwindigkeitsbegrenzungen „soweit Öffnungszeiten (einschließlich Nach- und Nebennutzungen) festgelegt wurden, auf diese zu beschränken.“ Die Anordnung wurde vor einigen Bildungseinrichtungen umgesetzt, wodurch Ferienzeiten und Abend- sowie Nachtstunden von der Tempo 30 Regelung ausgenommen sind.

In jedem Fall bedarf es aufgrund der Rechtslage einer Einzelfallprüfung. Jede sechste Gemeinde untersucht aktuell noch mindestens einen Streckenabschnitt oder befindet sich in der Planungsphase zur Umsetzung. Verantwortliche Gründe, weshalb bei 40% bislang keine Umsetzung der neuen Regelung vorgenommen wurde, sahen betroffene Kommunen in der fehlenden Notwendigkeit oder in unzureichenden Voraussetzungen. Unter anderem wurde aufgeführt, dass dem Verkehrsfluss Rechnung getragen werden muss und eine Beschilderung an einigen Stellen unvertretbare Behinderungen des fließenden Verkehrs nach sich ziehen würde.

Knapp die Hälfte (44%) der betroffenen Kommunen gab als Begründung an, dass bei einem Großteil der Einrichtungen bereits eine Temporeduzierung auf 30 km/h vorliege, wobei diese nur selten an das klassifizierte Straßennetz angebunden seien, sondern sich in Nebenstraßen, vorwiegend in Tempo 30-Zonen befänden. Wie mehrere Städte berichteten, hat das Land Nordrhein-Westfalen bereits vor der StVO-Änderung Tempo 30-Abschnitte zum Schutz von Kindern unterstützt, ebenso wie Mecklenburg-Vorpommern. Ersteres hat „mit einem Erlass aus dem Oktober 2014 die Straßenverkehrsbehörden sensibilisiert, dass gemäß Artikel 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention die Interessen von Kindern bei Entscheidungen über die zulässige Höchstgeschwindigkeit hoch zu gewichten seien.“ Mit der neuen Rechtsgrundlage der StVO wurde das Vorgehen auf Bundesebene bestätigt und der Handlungsspielraum diesbezüglich erweitert.

Herausforderungen bei der Umsetzung

Rund ein Drittel (34%) der Kommunen gab in der Befragung an, keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung gehabt zu haben, wohingegen jede fünfte Kommune (20%) Probleme zu bewältigen hatte bzw. hat:

In der Umfrage wurde deutlich, dass Zuständigkeiten zur Anordnung der Maßnahme nicht einheitlich geregelt sind und häufig Abstimmungsaufwand und Kooperationsgeschick erfordern. Meist untersteht die Straßenverkehrsbehörde direkt den Kommunen, manchmal auch den Landkreisen oder dem Land und somit deren Zustimmungspflicht. Einige Länder haben zusätzlich restriktive Verwaltungsvorschriften erlassen, welche von einer Kreisstadt in Niedersachsen als weitere Einschränkung wahrgenommen wurden. Fehlende finanzielle und personelle Ressourcen behindern zusätzlich ein zeitnahes Handeln in einigen Kommunen. Bürokratische Abläufe und Vorgaben erschweren somit das Umsetzen der Maßnahme unnötigerweise.

Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen stellt eine wiederkehrende Herausforderung dar, unter anderem auch in der Interpretation der neuen Verwaltungsvorschrift zum § 45 (9) 6 StVO. Ein vermehrtes Problem war dabei die unklare Auslegung der Formulierung „soweit die Einrichtungen über einen direkten Zugang zur Straße verfügen“. Eine Großstadt in Hessen stellte sich hierbei die berechtigte Frage, ob dieser „direkte Zugang“ auch der hauptsächlich genutzte sein muss. Des Weiteren wurde die Forderung, „in die Gesamtabwägung […] die Größe der Einrichtung […] einzubeziehen“ als zu ungenau erachtet, da hierzu keine genaueren Angaben oder Stellungnahmen des Gesetzgebers vorliegen. Im Zweifel gibt es aufgrund solcher Unklarheiten dann keine Geschwindigkeitsbeschränkung.

Die Kommunikation mit der Bevölkerung stellte sich als nicht minder schwer heraus. Während vereinzelt Kommunen mit den Beschwerden und Protesten der Autofahrerinnen und Autofahrer zu kämpfen hatten, mussten andere Kommunen der Bewohnerschaft erklären, warum eine Umsetzung der Geschwindigkeitsbeschränkung nicht an allen Stellen möglich ist oder zeitlich bzw. räumlich begrenzt werden muss. In einer mittelgroßen Stadt des Rhein-Main-Gebietes kam es zu der unerwarteten Situation, dass auf Ansuchen einiger Bürger und Bürgerinnen bereits vorhandene Tempo 30-Abschnitte an Hauptverkehrsstraßen ergänzt werden sollten, diese bei einer Prüfung jedoch für rechtswidrig erklärt wurden und somit aufgehoben werden mussten, was berechtigterweise auf breites Unverständnis in der Bevölkerung stieß.

Eine Herausforderung aufgrund der Geschwindigkeitsreduzierung sahen drei Städte in massiven Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr, unter anderem durch verlängerte Fahrtzeiten. Eine Kommune im Südwesten äußerte die Problematik, dass Rettungsfahrzeuge bei (mit)verschuldeten Unfällen auf Tempo 30 Strecken stärker haften müssen als auf 50 km/h- Strecken. Die Begrenzung „insgesamt auf höchstens 300 m Länge“ der streckenbezogenen Tempo 30 Anordnung wurde ebenfalls als Erschwernis erachtet, da es hierbei zu einem „Flickenteppich“ von Tempo 30 und Tempo 50 Abschnitten kommen kann, was ein Hindernis für die Sicherheit und den Verkehrsfluss darstellen würde. Ein weiteres Problem wurde in der Gefahr eines Schilderwaldes gesehen durch schnell wechselnde Geschwindigkeitsbeschränkungen und gegebenenfalls Zusatzzeichen, welcher eine Verwirrung der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zur Folge hätte.

Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen

Die Umkehrung des Regelfalls an beschriebenen Streckenabschnitten von Tempo 50 auf Tempo 30, erfordert nicht nur in der Politik und Verwaltung ein Umdenken. In der Umfrage wurde deutlich, dass es vermehrt zu fehlender Akzeptanz oder Wahrnehmung der neuen Tempo 30 Beschilderung durch die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer kommt. Jede zehnte Kommune äußerte sich hierzu besorgt. Im Gegensatz dazu hoben knapp ein Viertel der Befragten (23%) die deutlich positiven Auswirkungen der Regelung hervor. Über die Hälfte der Teilnehmenden (54%) konnte oder wollte diesbezüglich keine Aussage treffen.

Die Akzeptanz der Geschwindigkeitsreduzierung hängt laut Aussagen einiger Kommunen stark davon ab, ob besonders schützenswerte Personen oder entsprechende soziale Einrichtungen gut erkennbar sind für die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer. Hierzu wurden in mehreren Kommunen Zusatzschilder angebracht mit dem Hinweis auf die soziale Einrichtung. Um die positive Wirkung der neuen Tempo 30 Beschilderung zu gewährleisten, erachtet es rund jede vierte Kommune (28%) für notwendig, bauliche Maßnahmen und Geschwindigkeitskontrollen ergänzend umzusetzen.

Forderungen nach weiteren Erleichterungen

Die Frage nach weiteren Erleichterungen seitens des Gesetzgebers, wurde nur von gut einem Drittel (36%) der Kommunen beantwortet. Jede vierte Kommune sah dabei kein Erfordernis für weitere Erleichterungen. - Folgende Forderungen wurden von den übrigen Kommunen geäußert:

Vom Gesetzgeber wurde eine deutliche Positionierung zur Auslegung des § 45 (9) 6 StVO gefordert, unter anderem zur Frage des „direkten Zugangs“ und einer Mindestgröße der schützenswerten Einrichtungen, z.B. in Form der Anzahl an Betten oder Betreuungsplätzen. Nicht nur kleine Kommunen sahen sich hier ihrer Eigenverantwortung überlassen. Eine Großstadt in Niedersachsen wusste sich aufgrund fehlender Unterstützung der obersten Straßenverkehrsbehörde selbst zu helfen, und nahm eigenmächtig eine Selbstabstimmung mit anderen Städten vor.

Des Weiteren wurde eine aktive Öffentlichkeitsarbeit für eine bestmögliche Einbeziehung der Bevölkerung gewünscht, um die teils schwierige Kommunikation in den Gemeinden zu erleichtern. Neben einer fachlichen Unterstützung wurde auch eine finanzielle Unterstützung durch den Gesetzgeber erwartet. Um den verwaltungsrechtlichen Schwierigkeiten der Zustimmungspflichten zu begegnen, forderten insbesondere kleine Kommunen mehr Kompe­tenzen der Selbstverwaltung und die Möglichkeit zur selbständigen Anordnung und Umsetzung der Maßnahme.

Mehr Ermessensspielraum wünschten sich einige Städte bei der Auslegung der „höchstens 300 m Länge“ um nahe beieinander liegende Tempo 30 Abschnitte miteinander verbinden zu dürfen. Hierdurch sollen Verunsicherungen von Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern bezüglich der erlaubten Geschwindigkeit vermieden werden. Unterstützt werden sollte diese Maßnahme durch eine Vereinheitlichung von Zeiten, auf welche die Beschilderung reduziert werden kann. Drei Städte gingen sogar einen Schritt weiter und forderten die generelle Umkehr der Geschwindigkeitsregelung in der StVO innerorts, also Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit. Mit Umsetzung dieser Forderungen könnte ein weiterer wesentlicher Schritt zur Sicherung besonders schützenswerter Fußverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer getan werden.

Fazit

Der Gesetzgeber gibt den Kommunen ein Rechtsmittel an die Hand, um die Sicherheit besonders schützenswerter Verkehrsteilnehmer/ innen zu fördern. Dabei lässt er die Kommunen jedoch weitestgehend mit der Handhabung des § 45 (9) 6 StVO alleine. Eine klare Stellungnahme der obersten Verkehrsbehörde wäre an diesem Punkt hilfreich. Obwohl die Änderung der StVO bereits eineinhalb Jahre zurück liegt, scheint diese noch nicht bei allen Kommunen „Programm“ zu sein. Abzuwarten bleibt, wie stark die Zahl der Umsetzungen noch steigen wird und welche Langzeitauswirkungen die Maßnahme mit sich bringt. Weitere Erleichterungen bei der Ausweisung von Tempo 30 Abschnitten, auch flächendeckend, sind aus Sicht von Kommunen wünschenswert.

In Kürze

Im Mai 2017 gab der Gesetzgeber mit der Änderung des § 45 (9) 6 StVO Kommunen die Möglichkeit zur Ausweisung von Tempo 30 Abschnitten vor sozialen Einrichtungen an Hauptverkehrsstraßen. Doch bisher wird diese Rechts­grundlage nur teilweise in den Kommunen umgesetzt. Einige haben mit Folgeproblemen zu kämpfen und fordern weitere Erleichterungen durch den Gesetzgeber.

Quellen:

(1) Bundesanzeiger vom 29.05.2017

(2) VCD 2018: Tempo 30 Soforthilfe-Papier

 

Dieser Artikel von Helena Blaschke ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2019, erschienen.

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Böse Zungen behaupten, es gäbe drei Arten von Radfahrern. Die ersten fahren mit dem Fahrrad von A nach A - drehen eine Runde in der Freizeit damit. Die zweiten fahren mit dem Fahrrad von A nach B - benutzen es also als ganz normales Verkehrsmittel. Und die dritten nehmen ihren Drahtesel in Bahn und Bus mit. Die Vorstellung ist ja auch zu verlockend: Die Benutzung des Fahrrads ist (zweifellos) umweltfreundlich, für die Benutzung von Bus und Bahn gilt das auch, also muss doch die Mitnahme des Fahrrads in Bahn und Bus doppelt umweltfreundlich sein.

Szenenwechsel Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS). Im September 2017 stand der Fortbestand des Semestertickets der Universität Bonn auf Messer‘s Schneide. Zuvor hatten der VRS beziehungsweise die in ihm zusammengeschlossen Verkehrsunternehmen entschieden, die Fahrradmitnahme mit dem Semesterticket ohne Zuzahlung wochentags erst ab 19 Uhr zu erlauben (am Wochenende weiterhin ganztägig). Für Jobticket-Inhaber war die kostenlose Fahrradmitnahme schon bisher erst ab 19 Uhr möglich, bei den Schülertickets gilt die Regelung seit 01. August 2017. Für die Semestertickets gilt es ab dem Wintersemester.

Der Allgemeine Studierenden-Ausschuss (AStA) der Universität Bonn wollte diese Einschränkung nicht akzeptieren und verweigerte zunächst die Zustimmung zu den geänderten Vertragsbedingungen. Als jedoch klar wurde, dass die Verkehrsunternehmen kein Angebot unterbreiten, welches die ganztägige Fahrradmitnahme weiterhin inkludiert, blieb nur die Wahl, das Semesterticket insgesamt aufzugeben, oder die gestrichene Fahrradmitnahme zu schlucken. Am Abend des 27. September stimmte das Studierendenparlament dann doch noch der Änderung und damit der Fortsetzung des Semestertickets zu.

Grund für die Einschränkung ist, dass es immer wieder - insbesondere zur Hauptverkehrszeit - Konflikte zwischen Fahrgästen mit und Fahrgästen ohne Fahrrad gab. So rücksichtslos, wie man manche Fahrradfahrer in Fußgängerzonen oder auf Wanderwegen erlebt, so haben sich einige Zeitgenossen eben auch in den Fahrzeugen, auf den Bahnsteigen und den Unterführungen benommen.

Fahrräder im Zug

Doch wie rational ist nun die Fahrradmitnahme in der Bahn? (Ich beschränke mich im Rest des Beitrags auf die Fahrradmitnahme im Zug - im Bus spielt sie eine untergeordnete Rolle, allenfalls noch auf einigen Steigungsstrecken, wo das Fahrradfahren mühsam ist.) Die Mitnahme eines Fahrrades benötigt etwa so viel Platz wie die eines weiteren Fahrgastes. Das heißt, wenn alle Fahrgäste ein Fahrrad mitnehmen, dann kann ein Zug nur noch halb so viele Fahrgäste mitnehmen. Der Umweltvorteil der Bahn gegenüber dem Pkw wird etwa mit Faktor 4 angegeben. Dieser Wert gilt im Mittel über alle Tageszeiten und damit bei einem Besetzungs­grad der Züge von im Schnitt grob 25 Prozent.

In der Hauptverkehrszeit (HVZ), wenn die Züge zu 100 Prozent ausgelastet sind, erhöht sich der Umweltvorteil somit auf den Faktor 16. Dies gilt jedoch nicht für die Grenzwertbetrachtung einer zusätzlichen Personen- oder Fahrradbeförderung. Denn hierfür werden zusätzliche Kapazitäten (mit entsprechendem Ressourcenverbrauch) benötigt, die dann den Rest des Tages oftmals nur „warme Luft“ befördern. Die Annahme, dass der ganztägige Durchschnitt auch für zusätzliche Beförderungen in der HVZ stimmt, ist realistisch. Somit ist die Fahrradmitnahme zur HVZ aus Umweltsicht doppelt so gut wie eine Fahrt mit dem Auto, aber nur halb so gut wie die Benutzung des Zugs ohne Fahrrad. Die Fahrradmitnahme zu Zeiten (und auf Streckenabschnitten), zu denen die Züge nicht voll ausgelastet sind, ist unkritisch und aus Umweltsicht immer ein Vorteil.

Fahrräder zum Zug

Bleibt die verkehr- und wirtschaftliche Betrachtung. Das Fahrrad ist ein sehr kostengünstiges Verkehrsmittel, vermutlich sogar billiger als das Zufußgehen; man betrachte nur die Kosten für eine Neubesohlung von Schuhen. Nun ist das Haltestellennetz der Eisenbahn systembedingt recht grobmaschig, das heißt für viele Verkehrs­relationen (Haus zu Haus) sind erhebliche Wege von und zum Bahnhof erforderlich. Dieser Systemnachteil ließe sich durch auch einen massiven Ausbau des Bahnnetzes nur marginal ändern. Insofern bestehen große Chancen, den Einzugsbereich des Schienennetzes mit dem Fahrrad deutlich zu vergrößern - und dies in ökologisch ausgesprochen günstiger Weise.

Nur hat das Fahrrad einen gravierenden Nachteil, und der ist dessen Empfindlichkeit gegenüber Diebstahl und Vandalismus. Für die Mitnahme eines Fahrrades im Zug besteht keine Notwendigkeit, wenn es nur im Zu- oder Abbringerverkehr benötigt wird und wenn am betreffenden Bahnhof eine sichere Abstellmöglichkeit gegeben ist; das können bewachte Fahrrad-Stationen, abschließbare Boxen oder auch nur einfach gut kameraüberwachte Fahrradständer sein. Wenn im Zu- und im Abbringerverkehr das Fahrrad das Verkehrsmittel der Wahl ist, dann ist auch an die Variante „zwei Fahrräder“ mit guten Abstellmöglichkeiten an beiden Bahnhöfen zu denken. Und da es bei der sicheren Abstellung starke Skaleneffekte bei größeren Mengen gibt, spricht alles dafür, genau diese Kombinationen zu fördern. Die Fahrradmitnahme im Zug hingegen ist keine so gute Lösung. Um es volkswirtschaftlich sinnvoll zu steuern, ist ein angemessener Fahrpreis für die Fahrradmitnahme im Zug während der HVZ durchaus sinnvoll.

 

Reaktionen auf den Beitrag

Unterschiedliche Beweggründe berücksichtigen

Die Frage „sollte die Fahrradmitnahme in der Hauptverkehrszeit wieder eingeschränkt werden?“, geht m.E. am Thema vorbei, da viel zu pauschal gestellt. Zum einen sind die Verkehrsmittel, auch Bahnen, sehr unterschiedlich in ihren Möglichkeiten, Fahrrädern zu transportieren. Und die Beweggründe, ein Fahrrad im Zug zu transportieren, sind ebenfalls sehr unterschiedlich.

Im Artikel von Wolfgang Dietrich Mann wird immer davon ausgegangen, dass ein Berufspendler jeden Tag sein Fahrrad im Zug dabei hat und dies auch noch sehr leichtfertig macht. Dies ist doch nur einer der möglichen Gründe, ein Fahrrad im Zug mitzuführen. Und ich kenne niemanden, der sich diesen Stress aus Lust und Laune gibt.

Soweit die Möglichkeit besteht, den Weg zum oder vom Zug sinnvoll zu Fuß oder per ÖPNV zu erledigen, wird das wohl für Pendler in der Regel die erste Wahl sein. Es gibt aber auch die Gelegenheitsfahrer, z.B. in der Bahn im Fernverkehr, die das Rad mit in den Urlaub nehmen. Deren Ansprüche sind nicht zu vergleichen mit denen von Berufpendlern.

Diese Gemengelage von Verkehrssituationen und Nutzung mit einer Berechnung der Umweltbelastung und der Wirtschaftlichkeit zu erschla­gen, geht meiner Meinung nach völlig am Thema vorbei und ist nicht besonders hilfreich.

Mehr und bessere Abstellanlagen

Ich bin der Ansicht, dass der Transport von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln untersagt sein sollte – stattdessen, wie im Artikel beschrieben, sind an Bahnhöfen und Haltestellen ausreichend viele und geeignete Abstellmöglichkeiten einzurichten.

Nahverkehrszüge, S- und U-Bahnen sind nicht nur werktags während der Hauptverkehrszeiten voll oder überfüllt. Auch wenn Fahrradtransportierende Rücksicht nehmen und aufpassen, dass sie niemanden behindern, kommt es dennoch zu Problemen, wenn im betroffenen Eingangsbereich Personen mit Rollator, im Rollstuhl oder mit Kinderwagen oder in Begleitung kleiner Kinder ein- oder aussteigen wollen. Es wurden auch schon Fahrradtransportierende gesehen, die mit ihrem Rad drei Sitzplätze blockieren oder ihr Rad an die Tür lehnen (in der Annahme, dass der Bahnsteig auf der anderen Seite sein werde oder Fahrgäste zum Ein- oder Aussteigen auch eine andere Tür benutzen können). Ganz pfiffige Zeitgenossen setzen sich schon in der Bahn in den Sattel, sodass sie, sobald sich die Türen öffnen, als erste die Wartenden auf dem Bahnsteig erschrecken können.

Da viele Haltestellen und Bahnsteige barrierefrei zu erreichen sind, fühlen sich manche Radfahrer eingeladen, bis zu dem Punkt auf dem Bahnsteig zu radeln, bei dem sie einsteigen wollen. Das ist, insbesondere für den Radler, gefährlich und alle anderen können sich belästigt oder gefährdet fühlen.

Wer gut schmiert, der gut fährt – doch Kettenfett auf der Kleidung von Mitreisenden ruiniert deren Hosen und Röcke. Auch sonstiger Dreck von Fahrrädern und auf der Ausrüstung mancher Radler kann die Bekleidung von Mitreisenden für den geplanten Anlass, Fahrt zur Arbeit oder ins Theater, unpassend machen.

Nur wenn ein Fahrrad auf der Radtour kaputt geht, sollte man es in der Bahn nach Hause transportieren dürfen – quasi als sperriges Gepäckstück auf Rädern.

Fehlbelegungen

Innerhalb der Fahrradabteile könnte man es wohl zulassen. Jedoch sind diese meist bereits durch Fahrgäste ohne Rad ausgelastet, so dass dann Fahrgäste mit Rad irgendwo einsteigen, was ich für nicht günstig halte. Allerdings bin ich der Ansicht, dass wieder Fahrradwagen, die an der Spitze oder Ende des Zuges angehängt sind, wieder eingesetzt werden. Dort werden nur die Fahrräder abgegeben, Man erhält eine Marke und sagt, an welchem Bahnhof man wieder aussteigt und erhält das Rad zurück. Dies kostet ggf. ein, zwei Minuten längere Haltezeit, würde aber den Komfort für alle erhöhen und die Mitnahme von Fahrrädern generell erleichtern. Dazu muss natürlich auch wieder mehr Personal bereit gestellt werden, das die Annahme und Ausgabe bewerkstelligt. Aber auch seitens der Politik muss man wissen, was man will. Sollen die Städte und auch ländliche Strukturen wieder lebenswerter und vor allem klimafreundlicher werden, dann muss dafür auch ein Umdenken erfolgen und ein Einsatz geleistet werden. Im Übrigen gab es so etwas schon mal.

Besser ohne Fahrgäste

Aus Umweltsicht ist die Fahrradmitnahme im Zug nur halb so gut wie die Benutzung des Zuges ohne Fahrrad, lese ich in dem o.g. Beitrag. Dem kann ich nur hinzufügen, ohne Fahrgäste fährt der Zug aufgrund des minderen Gewichts noch umweltfreundlicher.

Unsere Züge sollten doch so gut mit Waggons ausgestattet und die Taktung so angelegt sein, dass jeder Passagier - ob mit oder ohne Fahrrad, Rollstuhl, Kinderwagen - zufriedenstellend befördert werden kann. Unsere kaputt gesparte DB kann das im Moment nicht leisten. Ich wehre mich dagegen, dass einer Mängelverwaltung noch Vorschub geleistet wird und wir darüber diskutieren, wer mit der DB wann fahren darf.

Nur als Pannenhilfe

Ich selber mache das nur, wenn das Fahrrad eine Panne hat. Mit meinem Pedelec fahre ich von Warnemünde bis Südstadt (ca. 20 km) ca. 1 Stunde. Zu Fuss und ÖPNV benötige ich die gleiche Zeit von Tür zu Tür. Allerdings verdient der ÖPNV und der Staat an mir. Aber ich habe volles verständnis für diejenigen, die das Fahrrad als Zubringer zur S-Bahn benutzen und es auch mitnehmen - besser als ein Auto zu nehmen. In einer menschengerechten Stadt bestünde kein Zwang zum Radfahren oder Bahn und Bus. In Rostock kommt man von einer auf die andere Warnowseite nur mit Bus oder Fähre. Ansonsten müssen Radfahrer (Cargobikes sowieso) immer außen rum. Also statt 4 sind das dann locker 20 km. Sich 2 Fahrräder zuzulegen und diese dann über Nacht irgendwo am Bahnhof abzustellen ist m.E. unzumutbar. Meiner Tochter wurden auf diese Weise schon 2 Sättel gestohlen. Und wer von den Autofahrern legt sich 2 Fahrzeuge zu, die er dann jeweils am Bahnhof abstellt? Ein Fahrrad beansprucht in der Bahn Platz. An dessen Stelle könnten 2-3 Personen stehen. Aber ein 150 kg schwerer Mensch beansprucht auch den Platz von 3 schlanken Personen. Im Gegensatz zum Fahrradbesitzer braucht er nur einen Fahrschein ziehen.

Nur mit Reservierung?

Die Frage, ob an der aktuellen Praxis der Fahrradmitnahme in Nahverkehrs- bzw. Regionalzügen etwas geändert werden muss, kann meiner Meinung nach nicht nur auf die Hauptverkehrszeit bezogen betrachtet werden. Ich wohne in einer Stadt, die kein schnell erreichbares und für meine Zwecke ausreichend großes Naherholungsgebiet aufweist. D.h. wenn ich eine längere Radtour oder Wanderung machen möchte, bin ich - da ich auf ein Auto verzichte - darauf angewiesen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln einen anderen Ort aufzusuchen. Folgende Probleme gibt es dabei:

  • In den S-Bahnen sind meistens Klappsitze in den sogenannten Fahrradabteilen eingebaut. Diese Klappsitze erfreuen sich bei vielen Reisenden, die weder ein Fahrrad noch einen Kinderwagen mit sich führen, sehr großer Beliebtheit. Das heißt, man muss jedesmal darum bitten, dass der erforderliche Platz - das sind etwa vier Klappsitzbreiten allein für das Rad - frei gemacht wird. Dazu hat nicht jeder Radfahrer Lust, von daher stehen viele Radler mit ihrem Rad dann doch wieder in den Einstiegsräumen. Dies sorgt für Verzögerungen beim Ein- und Ausstieg und in Folge dessen für Verspätungen und ggf. Anschlussverluste.
  • Es gibt keine vernünftigen Einrichtungen, an denen man das Rad befestigen könnte. D.h. es droht umzufallen, man muss es festhalten etc. Dazu muss gesagt werden, dass ich die Fahrradhalter in den ICs oder mittlerweile auch wieder ICEs zwar gut finde, diese stehen aber viel zu dicht. Man muss schon zwischen zwei Räder treten können, auch um ein Schloss anzubringen; bei der aktuellen Anordnung kommen sich die Lenker der einzelnen Räder ins Gehege.
  • Die Anzahl der maximal mitnehmbaren Räder ist häufig - es gibt Ausnahmen - nicht angegeben. Die Folge besonders an Tagen schönen Wetters: die Räder werden aneinander gelehnt, ich habe schon erlebt, wie es dabei zu Beschädigungen oder auch ölverschmierten Hosen gekommen ist. Man muss immer bedenken: in Schienenfahrzeugen müssen sich Reisende so sichern, dass der Zug jederzeit ohne dass jemand zu Schaden kommt, eine Zwangs-/Not- oder Schnellbremsung einlegen kann. Das gleiche gilt für die Fahrräder. Diese müssen so gesichert sein, dass sie eine Schnellbremsung etc. unbeschadet überstehen. Bei den aktuell entstehenden Fahrradknäueln ist dies nicht gewährleistet.
  • Häufig sind für den Notfall freizuhaltende Flächen ebenfalls von Rädern oder ggf. dann auch Reisenden zugestellt, so dass ein Sicherheitsproblem besteht.
  • Gleichzeitig kann man beobachten, dass es in manchen Regionen die Regelung gibt, dass z.B. vor 9 Uhr von mo-fr außer an Feiertagen für die Fahrradmitnahme eine Fahrkarte zu lösen ist. In diesen Regionen gibt es aber Züge, z.B. solche, die gegen die Lastrichtung verkehren, wo genug Platz ist, dass eine gewisse Anzahl an Fahrrädern mitgenommen werden kann, wieso dann eine Abschreckungs- und Strafgebühr? Diese löst doch das Problem nicht.
  • Das jetzige Modell hat schon häufig dazu geführt, dass bei Überbeanspruchung des Fahrradabteils durch zuviele Räder und Begleitpersonen der Zug nicht weiterfahren konnte, vor allem weil die Türen nicht geschlossen werden konnten (da die Lichtschranke ein Hindernis wahrnahm). Es gab schon einige Fälle, da konnte die Problematik erst durch die vom Lokführer herbeigerufene Bundespolizei gelöst werden.
  • Vielen Radfahrern, die das Rad mit in den Zug nehmen, fahren mit dem Rad auf den Bahnsteigen. Das ist verboten und geht gar nicht. Sie gefährden damit, dass die Bahnen überhaupt noch Räder mitnehmen. Häufig haben Radfahrer auch alle Zeit der Welt beim Ein- oder Ausstieg, dass der Zug einen Fahrplan hat, ist vielen nicht bekannt.

Fazit: Wo nur begrenzt Platz ist, kann auch nur eine begrenzte Anzahl - in dem Fall von "Fahrrädern mit Begleitpersonen" befördert werden. Als ersten Schritt gehört der Großteil der Klappsitze ausgebaut. Es sollten - da ja die Räder nicht diebstahlsicher befestigt werden können - nur so viele Klappsitze im Fahrradabteil verbleiben, dass sich Radler, die auf ihr Rad aufpassen müssen, setzen können und ggf. 1-2 weitere für Personen mit Kinderwagen. In einem weiteren Schritt - ggf. erst bei der Umstellung der Fahrzeuge - wären geeignete Abstellanlagen für Fahrräder in die Fahrradabteile einzubauen. Da mittlerweile fast jeder ein Handy hat, wäre ich ein Fan davon, ca. 75 Prozent der Fahrradplätze im jeweiligen Zug des Nah- und Regionalverkehrs über eine Reservierung per Handy zu vergeben. Kommt jemand nicht, kann immer noch ein anderes Rad den Platz einnehmen. Auf Grund des im Artikels angesprochenen Umweltvorteils der Bahn, der durch zuviele mitgenommene Räder schwindet, kann es niemals Ziel sein, allen die ein Fahrrad mitnehmen wollen dies auch jederzeit zu ermöglichen.

Ich fasse zusammen: Das Problem muss insgesamt betrachtet und gelöst werden, und es ist nicht sinnvoll, hier eine Extrabehandlung der Hauptverkehrszeit vorzunehmen. Ihre Hausaufgaben müssen aber wohl beide Seiten machen, Anbieter und Nutzer, soll es zu einer Verbesserung und Entspannung der Situation kommen. Ich persönlich verzichte sogar auf Reisen mit dem Zug aufs Rad, weil so, wie die Fahrradmitnahme derzeit organisiert ist, Konflikte vorprogrammiert sind. Nur bei den Zügen des Fernverkehrs stellt sich dies anders dar.

 

Dieser Artikel von Wolfgang Dietrich Mann ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2018, erschienen. Dieser Beitrag wurde in den GRV-Nachrichten Nr. 110 zuerst veröffentlicht. Hier erscheint er leicht gekürzt.

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Mit dem Urteil vom 27.02.2018 hat das Bundesverwaltungsgericht mit einigen Ausnahmen bestätigt, dass streckenbezogene Fahrverbote, die durch Städte und Kommunen erlassen werden, zur Luft­reinhaltung rechtlich zulässig sind. Damit wurden die Urteile der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart bestätigt, dass ausschließlich Fahrverbote über ausreichend Schadstoffminderungspotenzial verfügen, die existierenden Grenzwerte einzuhalten. Was bei den Urteilen häufig aus dem Fokus gerät: Es wurde in Stuttgart auch die Frage der Verhältnismäßigkeit geklärt. In der Abwägungsfrage zwischen den Rechtsgütern Leben und Gesundheit gegenüber Eigentum und allgemeine Handlungsfreiheit wurde zugunsten ersterer entschieden (vgl. Punkt 5.2.4 der Urteilsbegründung VG Stuttgart, 13 K 5412/15).

Durch das Urteil wurde auch die Verkehrspolitik der vergangenen Jahre implizit als nicht gesetzeskonform erklärt. Hier wurde – und wird nach wie vor – in der zu klärenden Abwägungsfrage gegenteilig entschieden. So konnte die Bundesregierung trotz mehrmaliger Initiativen nicht die Gesetzesgrundlage für die „Blaue Plakette“ schaffen, welche die Klagen der Deutschen Umwelthilfe obsolet gemacht hätten. Die bundespolitische Entscheidung gegen wirksame Maßnahmen bedeutet damit auch, dass die Gesundheit von schadstoffbelasteten Personengruppen gegenüber der Handlungsfreiheit von Dieselautofahrenden immer noch nachgeordnet wird.

Dass sich von bundespolitischer Seite an diesem Zustand auch kurzfristig nichts ändern wird, lässt die vorletzte Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel erwarten, in der sie bekräftigt: „Flächendeckende Fahrverbote lehnen wir ab. Wir brauchen vielmehr maßgeschneiderte Lösungen für die von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Kommunen“ (RegErkl vom 21. März 2018). Damit wird die „Blaue Plakette“ als bundesweit einheitliche Lösung explizit abgelehnt, während den derzeit einzig wirkungsvollen „maßgeschneiderten Lösungen für [...] Kommunen“, nämlich den streckenbezogenen Fahrverboten, implizit zugestimmt wird. Die Bundespolitik hat sich damit aus Debatte um die momentan drängendste Frage der städtischen Verkehrsplanung vorerst zurückgezogen.

Fahrverbote – Handlungsmacht für Kommunen

In der Konsequenz liegt die verkehrspolitische Verantwortung – aber auch die Handlungsmacht – nun verstärkt im Feld der Kommunen. Sie müssen die „maßgeschneiderten Lösungen“ selbst erarbeiten, um die Emissionsgrenzwerte in Zukunft einzuhalten. Hierzu haben zivilgesellschaftliche Akteure, und dabei insbesondere die Deutsche Umwelthilfe, durch ihre Klagen Rechtsicherheit für die Kommunen gegenüber dem Bund geschaffen. Zusätzlich wurde der verkehrsplanerische Spielraum auf kommunaler Ebene stark erhöht.

Dennoch können die Urteile aus Sicht der integrierten Verkehrsplanung nicht uneingeschränkt positiv bewertet werden. Die singuläre Maßnahme von streckenbezogenen Fahrverboten widerspricht dem Anspruch einer strategischen Verkehrsplanung. Es werden punktuelle Einschränkungen ad-hoc aufgesetzt, die weder Parallelstraßen, Stadt-Umland-Beziehungen noch andere Verkehrsmodi berücksichtigen. Darüber hinaus verfolgt die Maßnahme kein langfristiges Ziel, das über den Anspruch der Einhaltung von Grenzwerten hinausgeht. Die Personengruppe der Dieselautonutzenden scheint dabei zufällig gewählt. Demgegenüber verfolgt eine integrierte Verkehrsplanung den Anspruch, die Abhängigkeiten von Infrastruktur, Verkehr und Mobilität zu berücksichtigen und dabei neben den Umweltzielen auch soziale und ökonomische Interessen zusammenzuführen.(1)

Fahrverbote als Wegbereiter einer integrierten Verkehrsplanung

Wie sollten also Kommunen und Zivilgesellschaft mit der neuen Ausgangslage umgehen? Welche Schritte sind zu unternehmen, damit die Klagen der DUH nicht nur in kurzfristigen Fahrverboten münden, sondern insgesamt zu einer zukunftsfähigen und zielorientierten Verkehrspolitik führen? Idealerweise sollte dabei von kommunaler Seite ein Verkehrssystem hergestellt werden, welches zukünftige Klagen antizipiert und gleichzeitig die Erreichung von Umweltzielen an weitere kommunale Ziele koppelt.

In Beantwortung auf die oben aufgeworfenen Fragen hat das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung auf Basis eines mehrjährigen Forschungsprozesses Konzepte und Strategien für die deutsche Verkehrspolitik erarbeitet. Mithilfe von Experteninterviews und einer SWOT-Analyse konnten Handlungsempfehlungen für 14 Akteursgruppen erarbeitet werden.(2) Abgeleitet aus den erarbeiteten Handlungsempfehlungen für die identifizierten Akteursgruppen Kommunalpolitik und Verkehrsumwelt lassen sich auch Antworten auf den Umgang mit den anstehenden Straßensperrungen geben. Die Antworten sind im Kern darauf gerichtet, die Fahrverbote auf Ebene der Integrierten Verkehrsplanung zu heben. Hierzu wird zunächst kurz die Ausgangslage für die Akteursgruppe geklärt, ehe die ausgesprochenen Handlungsempfehlungen in Bezug auf die neue Situation konkretisiert werden.

Ausgangslage der Kommunalpolitik

Im vorangegangenen Forschungsprojekt wurde gezeigt, dass die Kommunalpolitik in der Regel durch einen Mangel an Geld, Zeit und verkehrspolitischer Expertise geprägt ist. Gleichzeitig sind verkehrspolitische Entscheidungen stark abhängig von öffentlicher Wahrnehmung und persönlicher Betroffenheit der kommunalpolitischen Entscheidungsträger. Aufgrund der heterogenen Strukturen von Kommunen (Stadt-Land-Gegensatz, Haushaltsnot etc.) sind die strategischen Ziele individuell verschieden, wobei strategische Ziele der Kommunalpolitik häufig durch wirtschaftspolitische Entscheidungen beeinflusst werden.

Für die neu zugesprochene verkehrspolitische Verantwortung bedeutet diese Feststellung zunächst keine besonders positive Ausgangslage. Die mit der Verantwortung einhergehende verkehrspolitische Gestaltungsmacht kann bisher noch nicht konstruktiv genutzt werden. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass von politischer Seite betont wird, dass man Fahrverbote zwar verhindern will, dieser Forderung jedoch keine anderen wirkungsgleichen Ziele oder Konzepte entgegengestellt werden. Die Negierung verkehrspolitischer Zielansprüche geht dabei teilweise soweit, dass sogar die Grenzwerte selbst in Frage gestellt werden.

Handlungsempfehlungen für die Kommunalpolitik

Um die Ausgangslage konstruktiv zu wenden, lässt sich auf eine für die Kommunalpolitik im Forschungsprojekt erarbeitete Handlungsempfehlung zurückgreifen:

Aufmerksamkeit durch verkehrspolitische Innovationen auf Kommunen lenken

Der kommunalpolitische Wettbewerb wird neben ökonomischen Faktoren (Steuern, Bauland, vorhandene Cluster) ebenso auf Basis von sozial-ökologischen Faktoren (Lebensqualität, Lärm- & Schadstoffemissionen, Zugang zu kulturellen Angeboten) ausgetragen. In diesem Zusammenhang steigern hochqualitative und innovative Verkehrssysteme die Standortvorteile der einzelnen Kommunen. Kommunen, die über diese sozial-ökologischen Qualitätsmerkmale verfügen, müssen diese offensiv kommunizieren, um existierende Wettbewerbsvorteile zu nutzen.

Für die Kommunalpolitik bedeutet diese Handlungsempfehlung, dass die einzuhaltenden Grenzwerte als Möglichkeit genutzt werden müssen, sozial-ökologische Qualitätsmerkmale herzustellen, um diese anschließend als Wettbewerbsvorteile auszuspielen. Konkret bedeutet dies, dass man mithilfe des gerichtlichen Drucks das innerstädtische Verkehrssystem so ausgestaltet, dass zusätzlich auch Ziele, wie bspw. Lärmreduktion, Lebensqualität und soziale Teilhabe erreicht werden. Welchen sonstigen Vorteil bietet bspw. eine Straße, auf der zwar Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge gelten, diese aber nur durch andere verbrennungsmotorische Fahrzeuge ersetzt werden, die mit gleicher Geschwindigkeit und gleichem Flächenverbrauch keine Änderungen von Lärmemissionen und Gefahrenpotenzial darstellen? In einem solchen integrierten Gegenkonzept wären dann nicht mehr punktuelle Fahrverbote die geeignete Maßnahme zur Zielerreichung, sondern ein an den Zielen abgeleitetes Maßnahmenbündel, das bspw. aus flächendeckendem Tempo 30 und Parkraumbewirtschaftung, Umwidmungen von Fahrspuren und Parkplätzen zulasten des MIV bei gleichzeitiger Förderung des Umweltverbunds besteht. Hierbei ist eine verpflichtende Kopplung von Push- und Pull-Maßnahmen essentiell.

Zwar wurden durch das Verwaltungsgericht Stuttgart singuläre Maßnahmen wie bspw. die City-Maut als nicht ausreichend wirksam zur Problemlösung erachtet, dies heißt jedoch nicht, dass das strategische Konzept der integrierten Verkehrsplanung als unwirksam erklärt wurde. Auch ließe sich durch das Konzept der originäre Grund der politischen Ablehnung von Fahrverboten auflösen; Die implizite soziale Ungerechtigkeit von Fahrverboten, die einzelne Personengruppen aus dem System ausschließt wird durch den Ansatz ersetzt, bei dem der MIV solidarisch zugunsten des Umweltverbunds zurückgenommen wird. Hierbei stellt sich gar nicht erst die Abwägungsfrage zwischen Gesundheit und allgemeiner Handlungsfreiheit, da letztere unangetastet bleibt.

Außer Frage steht bei diesem Alternativszenario jedoch, dass auch hier Einschränkungen für den MIV vorzunehmen sind. Ein Ansatz, der ausschließlich alternative Fortbewegungsmittel fördert, wird nicht die gewünschten verkehrlichen Effekte hervorbringen und damit auch weiteren Klagen nicht standhalten können. Hier gilt das ökonomische Prinzip, dass die (MIV-) Nachfrage solange steigt, bis ein Angebotspreis erreicht ist, den die Nutzenden nicht mehr bereit sind zu zahlen und sich alternativer Verkehrsmittel bedienen. Da bislang nur in geringem Umfang eine monetäre Bepreisung von Straßen und Stellplätzen stattfindet, sind die nachfragebegrenzenden Kosten für die Nutzenden Staus, Parkplatznot und Zeitverluste. Solange diese immateriellen Preise die Nachfrage limitieren, wird das vorhandene innerstädtische Angebot von Straßen und Stellplätzen immer weitestgehend ausgeschöpft. Ist sich die Kommunalpolitik diesem Umstand bewusst, kann sie wirksame Maßnahmen forcieren, die für die Kommune weitaus attraktiver sind als streckenbezogene Fahrverbote.

Ausgangslage Interessen­vertretungen Verkehrsumwelt

Für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt bzw. zivilgesellschaftliche Interessenvertretungen wurde im vorangegangenen Forschungsprojekt gezeigt, dass diese im Prozess des politischen Interessensausgleichs eine konfrontative Position gegenüber der etablierten Verkehrspolitik einnehmen. Das strategische Ziel ist dabei die Verringerung der ökologischen Auswirkungen des Verkehrs, die durch das Verkehrsverhalten bedingt werden. Damit wird eine fundamentale Wende der derzeitigen Verkehrspolitik angestrebt.

Die dargestellte Strategie scheint zunächst erfolgreich zu sein. So wurden durch Klagen Kommunen, Länder und Bund unter Handlungsdruck gesetzt, bestehenden rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und verkehrspolitische Justierungen vorzunehmen. Jedoch muss auch festgestellt werden, dass der juristisch erzeugbare Druck bloß ein Element der strategischen Ziele abdecken kann. So sind Schadstoffemissionen nur Teilaspekt der ökologischen Frage des Verkehrs neben weiteren Umweltwirkungen wie bspw. Bodenversiegelung oder Lärm. Eine ausschließlich konfrontative (juristische) Strategie ist mit Blick auf die ökologischen Ziele nicht erfolgreich.

Empfehlungen für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt

Sofern Kommunen die Ausgangslage konstruktiv wenden und eine integrierte Verkehrspolitik sowie Mobilitätsmanagement als Gegenkonzept zu Fahrverboten aufgreifen, kann die entwickelte Handlungsempfehlung durch die Interessenvertretungen genutzt werden:

Einbringung von Umweltaspekten im Mobilitätsmanagement sowie Treiber und Motivator

Unter den derzeitigen Gegebenheiten mangelt es dem Gesamtgefüge an einer politischen Stimme, welche die Interessen der ökologischen Nachhaltigkeit beharrlich vertritt. Dabei verfügen die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt über exklusive Expertise, die Operationalisierung der strategischen Ziele auf die ökologischen Nachhaltigkeitsziele hin auszurichten. Die damit erfolgende Abkehr von einer konfrontativen Position, hin zu einer kooperativen, muss genutzt werden, um Mobilitätsmanagement in den Entwicklungsplänen zu institutionalisieren.

Damit kommt den Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt in Zukunft die kommunalpolitische Aufgabe zu, die vorhandenen Anknüpfungspunkte auf die gesamte ökologische Frage des Verkehrs hin auszurichten. Hierbei sind Lösungen zu entwickeln, die neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch soziale und ökonomische Ziele der Kommunalpolitik integrieren. In diesem Zusammenhang müssen die zivilgesellschaftlichen Interessenvertretungen der Kommunalpolitik aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen zukünftige Klagen abgewendet werden können.

Fazit

Nach den Urteilen zu Fahrverboten sollte die Kommunalpolitik ihre Kapazitäten nicht nur dafür aufwenden, möglichen Straßensperrungen defensiv entgegenzuwirken, sondern aktiv die neu gewonnene Gestaltungsmacht für eine nachhaltige Transformation des Verkehrssystems nutzen. Jedoch gilt auch für die Interessenvertretungen der Verkehrsumwelt, dass ein juristisches Vorgehen nicht die ökologische Frage des Verkehrs in Gänze wird lösen können. Vielmehr bieten die anstehenden Fahrverbote neue Handlungsperspektiven für die Städte, die von beiden Akteursgruppen kooperativ genutzt werden sollten. Hierdurch kann die vermeintlich desparate Ausgangslage konstruktiv zugunsten einer Integrierten Verkehrspolitik gewendet werden. Dabei ist elementar, die verkehrspolitischen Maßnahmen in einen restriktiven Rahmen für den MIV einzubetten, da sonst die angestrebten Verkehrs- und Emissionsminderungen nicht zu erreichen sind. Das Zeitfenster des erweiterten Handlungsrahmens für Kommunen ist begrenzt und besteht nur solange Emissionsgrenzwerte in den jeweiligen Städten überschritten werden.

Quellen:

(1) Hierzu wurde von den Autoren im Artikel „Vom Kampf­begriff zum anerkannten Planungsinstrument“ (mobilogisch 4/16) das Konzept der integrierten Verkehrsplanung dargelegt.

(2) Die entsprechende Broschüre „Mobilität erfolgreich managen“ steht auf der Homepage des Fachgebiets zum Download bereit und wird auf Anfrage als print versendet (ivp.tu-berlin.de).

 

Dieser Artikel von Oliver Schwedes, Benjamin Sternkopf und Alexander Rammert ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2018, erschienen.

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