Große Verkehrsadern können besonders für ältere Fußgänger zur großen Herausforderung werden. Es gilt, diese Räume nicht nur physisch, sondern auch „emotional“ barrierefrei zu gestalten, um sie ohne Stress und Angstgefühle nutzbar zu machen.
Viele Hauptverkehrsstraßen sind vor allem durch den privaten Pkw geprägt: Überbreite Fahrspuren, Stellplätze, Lärm und Abgase lassen häufig nur wenig Raum für andere Funktionen und Ansprüche. Dabei ist die HauptverBeitragkehrsstraße eindeutig mehr als nur ein Verkehrsraum. Hier konzentrieren sich die Standorte von Einzelhandel, Dienstleistungen und öffentlichen Einrichtungen, hier bündeln sich die Linien des ÖPNV und befinden sich stadtbildprägende Strukturen und Gebäude. Hauptverkehrsstraßen werden auf diese Weise zu zentralen Anlaufpunkten und Identifikationsträgern in der Stadt. Gerade für ältere Menschen stellen sie wichtige Alltagsräume im Quartier dar. Aufgrund sinkender Mobilitätsradien werden die Angebote und Erfahrungsräume im wohnungsBeitragnahen Bereich, zu dem nicht selten auch große Verkehrsadern mit ihrer Nutzungsvielfalt gehören, zunehmend wichtiger. Als Orte alltäglicher Erledigungen, als Erinnerungsraum, Orientierungshilfe oder Quelle neuer Eindrücke, Hauptverkehrsstraßen werden zu einer bedeutenden Ressource. Eine „Flucht“ zu ruhigeren, vielleicht attraktiveren Lagen ist nicht immer möglich.
Von älteren Menschen per se als schutzlosen und hilfsbedürftigen Verkehrsteilnehmern zu sprechen, würde dem heterogenen Bild des Alterns entgegenstehen und nicht der Realität entsprechen. Tatsache ist jedoch, dass insbesondere hochaltrige Menschen vermehrt von Einschränkungen betroffen sind, die die Mobilität beeinträchtigen. In den kommenden Jahrzehnten ist mit einem rapiden Ansteigen gerade dieser Gruppe zu rechnen. Da mit zunehmendem Alter die eigenen Füße zum mit Abstand wichtigsten Verkehrsmittel werden, sind ältere Fußgänger und ihre spezifischen Anforderungen ein zu Recht dauerhaft aktuelles Forschungsthema. Stellen Lärm, Abgase, Geschwindigkeiten und eine am Pkw orientierte Gestaltung bereits für den durchschnittlichen Fußgänger eine Belastung dar, können sie für ältere Menschen schnell zur großen Herausforderung werden. Städtische Hauptverkehrsstraßen werden auf diese Weise nicht nur zur physischen, sondern auch zur emotionalen BarrieBeitragre und können meidendes und rückzugsorientiertes Verhalten auslösen. Im Rahmen der diesem Artikel zugrundeliegenden Diplomarbeit wurden ältere Fußgänger mit Mobilitätseinschränkungen an großen Verkehrsadern begleitet und insbesondere das subjektive Empfinden wurde dokumentiert (vgl. Kasten „Méthode des Itinéraires“). Der herausfordernde, in Teilen sogar überfordernde Charakter städtischer Hauptverkehrsstraßen konnte dabei eindrücklich beobachtet werden.
Wie müssen nun also altersgerechte Hauptverkehrsstraßen aussehen? In der Planung dominieren häufig Konzepte, die sich vor allem mit physischen Komponenten wie z.B. einer verbesserten Querbarkeit oder einem barrierefreien Vorankommen befassen. Die Fachliteratur zum Thema Barrierefreiheit ist mehr als umfangreich. Konzepte, die aber auch subjektive Aspekte wie etwa die Themen Stress, Anregung oder die Identifikation mit dem Raum beinhalten sowie die Einflüsse des Straßenverkehrs auf die Wahrnehmung berücksichtigen, sind selten. Doch Handlungskonzepte müssen nicht nur physisch altersgerecht sein, sondern auch die emotionale Dimension des Zufußgehens abdecken. Es gilt, integrierende „alterssensible“ Strategien zu entwickeln.
Als wichtiges Handlungsfeld lässt sich die sichere Erreichbarkeit und Querbarkeit hervorheben. Während der Spaziergänge wurden nahezu durchweg große und andauernde AngstBeitraggefühle beim Queren der Straße geäußert. Auch Ampeln erzeugten für die begleiteten Fußgänger häufig nur eine Schein-Sicherheit. Freies Queren ohne Hilfseinrichtungen wie z.B. Lichtsignalanlagen wurde selbst bei großen und für die Gehgeschwindigkeit objektiv ausreichenden Lücken im Verkehrsfluss abgelehnt oder als gefährliches Risiko eingestuft.
Von besonderer Bedeutung für alternssensible Konzepte ist darüber hinaus die Beschäftigung mit den Themen Aufenthalt und soziale Teilhabe – gerade an Hauptverkehrsstraßen. In Bezug auf ältere Menschen erhält der Begriff des Aufenthalts schließlich eine völlig neue Bedeutungsdimension, wenn dieser nicht nur auf freiBeitragwillige Tätigkeiten begrenzt, sondern auch auf unfreiwillige Aufenthaltszeit ausgedehnt wird. Aufgrund von Einschränkungen in der Mobilität ist bei vielen hochaltrigen Fußgängern von einer deutlich verlangsamten Gehgeschwindigkeit und einem erhöhten Bedarf an Ruhepausen auszugehen. Dadurch wird die Zeit, die an einer Hauptverkehrsstraße verbracht werden muss z.B. im Vergleich zu jüngeren Personen merklich erhöht. Der Fußweg entlang einer großen Verkehrsader kann für ältere Menschen also durchaus zum kleineren Aufenthaltserlebnis werden. Neben Möglichkeiten für einen stressfreien Aufenthalt müssen darüber hinaus optimale Voraussetzungen für eine gute Orientierung und Identifikation mit dem Raum geschaffen werden. Es geht darum, Halt zu geben, den Raum kontrollierbarer und anregender zu gestalten.
Schlüsselmaßnahmen sind hier sicher der Rückbau von oftmals überbreiten Fahrbahnen und eine Geschwindigkeit deutlich unter den momentan noch üblichen 50 km/h. Dadurch werden wichtige Voraussetzungen für eine verträglichere Abwicklung der verkehrlichen Belastungen geschaffen: Weniger Lärm, überschauBeitragbarere Fahrgeschwindigkeiten, leichter querbare Straßenräume und vor allen Dingen: mehr Raum für eine attraktivere Straßenraumgestaltung. Doch viele Straßen lassen nur begrenzt Spielraum für großangelegte Umbauten. Hier kommt es v.a. auf kompensatorische, d.h. subjektiv ausgleichende Lösungen wie z.B. mehr Grün, mehr Farbe oder einfach mehr AbwechsBeitraglung im Straßenraum durch ein attraktives Erscheinungsbild und lebendige Randnutzungen (Schaufenster etc.) an. Die Möglichkeit zur positiven Ablenkung, zur Beschäftigung mit Aspekten außerhalb des Verkehrsgeschehens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, was auch die Stadtspaziergänge nochmals bestätigten. Auch kleine Pufferräume zur Fahrbahn, z.B. durch eine Baumreihe, können die Bedrohlichkeit der Verkehrskulisse mindern helfen.
Untrennbar verbunden mit dem Thema Aufenthalt ist auch der Bereich Kommunikation. Gerade dieser Aspekt ist in diesem wichtigen Alltagsraum mit seinen zahlreichen Chancen auf Zufallstreffen von Bekannten besonders wichtig. Ist jedoch kein Platz für großzügige „Ruheinseln“, die die Verkehrskulisse zumindest subjektiv abmildern, bieten alternativ die Mündungsbereiche der Nebenstraßen häufig große Potenziale (z.B. „Gehwegnasen“). Abseits des direkten Verkehrslärms und der Abgase, doch immer noch in Sicht- und Laufweite, könnten auf diese Weise attraktive „Ausweichräume“ für Kommunikation und neue Eindrücke geschaffen werden. An historisch bedeutsamen Stellen oder in Sichtachsen zu stadtbildprägenden Gebäuden können darüber hinaus gezielt platzierBeitragte und attraktiv gestaltete Ruhebereiche zu identitätsstiftenden Erinnerungs- und BeobachBeitragtungsräumen werden. Im Einzelfall bleibt zu prüfen, inwieweit solche Räume z.B. durch gestaltete Glaselemente zumindest subjektiv vom Verkehr geschützt werden können.
Die Liste weiterer „prothetischer“, d.h. unterstützender, Elemente für mehr Altersgerechtigkeit ist lang: Haltegriffe an Licht- und Ampelmasten in regelmäßigen Abständen, Sitzrouten mit multifunktionalen Sitzgelegenheiten, abschnittsBeitragweise Farbkonzepte zur besseren Orientierung, Wasser als positives Gegengeräusch zum Lärm, ablenkende „Duftinseln“ mit besonders intensiv blühenden Baumarten oder z.B. einfach nur Mittelinseln, die über die Regelbreiten hinausgehen und das Warten im Verkehr weniger bedrohlich erscheinen lassen. Die Maßnahmen schaffen dabei keine ausgrenzenden „Altenboulevards“, sondern bieten im Sinne eines Designs für alle auch anderen Nutzergruppen deutliche Vorteile.
Es gilt, maßgeschneiderte Konzepte für den Einzelfall zu entwickeln. Eine sensiblere Lesart des öffentlichen Raums kann jedoch nicht am Schreibtisch stattfinden, sondern muss die älteren Menschen selbst mit einbeziehen.
Die Ergebnisse der Diplomarbeit haben deutlich gezeigt, wie stark „objektive“ Straßenraumbewertungen durch den Planer von der subjektiven Sicht der älteren Fußgänger selbst abwichen. Dabei wird noch einmal die Schwierigkeit offenbart, subjektive Aspekte operationalisieren zu können. Durch eine frühzeitige und intensive Beteiligung wird auch die Chance offen gehalten, den Planungsprozess mit kontrollieren zu können und nicht passiv vor neugestaltete VerkehrsBeitragumwelten gestellt zu werden, in denen die Orientierung schwer fällt.
Neben einer weiteren Erforschung der Einflüsse des Verkehrs auf die Raumwahrnehmung wird zukünftig verstärkt zu prüfen sein, inwiefern neue Konzepte der Stadtverkehrsplanung wie z.B. Shared Space oder Begegnungszonen positiv zur Aufwertung großer Verkehrsadern beitragen können und subjektiv wahrgenommen werden. Die Ansätze verheißen spannende Möglichkeiten, werfen aber z.B. hinsichtlich des Sicherheitsempfindens auch Fragezeichen auf. Doch egal welche Ansätze gewählt werden, eine ganzheitliche „alterssensible“ Sicht erscheint zwingend notwendig.
In den 70er Jahren von J.-Y. Petiteau geprägt, beschreibt die „Méthode des Itinéraires“ eine besondere Form der Stadtspaziergänge, bei der die subjektive Sicht des Einzelnen im Vordergrund steht. Im Rahmen eines dreistufigen Verfahrens wechseln Forscher und Testperson mehrmals die Rollen. Der Forscher tritt dabei v.a. als Beobachter auf, während die Testperson eine Führungsrolle auf dem ihr vertrauten Terrain einnimmt.
Städtische Hauptverkehrsstraßen sind gerade für ältere Menschen wichtige Alltags- und Bewegungsräume. Durch eine sensiblere Lesart des öffentlichen Raums könnten Straßenräume geschaffen werden, die mit weniger Stress und Angstgefühlen nutzbar sind. Dabei kommt der Beteiligung älterer Menschen selbst eine Schlüsselrolle zu.
Dieser Artikel von Matthias Franz ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2010, erschienen.
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Um die Wartezeiten der Fußgänger an Ampelanlagen zu reduzieren und eine bessere Akzeptanz des Rotlichtes zu erreichen, versucht man in Graz neue Wege zu gehen und die Signalprogramme anders zu steuern. Es wurden zwei Modellversuche erfolgreich getestet: „Fußgänger stören die Grüne Welle“ und „Dauergrün für Fußgänger“. Ist das nun ein Kniefall der Verantwortlichen vor der Ungeduld der Fußgänger oder wird hier ein Freiraum der Verkehrsingenieure sinnvoll genutzt?
Jeder kennt die leidige Situation: Als Fußgänger möchten Sie an einer Fußgängersignalanlage – auf österreichisch „Druckknopfampel“ - die Straße queren. Sie müssen sich mittels Druckknopf anmelden, warten bis die Ampel reagiert und auf Grün springt. Ist diese Druckknopfampel in eine Grüne Welle des Autoverkehrs integriert, müssen Sie als Fußgänger noch zusätzlich auf eine Lücke im Autoverkehrsstrom warten.
Reagiert die Ampel nicht schnell genug und entdeckt der ungeduldige Fußgänger eine ausreichende Zeitlücke im Verkehrstrom, ist er versucht, bei Rot die Fahrbahn zu überqueren. Die andere Seite: Autofahrer müssen bei Rot anhalten, obwohl weit und breit kein Fußgänger mehr zu sehen ist, da der Fußgänger schon längst die Fahrbahn gequert hat.
Seit mehr als 20 Jahren hat das Prinzip der „Sanften Mobilität“ Tradition, festgeschrieben in den Leitlinien 2000“. Die „sanften“ Verkehrsmittel, also der nichtmotorisierte Verkehr sowie der öffentliche Nahverkehr werden gefördert. Maßnahmen zugunsten des KFZ- Verkehrs werden seither nur mehr im unbedingt erforderlichen Ausmaß gesetzt.
Unabhängig von der Verkehrspolitik steht für die Steuerung der Lichtsignalanlagen an oberster Stelle die Verkehrssicherheit. Die verkehrspolitisch oberste Priorität hat die Beschleunigung des Öffentlichen Verkehrs, das Prinzip „Wartezeit Null für den ÖPNV“ konnte bereits in sehr hohem Ausmaße (etwa zu 70 – 85%) erreicht werden.
In nächster Priorität sollte die Reduzierung der Emissionen erreicht werden. Dazu wurde die Verbesserung der Grünen Wellen für den Autoverkehr mit adaptiver Netzsteuerung angegangen. Die Emissionen konnten dabei jedoch nicht wirklich reduziert werden, da mit der Flüssigkeit des Autoverkehrs eher die Lust am Autofahren gefördert wurde.
Die Förderung des Fußgängerverkehrs an Ampelanlagen, anfangs auf Maßnahmen der Verkehrssicherheit beschränkt, hat erst in den letzten zwei Jahren einen aktiven Schwerpunkt in der Grazer Verkehrspolitik bekommen, wobei vor allem versucht wird, verfügbare Spielräume zugunsten der Fußgänger zu nutzen und mit Verkehrssicherheitsmaßnahmen zu verbinden.
Während an vollständig signalisierten Knoten Grünphasen und Räumzeiten für die Fußgänger ohne viel Ermessensspielraum in die Gesamtsituation integriert werden müssen, schien ein Potential für wirksame Verbesserungen an Fußgänger-Druckknopfampeln gegeben.
In Graz gibt es als Querungshilfen für Fußgänger 126 Druckknopfampeln. Diese werden in der Regel so gesteuert, dass die Anlage in der Stellung „Dauergrün für den KFZ- Verkehr“ und „Rot für Fußgänger“ verharrt, bis sich ein Fußgänger mittels Druckknopf anmeldet. Nach Ablauf einer Räumzeit wird auf die Grünphase für Fußgänger umgeschaltet.
Anschließend kehrt das Signalprogramm wieder in das Grün der KFZ- Verkehrs (in Deutschland häufig auf „Dunkel“) zurück. Nun muss eine Mindestgrünzeit für den Autoverkehr abgewartet werden, bevor die Anlage wieder für eine neuerliche Fußgängerphase bereit ist. Daraus entstehen die von den Fußgängern nicht gern akzeptierten Wartezeiten.
Besonders lange müssen Fußgänger auf eine Grünphase warten, wenn diese Druckknopfampel in eine Grüne Welle eingebunden und der Rhythmus der KFZ- Pulks abzuwarten ist. Da in Graz Umlaufzeiten - kapazitätsbedingt für den Autoverkehr - bis zu 100 Sekunden Verwendung finden, sind für die Fußgänger Wartezeiten in ebensolcher Größenordnung in Kauf zu nehmen. Daher wurden Alternativen gesucht, diese Mängel an Fußgänger-Druckknopfampeln zu beheben.
Einer dieser Versuche wurde an der stark frequentierten Radroute Neubaugasse unmittelbar an einer Schule durchgeführt. Fußgänger und Radfahrer mussten zum Queren der Keplerstraße bis zu 100 Sekunden warten, weil die Druckknopfampel auf die Grüne Welle des KFZ- Verkehrs mit einer wichtigen, benachbarten Ampelanlage koordiniert war. Als „Zugeständnis“ an die Querenden wurde während des Tages die Grünphase ständig geschaltet, ohne den Druckknopf betätigen zu müssen. Damit konnte wenigstens den zufällig bei Grün eintreffenden Fußgängern eine sofortige Querung ermöglicht werden.
Wunsch der Politik war es, die Wartezeit für Fußgänger/ Radfahrer auf maximal 50 Sekunden zu begrenzen. Daher entschloss man sich für den Modellversuch, diese Fußgängerampel aus dem Koordinierungsverband herauszunehmen und mit Druckknopfanmeldung zu betreiben.
Seitens der Autofahrerlobby herrschten naturgemäß Bedenken, dass die kürzeren Intervalle der Fußgängerphase den ohnehin schon im Staubereich des benachbarten Knotens stockenden Verkehrsfluss unzulässig aufstauen würden.
Statt bisher 35 fixen Grünphasen pro Stunde können sich nun Fußgänger/ Radfahrer bis zu 60 Grünphasen pro Stunde anfordern. Die maximale Rotzeit für Fußgänger/ Radfahrer beträgt nur mehr maximal 50 Sekunden.
Neben diesen erwünscht positiven Auswirkungen auf Fußgänger/ Radfahrer wurden aber auch die Auswirkungen auf den KFZ- Verkehr untersucht. Erstaunlicherweise wurde durch die neue Schaltung in der Morgenspitze vor der Druckknopfampel ein um 10% kürzerer und in der Nachmittagspitze sogar ein um 35% kürzerer Rückstau gemessen. Noch dazu war bei diesem Vorher - Nachher Vergleich das Verkehrsaufkommen nachher um 30 bis 40 % größer.
Dieses verblüffende Ergebnis wurde dadurch möglich, dass - besonders am Nachmittag - nicht alle Grünphasen für den Querverkehr benötigt werden und daher der KFZ- Verkehr zeitweise von Fußgänger/ Radfahrer ungestört fließen kann.
Die modellhaft neue Fußgänger/ Radfahren- freundliche Schaltung hat also nicht nur den Fußgängern/ Radfahrern eine deutliche Verkürzung der Wartezeit, sondern auch dem Verkehrsfluss des KFZ- Verkehrs Vorteile gebracht. Bisher ungenutzte Reserven konnten durch diese neue Ampelschaltung sinnvoll genutzt werden.
Inzwischen wurden 18 von 27 in Grünen Wellen gelegene Druckknopfampeln aus der Koordinierung genommen. Dadurch konnten die sehr langen Wartezeiten durchwegs auf maximal 50 Sekunden reduziert werden. An einigen dieser Anlagen wurde dieser Bonus für die Fußgänger jedoch nur außerhalb der Verkehrsspitzen freigegeben. Die störenden Auswirkungen auf den Autoverkehr halten sich in Grenzen. Wie beim Modellversuch werden nicht alle möglichen Fußgängerphasen ausgenutzt.
Grenzen für eine generelle Anwendung ergeben sich allerdings aus Verkehrssicherheitsaspekten bei sehr kurzen Abständen zu signalisierten Knoten und aus der Abwägung der Relation der Verkehrsstärken von KFZ und Fußgänger/ Radfahrern.
Eine stark frequentierte Fußgänger/ Radfahrer- Achse am Edeggersteg quert im Grazer Citybereich zwei wichtige Cityerschließungsstraßen (Einbahnen). Während in den Verkehrsspitzen die KFZ- Verkehrsstärken höher sind, dominiert am Abend und am Wochenende der querende, nicht motorisierte Verkehr. Daher bietet es sich geradezu an, in Zeiten des schwachen Autoverkehrs die Prioritäten der Ampelschaltung zugunsten der Fußgänger umzudrehen. Der Modellversuch wurde an beiden Kreuzungen ausgeführt.
An herkömmlichen Fußgängerampeln werden Fußgänger, ausgehend von einem Dauergrün für den KFZ- Verkehr nur nach Anmeldung bedient. Diese Priorität wird im Modellversuch umgedreht: Grundzustand ist „Dauergrün für Fußgänger“ und KFZ müssen sich anmelden. Allerdings brauchen die Autofahrer keinen Druckknopf betätigen, ihre Annäherung wird mittels Induktionsschleifen in der Fahrbahn automatisch registriert.
Im neuen Signalprogramm mit dem modellhaft demonstrativen Vorrang für den Fußgängerverkehr werden die sich nähernden KFZ etwa 100 m vor der Fußgängerampel registriert und lösen ein Umschalten in die Grünphase des KFZ- Stromes aus. Bei 40 km/h bekommt das KFZ Grün, ohne anhalten zu müssen.
Während des normalen Werktagsverkehrs ergibt sich aufgrund der permanenten KFZ- Anmeldungen ein fixes Signalprogramm mit einer Umlaufzeit von 40 Sekunden, welches nur kurze Wartezeiten für Fußgänger (maximal 28 Sekunden) verursacht und dem KFZ- Verkehr eine knappe, aber für die Verkehrsstärken ausreichende Freigabezeit ermöglicht.
Das Dauergrün für die Fußgänger kommt in Schwachlastzeiten mit wenig KFZ- Verkehr zum Tragen.
Die konventionelle Lösung war mit einer Umlaufzeit von 80 Sekunden in Spitzenzeiten und 60 Sekunden in Schwachlastzeiten eindeutige zugunsten des KFZ- Verkehrs ausgelegt. Fußgänger mussten – trotz mancher längerer Zeitlücken im KFZ- Verkehr – die überdimensioniert langen Grünzeiten des KFZ- Stromes bis zu 80 Sekunden abwarten.
Die modellhaft neue Fußgänger-gerechte Lösung bietet nun Vorteile:
Diese modellhafte Prioritätsumkehr mit „Dauergrün für die Fußgänger“ kann grundsätzlich an allen ähnlich gelagerten Fußgängerampeln angewandt werden. Derzeit ist man in Graz auf der Suche nach geeigneten Folgeprojekten.
Es sollte jedoch beachtet werden, dass dieses komfortable Dauergrün auch tatsächlich von einer gewissen Mindestanzahl von Fußgängern frequentiert wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Autofahrer trotz der geringen Störwirkung allein schon durch das häufige Rotlicht während der Annäherung derartige Steuerungen als reine Schikanen empfinden.
Insgesamt kann die Experimentierfreudigkeit mit neuen Steuerungsstrategien für die Fußgängerdruckknopfampeln als gelungen bezeichnet werden. Es wurden nicht nur die Wartezeiten der Fußgänger verringert, auch das Klima der Fußgängerfreundlichkeit hat sich durch diese Maßnahmen verbessert. Die Benachteiligung des KFZ- Verkehrs hält sich in Grenzen, die Störungen von Grünen Wellen sind keineswegs dramatisch, an den Anlagen mit „Dauergrün für Fußgänger“ konnten keine wirklichen Nachteile nachgewiesen werden. Die Modellversuche werden beibehalten und können als Grundsatzlösungen für den weiteren Einsatz gesehen werden.
Um Fußgänger an Druckknopfampeln nicht lange warten zu lassen und Rotgeher zu vermeiden, geht man in Graz erfolgreich neue Wege: Fußgänger dürfen den Verkehrsfluss Grüner Wellen unterbrechen, an einzelnen Modellanlagen kriegen sie sogar „Dauergrün“ und Autofahrer müssen sich anmelden. Die Erfahrungen zeigen, dass sich die Nachteile für den Autoverkehr in Grenzen halten, weil bisher unbeachtete Freiräume der technischen Planung sinnvoll genutzt werden.
Dieser Artikel von Winfried Höpfl, der im Grazer Straßenamt das Referat für Lichtsignalanlagen leitet (Email:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!), ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2010, erschienen.
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