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In mobilogisch 3/20, S. 32f. wurde ein neuer Erlass des baden-württembergischen Verkehrsministers Herrmann vom Mai d.J. vorgestellt. Dessen Quintessenz ist, dass Kommunen sich nicht auf das „Opportunitätsprinzip“ berufen dürfen, wenn sie Falschparken nicht ahnden.

Der Erlass stützt sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt vom 30. Juni 2017 (Az. 5 K 902/16.NW), das besagt, dass falsch parkende Fahrzeuge regelmäßig abzuschleppen sind, „wenn das Verhalten des rechtswidrig Parkenden dazu geeignet ist, zu Behinderungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs einschließlich des ruhenden Verkehrs zu führen.“ Solange es kein anderslautendes Urteil gibt, ist dies die geltende Rechtslage.

Dieser Artikel fasst die (verwaltungs-)rechtlichen Vorschriften zum Gehwegparken zusammen, behandelt den Umgang der Ordnungsämter in ausgewählten Städten mit Falschparkern, stellt Ansätze für Parkkonzepte vor und zeigt auf, was man gegen Falschparker tun kann.

Die Vorschriften zum Gehweg­parken in StVO und VwV-StVO

Leider steht nirgendwo in der StVO explizit ein Satz wie „Das Halten und Parken auf Gehwegen mit Kfz ist nicht gestattet.“ Das Fehlen eines solchen Satzes dient Falschparkern oft und gerne als Ausrede. Gemäß den im Folgenden zitierten Paragrafen der StVO ist Gehwegparken allgemein verboten: § 2 Abs. 1 StVO sagt: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahn benutzen.“ § 12 Abs. 4 StVO schreibt vor: „Zum Parken ist der rechte Seitenstreifen, dazu gehören auch entlang der Fahrbahn angelegte Parkstreifen, zu benutzen, wenn er dazu ausreichend befestigt ist, sonst ist an den rechten Fahrbahnrand heranzufahren.“ Im Einzelfall kann Gehwegparken durch die Behörden gestattet werden. Grundlage hierfür ist § 12 (4a) StVO: „Ist das Parken auf dem Gehweg erlaubt, ist hierzu nur der rechte Gehweg, in Einbahnstraßen der rechte oder linke Gehweg, zu benutzen.“

Legalisiertes Gehwegparken wird durch Zeichen 315 StVO oder durch eine einfache Parkflächenmarkierung angezeigt. Die Bedingungen für die Zulassung des Gehwegparkens stehen in der Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 315 StVO; sie sind sehr strikt gefasst: „Das Parken auf Gehwegen darf nur zugelassen werden, wenn genügend Platz für den unbehinderten Verkehr von Fußgängern gegebenenfalls mit Kinderwagen oder Rollstuhlfahrern auch im Begegnungsverkehr bleibt, die Gehwege und die darunter liegenden Leitungen durch die parkenden Fahrzeuge nicht beschädigt werden können und der Zugang zu Leitungen nicht beeinträchtigt werden kann.“ [1]

Für das legalisierte Gehwegparken ohne Zeichen 315 ist eine Parkflächenmarkierung vorgeschrieben. Die Zulassung des Parkens durch Markierung auf Gehwegen soll nur ausnahmsweise erfolgen, etwa dort, „wo nur wenigen Fahrzeugen das Parken erlaubt werden soll; sonst ist die Anordnung des Zeichens 315 ratsam.“ Im Übrigen gelten die Bedingungen zu Z. 315 mit dem Zusatz, dass „die Bordsteine ausreichend abgeschrägt und niedrig sind.“ [2]

Städte: Rechtsbruch hui, Anzeigen pfui

Es ist Aufgabe der kommunalen Ordnungsbehörden, Verstöße gegen Parkverbote zu sanktionieren. Aber viele weigern sich in Einzelfällen oder grundsätzlich in bestimmten Straßen und Quartieren. Sie begründen das mit dem „Opportunitätsprinzip“, nach dem Ordnungswidrigkeiten nicht in jedem Fall verfolgt werden müssen. Allerdings legen sie dies sehr weit – und, gemäß dem o. a. angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt – zu weit aus, wenn sie wegen „Parkdrucks“ Falschparker auf einzelnen Gehwegen oder gar in ganzen Stadtteilen grundsätzlich unbehelligt lassen.

Politik und Verwaltung zeigen sich oft erfinderisch, wenn es darum geht, Falschparker nicht zu belangen. Die folgenden Beispiele dazu sind dem Beitrag „Falschparker: Aktives Land, mauernde Städte“ auf www.fuss-ev.de entnommen:

In Frankfurt am Main rechtfertigt Oberbürgermeister Peter Feldmann 2019 das chronische Falschparken auf Gehwegen so: „In einzelnen Bereichen liegt … ein so hoher Parkdruck durch die Anwohnerinnen und Anwohner vor, dass die Interessen der zu Fuß Gehenden nicht mit letzter Konsequenz durchgesetzt werden können.“ Davon behinderte Fußgänger müssten das hinnehmen, habe der Magistrat beschlossen: „Das Interesse der Anwohner an Parkmöglichkeiten kann bei dieser Ermessensabwägung nicht unberücksichtigt bleiben.“

Mutige Bürger gegen rechtswidrige Anordnungen von Gehwegparken

Andere Städte lassen nicht nur Falschparker in Ruhe, sondern attackieren eigene Bürger, die den Ämtern Rechtsbrüche mitzuteilen. Ordnungsamts-Leiter Helmut Loris aus Leipzig teilte einem lästigen Bürger mit, Anzeigen seien „nur eine Anregung an die Verwaltungsbehörde“ und dürften „nicht der Regelfall sein“. Wer öfter anzeige „nehme quasi die Rolle eines Ermittlungsbeamten ein“ und verstoße gegen das „Gewaltmonopol des Staates“. Diese Aussage ist eindeutig demokratiefeindlich.

Noch mehr liegt die Schonung von Rechtsbrechern der Stadt Braunschweig am Herzen: Sie rüffelte amtlich einen Bürger, weil der es gewagt hatte, in Braunschweigs Ordnungsamt zahlreiche Rechtsverstöße anzuzeigen. „Erneut haben Sie über 30 Anzeigen zu Falschparkern … übersandt“, empörte sich die Behörde. Das aber sei „eine staatliche hoheitliche Aufgabe, deren Übertragung auf Private rechtlich nicht zulässig ist“. Es seien lediglich „Anzeigen durch Private in Einzelfällen möglich“. Vom FUSS e.V. folgte eine Anfrage nach der in Braunschweig erlaubten Höchstzahl von Anzeigen; eine Antwort gab die Stadt nicht.

Eine noch drohendere Haltung gegenüber einem anzeigenden Bürger nahm die Stadtverwaltung Magdeburg ein. Dort stellte ein offenbar unterbeschäftigter Ordnungsamts-Mitarbeiter in einem vierseitigen Brief fest, wer anzeige, der übermittele ja auch personenbezogene Daten, nämlich das ganz persönliche Autokennzeichen. Und das verstoße gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Beamte teilte mit, die Falschparker-Anzeigen werde er selbst nicht mehr prüfen – aber sie dem Landes-Datenschutzbeauftragten übergeben, in der Hoffnung auf „Einleitung eines Verfahrens und Ahndung einer Ordnungswidrigkeit“. Denn „soweit Sie ein verbotswidrig parkendes Fahrzeug feststellen, Marke, Typ, Kennzeichen, Standort, Tag, Zeit und Tatbestand erfassen oder ein Foto aufnehmen, greifen Sie in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der für das Fahrzeug verantwortlichen Person ein.“ Eine bemerkenswerte Haltung für den Mitarbeiter einer Behörde, zu deren Aufgaben das Ahnden von Falschparkern gehört: Deshalb ergangene Anzeigen bearbeitet er nicht. Aber für den Datenschutz der mutmaßlichen Regelbrecher fühlt er sich verantwortlich.

Sanktionen gegen Ordnungsamtmitarbeiter/innen – eine Rarität

Nur selten werden bisher Behördenmitarbeiter belangt, die sich als Beschützer von Rechtsbrechern sehen. So der Chef der Kommunalpolizei Darmstadt (anderswo Ordnungsamt) im Jahr 2018. Nachdem Bürger hartnäckig gegen chronisches Falschparken protestiert hatten, lehnte er Abhilfe mit den Worten ab „Wir wollen doch kein Polizeistaat werden.“ Er verglich demokratisches Ordnungsrecht, dessen Wahrung sein Job war, mit einer Diktatur. Die Vereine Wegerecht und FUSS e.V. protestierten; schließlich versetzte Darmstadts Oberbürgermeister den Hüter der Unordnung auf einen weniger heiklen Posten. Seitdem kommt in Darmstadt der Abschleppwagen öfter.

Mini-Restgehwegbreiten in NRW

Hier einige Beispiele aus Nordrhein-Westfalen, welch lächerlich geringe Restgehwegbreiten einige Kommunen noch für tragbar halten: In Wuppertal schreitet das Ordnungsamt erst ein, wenn weniger als 1 Meter Wegbreite verbleibt. Begründung: Die Sicherheit für den Fußgängerverkehr sei damit gegeben. Auch Personen mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer könnten dort verkehren. Der Sprecher der Ortsgruppe Wuppertal hat einen Protestbrief an Landesverkehrsminister Wüst sowie Bundesverkehrsminister Scheuer geschrieben. Die endgültige Antwort aus dem Landesverkehrsministerium steht noch aus, aus Berlin kam bislang keine Reaktion.

Auch in Münster wird eine Restgehwegbreite von 1 Meter geduldet. Hier ist die Ortsgruppe ebenfalls aktiv geworden und hat eine Eingabe an die Stadt gemacht. [Nähere Informationen zu Wuppertal: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!; zu Münster: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!]

In Köln-Ehrenfeld wird das Ordnungsamt bei illegalem Gehwegparken erst aktiv, wenn die verbleibende Restgehwegbreite weniger als 1,20 m beträgt. [3] In Köln-Dellbrück lassen ein gelernter Stadtplaner und seine zwei „Assistenten“ sich auch nicht durch eine gegen sie gegründete „Interessengemeinschaft“ einiger Bürger von ihrem Vorhaben abbringen, gegen Falschparker vorzugehen – und kommen auf monatlich bis zu 1.000 Anzeigen. [4]

Arbeitshilfen für Bürger/innen

Wie die „Dienstanweisungen“ für die Ordnungsämter in Ihrer Stadt lauten, kann jede/r Interessierte unter www.frag-den-staat.de leicht in Erfahrung bringen. Auf der FUSS-Seite gehwege-frei.de findet sich ein Muster-Beschwerdebrief an die Verwaltung. Auf www.weg-li.de kann man (via der App Wegeheld) die Behörden direkt über Parkverstöße informieren.

Ulm und Karlsruhe: Rest-Gehweg­breiten von 1,50 bzw. 1,60 Meter

Einen leichten Fortschritt – im Vergleich zum allgemeinen Vorgehen hinsichtlich Restgehwegbreiten – stellen die diesbezüglichen Dienstanweisungen in den baden-württembergischen Städten Ulm und Karlsruhe dar: In Ulm wird das „absolute Mindestmaß“ des Gehweges mit 1,50 Meter angesetzt [5], während Karlsruhe 1,60 Meter fordert. [6] Beide Städte halten die laut RASt 06 einzuhaltende Mindest-Gehwegbreite von 2,50 Meter für „nicht erreichbar“.

Dabei gibt es verschiedene Instrumente, das Parken anders zu regeln, z. B. durch Parkverbote oder das Angebot alternativer Parkmöglichkeiten (Quartiersgaragen, Nutzung von Parkhäusern und Parkflächen von Supermärkten). Auch über eine andere Verkehrslenkung (Einrichtung oder Umdrehung von Einbahnstraßen, Einrichtung von Verkehrsberuhigten Bereichen und Begegnungszonen) können Einschränkungen von Leistungsfähigkeit, Komfort und Sicherheit für den Fußverkehr auf Gehwegen vermieden werden. In NRW müsste man das Landesbaurecht durchsetzen, das in § 51 bestimmt, dass Garagen in erster Linie Garagen sind und nicht zweckentfremdet werden dürfen. [7] So könnte man das Verhalten von Garagenbesitzern, die ihr Auto trotzdem auf der Straße parken, wirksam unterbinden.

Mindest(rest)gehwegbreiten nach RASt, EFA und H BVA

Nach Ansicht von FUSS e.V. ist die Festlegung der Städte Ulm und Karlsruhe auf 1,50 bzw. 1,60 Meter nicht vorschriftsgemäß . Die VwV zu §§ 39-43 StVO bestimmt Folgendes: „Soweit StVO und diese Verwaltungsvorschrift … für den Ort und die Anbringung von Verkehrszeichen … nur Rahmenvorschriften geben, soll im einzelnen nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik verfahren werden … .“ In der Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 315 und Parkflächenmarkierung wird keine explizite Gehwegbreite genannt, somit müssen unserer Ansicht nach für Gehwege die Breitenmaße gelten, die in den Regelwerken RASt 06 (Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Hrsg: FGSV Köln, 2007), EFA (Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen, 2002 sowie H BVA (Hinweise für barrierefreie Verkehrsanlagen) vorgegeben sind: Nach RASt 06 ist für Gehwege an Stadtstraßen ein Mindestmaß von 2.50 m anzusetzen. [8] Die EFA gestatten eine abgeminderte Regelbreite von 2,10 m. [9] Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen soll gemäß H BVA die Benutzung straßenbegleitender Gehflächen durch die Anlage von hindernisfreien, taktil und visuell abgegrenzten Gehwegbreiten, mit wenigen Richtungsänderungen erleichtert werden, die taktil und optisch kontrastierend wahrnehmbar sind. (H BVA, 3.3.2.1) Allgemein sollte der Seitenraum für die Nutzung durch mobilitätseingeschränkte Personen 2,70 m breit sein, zusammengesetzt aus 2 m Begegnungsraum (2 x 90 cm für Verkehrsteilnehmer und 20 cm Sicherheitsabstand), 50 cm Abstand zur Fahrbahn und 20 cm Abstand zu Haus oder Grundstück. Die geforderte Breite erhöht sich mit steigendem Fußverkehrsaufkommen. (H BVA, 3.3.1)

Für die Einhaltung der Bedingung der Verwaltungsvorschrift, dass legalisiertes Gehwegparken mit Zeichen 315 nur zugelassen werden darf, wenn der Verkehr von Fußgängern unbehindert bleibt, sind die in den Regelwerken genannten Maße erforderlich. Die Seniorin und ihr Mann neben ihr im elektrischen Rollstuhl (der nach RASt 06 allein schon einen Breitenbedarf von 1,10 Meter hat [10]) brauchen mindestens 2,10 Meter Gehwegbreite für ihren Spaziergang oder ihren gemeinsamen Einkauf. Oder sollen sie etwa hintereinander gehen? Gehwegbreiten unter 2,10 m bedeuten die Weigerung, älteren Menschen, körperlich Behinderten und Eltern mit Kinderwagen eine sichere Mobilität in der Stadt zu ermöglichen und untergraben ihren Anspruch auf Barrierefreiheit. Diese ist kein Gnadenakt von Ordnungsämtern, sondern seit dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz aus dem Jahre 2002 ein Rechtsanspruch. [11]

Erforderliche Fahrbahnbreiten für Rettungsfahrzeuge

Ulm und Karlsruhe weisen auf einen Aspekt hin, der auf jeden Fall bei der Legalisierung des Straßenraums beachtet werden muss: die Durchfahrbarkeit für Rettungsfahrzeuge. Es muss mindestens eine Fahrbahnbreite von 3,50 m eingeplant werden. [12]

Parkkonzepte in Karlsruhe und Ulm

Mitte 2016 begann Karlsruhe, in allen Stadtteilen illegale Parkstände zu entfernen und stattdessen legalisiertes Gehwegparken umzusetzen. Leitlinie dabei war das zuvor entwickelte Konzept „Faires Parken“, mit dem Schwerpunkt auf Barrierefreiheit und Fußverkehrsqualität. Die Stadt ist überzeugt, mit der festgesetzten Mindestgehwegbreite von 1,60 Metern diese Ziele zu erfüllen. Auf allen Gehwegen, die dieses Mindestmaß unterschreiten, ist jetzt Parken verboten. [13]

Die Stadt Ulm hat im Jahre 2019 auf eine Petition hin, die vom baden-württembergischen Landtag angenommen wurde und der Stadt zur Umsetzung aufgetragen wurde, ein neues dreistufiges Konzept zum Gehwegparken entwickelt [14, 15]:

Kategorie I: Straßen, in denen problemlos beidseitig bzw. nur auf einer Seite der Straße auf der Fahrbahn geparkt werden kann. In diesen Straßen müssen die Fahrzeuge lediglich vom Gehweg auf die Fahrbahn verlagert werden.

Kategorie II: Straßen, in denen beim Parken auf dem Gehweg ein ausreichend breiter Fußweg (mindestens 1,50 m) übrig bleibt. Das Gehwegparken könne hier nach einer Prüfung vermutlich durch Beschilderung/Markierung legalisiert werden. Ziel ist es, dass diese Straßen im Jahr 2020 konkret überprüft, das Ergebnis dokumentiert und nach dieser Erhebung zeitnah umgesetzt werden soll.

Kategorie III: Hierzu gehören alle Straßen, die nicht in die beiden oben genannten Kategorien fallen. Bei diesen Straßen müsse man ggf. größere bauliche Veränderungen vornehmen. Da dort mit einer deutlichen Verringerung der Zahl der Parkplätze zu rechnen sei, müssten unter Einbeziehung der Anwohner, auch Möglichkeiten wie zum Beispiel die Umwandlung eines Gehwegs in einen Parkstreifen, die Schaffung von Mischflächen (Aufgabe beider Gehwege) bzw. die Umwandlung von bestehenden Wohnstraßen in verkehrsberuhigte Bereiche (am Beispiel Freiburgs) geprüft werden.

Der Bearbeitungsstand ist abrufbar unter [16].

Auch in Recklinghausen will die Stadt Maßnahmen ein Konzept gegen das Gehwegparken ausarbeiten. [17]

Was kann FUSS e.V. tun?

FUSS e.V. diskutiert zur Zeit, eine Kampagne für die Beendigung des Gehwegparkens durchzuführen. Dabei würden wir darauf dringen, dass die ausführenden Behörden die Vorgaben der Verwaltungsvorschrift einhalten. Da in vielen Kommunen die Gehwegbreiten spätestens nach der Anordnung des Gehwegparkens unter dem geforderten Mindestmaß von 2,10 Meter liegen, entsprechen sie nicht den aktuellen Vorschriften.

Mit Bezug auf die Verwaltungsvorschrift zu Z. 315 und Parkflächenmarkierung hat ein FUSS-Mitglied aus Hannover vor zwei Jahren Klage beim Verwaltungsgericht Hannover wegen Nichtberücksichtung der Vorschriften eingereicht (nähere Information unter hannover@ fuss-ev.de).

Wir werden auch immer wieder darauf hinweisen, dass die bauliche Ausführung vieler Gehwege im Ober- und Unterbau nicht für das Gewicht von Kraftfahrzeugen ausgelegt ist. Daher werden diese Gehwege wie auch die darunter liegenden Leitungen beschädigt, wenn dort das Parken von Kfz genehmigt wird. Zugeparkte Gas- und Wasseranschlüsse können zudem zu großen Gefahren führen: So können z. B. Undichtigkeiten eines Gasanschlusses wegen vorschriftswidrig angeordnetem Gehwegparken zu spät erkannt werden. Dies kann katastrophale Folgen haben, da das Gas durch Mauerfugen auch in Keller ohne Gasanschluss gelangen kann. Ein Umsetzen des geparkten Fahrzeuges kann fatale Verzögerungen mit sich bringen. Ein weiterer Grund das Gehwegparken dort nicht zu genehmigen bzw. diese Anordnung zurückzuziehen.

Deutscher Städtetag gegen „Städte als Parkplätze“

Neuerdings scheint Bewegung in die Sache zu kommen – und zwar von unerwarteter Seite: Helmut Dedy, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, äußerte am 2. September 2020 in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist noch keine Verkehrswende, wenn wir jeden Verbrenner durch ein E-Auto ersetzen. Es geht darum, dem Auto auch öffentliche Räume zu entreißen. Unsere Städte sind keine Parkplätze, Städte sind Orte zum Leben. Es sind Städte für Menschen und nicht Städte für Autos.“ [18]

FUSS e.V. wird dabei helfen.

In Kürze

Das Nichtahnden von Falschparken auf Gehwegen durch die meisten Ordnungsbehörden führt zu Behinderungen und auch Gefährdungen der Gehwegnutzer/innen, insbesondere von mobilitätseingeschränkten Menschen. Die Verstöße gegen die StVO, VwV-StVO und die Vorschriften in den Regelwerken müssen umgehend abgestellt werden.

Quellen:

[1] Verwaltungsvorschrift zu Z. 315 StVO. In: www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de

2] Verwaltungsvorschrift Zu Anlage 2 lfd. Nummer 74 Parkflächenmarkierungen. In: www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de

[3] Beantwortung einer Anfrage der Grünen-Fraktion in der Bezirksvertretung Ehrenfeld durch die Stadt Köln, Dezernat I/32/324, Vorlagen-Nummer 1905/2019, vom 17.09.2029

[4] Kölner Stadt-Anzeiger, 13.08.2020

[5] www.ulm.de/leben-in-ulm/verkehr-und-mobilitaet/individualverkehr/gehwegparken

[6] www.karlsruhe.de/b3 -> Verkehr -> Gehwegparken -> Legalisierung.de

[7] www.ruhrnachrichten.de -> Dortmund

[8] RASt 06, 4.7 und 6.1.6.1

[9] EFA 2002, 3.2

[10] RASt 06, 4.7, Tabelle 4

[11] www.behindertenbeauftragter.de

[12] www.ulm.de/leben-in-ulm/verkehr-und-mobilitaet/individualverkehr/gehwegparken

[13] www.akb-karlsruhe.de/seite16.html

[14] buergerinfo.ulm.de

[15] www.ulm.de/leben-in-ulm/verkehr-und-mobilitaet/individualverkehr/gehwegparken

[16]www.ulm.de/leben-in-ulm/verkehr-und-mobilitaet/individualverkehr/gehwegparken

[17] www.recklinghausen.de → Rathaus_Politik → Pressestelle

[18] www.staedtetag.de → Presse → Statements

 

Dieser Artikel von Peter Struben ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2020, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.

Betreiber von Einkaufszentren wollen, dass Menschen ausgiebig zwischen ihren Läden heumgehen. Wie kommerzielle Lauf-Förderung funktioniert, verrät Valentin Hadelich, Architekt und „Head of Department Urban Planning“ bei Europas Markführer ECE mit 196 Einkaufzentren.

? Ihre Center sind zum Kaufen da, nicht zum Laufen. Heißt das: Wer nur schnell zum Laden geht, ist erwünscht, wer einfach nur durchbummelt, nicht?

! Gerade wer bummelt, ist erwünscht. Wer bei uns läuft, kauft auch. Und für andere Menschen wirkt das Center belebter und der Aufenthalt interessanter. Das ist wie auf dem Bürgersteig und dem Stadtplatz draußen.

? Wieviele Laufstrecken bieten Sie?

! Bei mehreren Etagen und Seitenarmen können es in einem Center schon mal mehrer Kilometer sein.

? Und das laufen die Kunden alles ab?

! Keiner läuft systematisch alle Wege ab. Aber wenn Menschen stundenlang bei uns sind, dann können schon ganz schöne Entfernungen zusammenkommen. Wir messen das aber nicht. Nur unsere Centermanager und Techniker tracken teilweise ihre Strecken. Sie kommen schon mal auf zwölf Kilometer Fußweg am Tag, da gibt es einen sportlichen Wettbewerb.

? Von außen wirken viele Center mit ihren Rampen und Parkdecks so, als solle man möglichst mit dem Auto kommen.

! Man kann, muss aber nicht. In unserem ältesten Center, dem Alstertal-Einkaufszentrum in Hamburg-Poppenbüttel, kommt fast die Hälfte der Kunden zu Fuß und mit der S-Bahn, obwohl es im Vorort liegt und nicht in der City. Es ist übrigens günstig, wenn ein Teil der Kunden zu Fuß im Erdgeschoss ins Haus kommt und ein anderer von Parkdecks auf dem Dach. Dann werden die verschiedenen Etagen gleichmäßiger besucht.

? Gibt es Läden, vor denen alle Kunden mal laufen sollen?

! Wir wollen unsere Kunden nicht zwingen, sondern höchstens dezent leiten. Durch gute Sicht und Orientierung und durch Ladenfronten, die man von mehreren Etagen aus sehen kann. Es geht um die Kunst, einen angenehmen Weg zu schaffen.

? Was tun Sie, damit die Leute viel bei Ihnen herumlaufen?

! Das älteste Mittel sind große Läden und Einrichtungen an den Enden eines langgestreckten Centers, die am meisten Kunden haben und als Magneten dienen. Wer dorthin geht oder von da kommt, passiert dann andere interessante Geschäfte.

? Ist das so ähnlich wie im Billigflughafen, wo die Leute auf Schlangenlinien und langen Umwegen durch die Duty-Free-Shops geschickt werden?

! Das würden die Leute merken und nicht mögen, außerdem bräuchte es dann mehr Verkehrsflächen, also gäbe es weniger für die Läden. Nein, die Wege zu den Magneten sollen direkt sein.

? Dafür möglichst lang, damit unterwegs viele andere Läden verlocken können?

! Das ist durch die Fläche begrenzt, die das Center einnehmen kann. Für Kunden darf es auch nicht zu lang sein, und vor allem nicht zu monoton. Von langen Fronten mit nichts als Schaufensterpuppen hat keiner etwas. Und ungefähr alle 40 bis 50 Meter sollte es eine größere Abwechslung geben, zum Beispiel Quergänge, in den oberen Etagen Brücken zur anderen Seite der Höfe oder mindestens alle 70 Meter Rolltreppen für den Etagenwechsel. Mehr als 120 Meter zu einem Laden laufen die Leute nur ungern. Das sind ja auch die Maße, bei denen städtische Blöcke noch angenehm wirken.

? Es klingt nicht sehr lauffreudig.

! Manche gehen aber viele solcher kurzen Etappen. Nicht nur von Laden zu Laden, sondern auch mit Pausen in Cafés, auf Sitzbänken oder einfach zum Gucken von einer Brücke. In Aufenthaltsqualität und Service investieren wir jetzt und in den nächsten Jahren über das At Your Service Programm viele Millionen Euro – in Bänke, Grün, Toiletten, elektronische Wegweiser und mehr, einfach in mehr Aufenthaltsqualität und einen besseren Kundenkontakt. Das bringt unmittelbar keinen Euro zurück, aber Wohlfühlen ist ganz entscheidend auch für den kommerziellen Erfolg eines Centers. Die Leute sollen sich nicht gejagt fühlen, sondern freundlich eingeladen.

? Was tun Sie, damit sich die Leute beim Laufen wohlfühlen?

! Alle Wege bei uns sind natürlich barrierefrei, das ist ein eindeutiger Mehrwert gegenüber vielen Innenstadtstraßen. Und sie sind ausreichend breit. 2,75 Meter sind das absolute Minimum. Es kann und muss auf stark frequentierten Wegen deutlich mehr sein, aber nie so viel, dass ein Weg leer wirkt.

? Gibt es den idealen Bodenbelag?

! Bis vor 15 Jahren war er bei uns einheitlich: hell, natürlich eben, aber nicht zu glatt. Jetzt gibt es Unterschiede. Bei unserer neuen Galerie in Verona haben wir zum Beispiel in Teilen einen Bruchstein-Boden, der ein bisschen an die Altstadt erinnert umgesetzt. Und vor rustikalen Restaurants auch schon mal Holzoptik.

? Und die Gestaltung und Beleuchtung?

! Unsere ist hell, aber eher zurückhaltend. Die Läden sollen strahlen, nicht das Center, in dem sie gemietet sind. Aber auch für die Läden gibt es Regeln. Sie sollen weder grell und aufdringlich noch schäbig und lieblos wirken.

? Man geht nur im Innenraum – also klimatisiert?

! Die Lüftung soll möglichst wenig Technik enthalten. Das Dach ist immer zu öffnen. Wir haben übrigens mal kostenlose Garderoben angeboten, aber das wollten die Leute nicht. Sie fühlen sich offenbar wie in einer offenen Straße, aber in einer, in der es nie regnet und im Winter wärmer ist als draußen.

? Und künstliche Atmosphären als Kauf-Verführer?

! Wir experimentieren über einen Multisens Ansatz mit Licht, Musik und Gerüchen . Allerdings nur dezent, aufdringliche Sinnesreizung wäre jedenfalls nicht gut.

? Trotzdem läuft man durch eine rein kommerzielle Welt. Das will man irgendwann nicht mehr.

! Es ist nicht alles kommerziell. Sie können stundenlang auf Bänken sitzen und herumbummeln, ohne einen Cent auszugeben. Es gibt Spielplätze und nicht nur Läden, sondern auch Kinos, Gastronomie sowieso, Minigolfplätze und in Bremen ein Jump House.

? Ein was?

! Eine über 5.000 Quadratmeter große Trampolinhalle. Da hüpfen die Leute wie wild.

? Haben Sie mal überlegt, ob Sie Ihren Kunden die sogenannte letzte Meile zum Laden mit Fahrrädern oder E-Rollern erleichtern sollten?

! Nein, nie. Es soll entspannt und sicher zugehen. Keiner soll Angst haben, er wird umgerast, und vor den Läden soll nichts im Weg herumstehen oder liegen. Die Leute gehen die letzte kleine Meile gern, und das soll so bleiben.

 

Dieses Interview von Roland Stimpel ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2020, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik "Zeitschrift - Versand Hefte" bestellen.

Im Rahmen des Projekts „GEHsund – Städtevergleich Fußverkehr“ wurde erstmals die Fußgängerfreundlichkeit Schweizer Städte untersucht. Die Beurteilung erfolgte in drei Teilprojekten, einem Fußverkehrstest (Infrastrukturbewertung), einer Onlinebefragung zur Zufriedenheit der Bevölkerung und einer Beurteilung der städtischen Aktivitäten zur Förderung des Fußverkehrs in der Planungspraxis. Projektträger waren umverkehR, Fußverkehr Schweiz und die Hochschule Rapperswil. Das Projekt wurde von den beteiligten Städten und verschiedenen Stiftungen finanziell unterstützt.

Aufbau und Ziele des Städtevergleichs Fußverkehr

Bisher gab es in der Schweiz keine Umfragen oder Erhebungen zur Qualität der Fußverkehrsinfrastruktur. Unbekannt war, wie es in den Schweizer Städten um den Fußverkehr bestellt ist: wo liegen spezifische Qualitäten, wo bestehen Mängel? Über systematische Schwachstellenanalysen im Fußverkehr verfügen die wenigsten Gemeinden.

Hier ist der erste Ansatzpunkt: mit dem Fußverkehrstest wird die Qualität der Infrastruktur bewertet. Als zweites wird in Form einer Onlineumfrage die Zufriedenheit der Bevölkerung im Bereich Fußverkehr erhoben. Das dritte Paket im Städtevergleich umfasst unter dem Titel „Planungspraxis“ eine Auswertung, wie in der jeweiligen Stadtverwaltung und in der Stadtpolitik mit dem Thema Fußverkehr umgegangen wird. Ziel des Städtevergleichs ist es, im Zusammenzug dieser drei Teile stadtbezogene Aussagen zur Qualität des Fußverkehrs machen zu können. Diese Qualitätsaussagen werden in Form eines Rankings unter den Städten verglichen. Das Hauptziel dabei ist nicht nur, herauszufinden, in welcher Stadt es besser oder schlechter bestellt ist um den Fußverkehr, sondern durch das Ranking Anreize zur Verbesserung zu setzen und durch die Bewertung aufzuzeigen, wo genau welche Mängel behoben werden müssten. Pro Stadt werden in Form von Faktenblättern Stärken und Defizite aufgezeigt.

Aufbau und Methodik des Fußverkehrstests

Im Rahmen von Begehungen auf ausgewählten Routen wurden die Elemente des Fußverkehrsnetzes nach einem zuvor festgelegten Kriterienkatalog bewertet. Quervergleiche sind sowohl zwischen den Netzelementen als auch zwischen den Städten möglich.

Netzelemente sind:

  • Strecken (Abschnitte)
  • Querungen (Fußgängerstreifen, Lichtsignalanlagen etc.)
  • Flächen (Plätze, Begegnungszonen o.ä.)
  • Verknüpfungspunkte (Haltestellen)

Bei den Streckenelementen werden folgende Typen unterschieden:

  • Trottoir oder reiner Gehweg an Hauptstraßen
  • Trottoir in Quartierstraßen
  • Mischverkehrsstrecken
  • Treppenwege

Bei den Querungen werden drei Typen unterschieden:

  • Straßenquerung mit LSA
  • Straßenquerung ohne LSA
  • Straßenquerung mit Unterführung

Bei den Flächen und Haltestellen gibt es keine Untertypen.

Wegen der Vielfalt der Ansprüche waren entsprechend viele Kriterien in der Bewertung zu berücksichtigen. Der Bewertungskatalog umfasst je Element zwischen 13 und 23 Einzelkriterien. Enthalten sind sowohl quantitative Fakten (z. B. Trottoirbreiten) als auch qualitative Momenteindrücke zum Beispiel hinsichtlich der Beurteilung von Konflikten. Für alle Kriterien sind Mess- oder Einschätzungsgrößen definiert, deren Erfüllungsgrad mit einem dreistufigen Punktesystem bewertet wurde. Für jedes Netzelement kann dann angegeben werden, zu wieviel Prozent die Anforderungen erfüllt sind.

Die Erhebung selbst erfolgt mithilfe einer GIS-Applikation, bei welcher die mit Mobiltelefon oder Tablet erhobenen Informationen direkt auf einer zentralen Datenbank abgelegt werden.

Aufbau und Methodik der Umfrage zur Zufriedenheit

Mit der Bevölkerungsumfrage wurde das subjektive Empfinden der Bevölkerung hinsichtlich der Fußverkehrssituation in ihrer Stadt abgefragt. Der Fragebogen umfasste rund 80 Fragen zu folgenden Themen:

  • Angaben zu den Personen des Teilnehmerkreises
  • Mobilität der ZuFußgehenden in der Stadt
  • Bewertung der aktuellen Situation in der ganzen Stadt sowie auf oft begangenen Wegstrecken
  • Bewertung der aktuellen Situation in Verwaltung und Politik, Verbesserungsmaßnahmen
  • Offene Kommentare und Rückmeldungen an die Stadtverwaltung

Die Auswertung wurde in die fünf Themenblöcke Fußwegnetz, Infrastruktur, Wohlbefinden, Verkehrsklima und Politik gegliedert, welche mit gleichem Gewicht in die Gesamtbeurteilung einflossen.

Für die 16 am Vergleich beteiligten Städte wurden insgesamt 4068 ausgefüllte Fragebögen eingeholt. Die Zufriedenheit der ZuFußgehenden in der Schweiz wurde mit dieser Umfrage erstmals in diesem Detaillierungsgrad erhoben. Die Umfrage wurde grundsätzlich positiv aufgenommen.

Aufbau und Methodik der Erhebung Planungspraxis

Mittels 60 festgelegter Indikatoren wurden Zielsetzungen, Maßnahmenplanungen und Umsetzung in der Planungspraxis im Bereich Fußverkehr analysiert und bewertet.

Dazu wurden folgende Quellen herangezogen:

  • Grundlagendokumente im Bereich Fußverkehr (Mobilitätsstrategien, Konzepte, Richtpläne usw.)
  • Gespräche mit Personen, die in den Städten für den Fußverkehr zuständig sind
  • Publikationen, Informationen auf der städtischen Website
  • Statistische Daten aus weiteren Quellen

Es wurde erhoben, was die Stadt in den letzten Jahren umgesetzt hat und welche Aktivi­täten beschlossen sind. Die Bewertung der 60 Indikatoren wurde in folgende fünf Bereiche unterteilt:

  • Strategien, Ressourcen
  • Fußwegnetzplanung
  • öffentlicher Raum
  • Fußverkehr als Teil des Gesamtverkehrs
  • Kommunikation, Controlling

Das gesammelte Material (Grundlagen, Webseite, Interviewantwor­ten, Statistiken) bildete die Basis für die Bewertung. Pro Indikator wird jeweils eine Punktzahl von 1 bis max. 3 Punkte vergeben. In jedem der 5 Bereiche wird der Erfüllungsgrad in Pro­zent ermittelt.

Resultate, Fazit und Empfehlungen

Im Mittel des Gesamtergebnisses wurden die Anforderungen zu 61% erfüllt oder, umgekehrt formuliert, zu rund 40 % eben nicht. Der Städtevergleich zeigt den Umfang des Handlungsbedarfes im Fußverkehr auf und bestätigt, dass es in allen drei untersuchten Bereichen noch viel zu tun gibt. Die Resultate erlauben, Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Die Qualität der Infrastruktur verbessern

Der Fußverkehrstest bietet auch ohne flächendeckende Schwachstellenanalysen einen guten ersten Ansatzpunkt zur Qualitätsverbesserung. So wurde u.a. deutlich, dass vielerorts die Anforderungen des Behindertengleichstellungsgesetzes noch nicht erfüllt sind, auch an den Haltestellen. Zu geringe Trottoirbreiten, zu lange Wartezeiten beim Queren und fehlende taktile Elemente an Querungen waren weitere Auffälligkeiten.

Dem Fußverkehr einen höheren Stellenwert einräumen

Es zeigte sich, dass eine Diskrepanz zwischen den Zielsetzungen im Fußverkehr und den dafür vorgesehenen personellen und finanziellen Ressourcen besteht. Es gibt noch kaum Fußverkehrsfachstellen und es gibt noch keine Strukturen zum fachlichen Austausch zwischen den Städten. Es fehlt an Konzepten mit genügender Konkretisierung. Wirkungskontrollen von Maßnahmen im Fußverkehr existieren fast nirgendwo.

Getrennte Infrastruktur für den Fuß- und den Veloverkehr

Nicht nur in der Umfrage, sondern in allen drei Teilen des Städtevergleichs wurde deutlich, dass Mischverkehrslösungen von Fuß- und Veloverkehr im städtischen Raum weder räumlich geeignet sind noch auf Akzeptanz stossen (Zufriedenheitswerte unter 40 %).

Mehr Platz für den Fußverkehr

Trottoirbreiten liegen gemäss Fußverkehrstest oft deutlich unterhalb der Norm. Vor allem in Quartierstraßen, aber auch entlang von Haupt­straßen waren die Bewertungen bei diesem Aspekt tief.

Kürzere Wartezeiten an Querungen

Wartezeiten werden von den ZuFußgehenden als nachteilig empfunden. Gerade die Wartezeit bei sogenannten „Bettelampeln“ entspricht keinesfalls den Anforderungen. Aber auch bei Ampeln ohne Grünanforderung liegen die durchschnittlichen Bewertungen kaum über 50

Temporeduktionen und mehr Begegnungszonen

Temporeduktionen im Fahrverkehrs und Entwicklung von Fußgänger und Begegnungszonen war ein in der Zufriedenheitsumfrage oft deponiertes Bedürfnis. Eine Auswertung der Verkehrsunfallstatistik zeigt im Bereich Planungspraxis zudem: Je höher der Anteil an Straßen mit Tempo 20 und 30 ist, desto weniger Fußgängerunfälle werden gezählt.

Fachstelle Fußverkehr besser dotieren

Fachstellen für den Fußverkehr sind nach wie vor äußerst rar oder unterdotiert. Nötig ist eine Fachstelle oder eine für den Fußverkehr beauftragte Person, welche über ein Pflichtenheft verfügt, bei Gesamtverkehrsplanungen beigezogen wird, aber auch eigene Projekte lancieren kann und mit einem entsprechenden Budget ausgestattet ist.

In Kürze

Das Projekt zeigt zum ersten Mal in dieser Form auf, wo in den Schweizer Städten im Bereich Fußverkehr Schwächen bestehen und Optimierungspotenzial brachliegt, mit dem die Fußfreundlichkeit erhöht werden kann. Für die beteiligten Städte bieten die Ergebnisse eine gute Grundlage, um Verbesserungen anzugehen.

Literatur:

Gehl, Jan: Project for Public Spaces, A Handbook for Creating Successful Public Spaces, New York 2005

VSS-Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute, SN 640 070 Fußgängerverkehr, Grundnorm, Zürich 2009

Verkehrsclub Deutschland (VCD): VCD Städtecheck- Sicherheit von Fußgängerinnen und Fußgängern, Bonn 2014

Fußverkehr Schweiz: Fußverkehrs-Check in den Kommunen, Beispiele aus der Schweiz, Zürich 2015

Land Baden-Württemberg, Ministerium für Verkehr Fußverkehrs-Checks, Leitfaden zur Durchführung, Stuttgart 2016

Bundesamt für Raumentwicklung (ARE): Externe Kosten und Nutzen des Verkehrs in der Schweiz, Bern 2018

Bundesamt für Strassen (Astra) : Schwachstellenanalyse und Massnahmenplanung Fußverkehr, Bern 2019

Alle Berichte des Städtevergleichs unter:

https://gehsund.umverkehr.ch

https://Fußverkehr.ch/Fußgaengerstadt

 

Dieser Artikel von Prof. Dipl.-Ing. Klaus Zweibrücken ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2020, erschienen.

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Vorab ganz klar: Fahrradfahren muss gefördert werden. Die Legalisierung des Rechtsabbiegens bei Rot ist grundsätzlich sinnvoll, wenn die Sicherheit und das Wohlbefinden des Fußverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Leider ist aber genau das bei der mit heißer Nadel gestrickten deutschen Neuregelung der StVO zu erwarten, die seit 28. April 2020 gilt.

Deutsches Verkehrszeichen ungünstig gestaltet

Ohne Abschluss und Auswertung der noch laufenden Forschungsvorhaben der Bundesanstalt für Straßenwesen zum Fahrrad-Grünpfeil hatte der Bundesverkehrsminister im November 2019 dem Bundesrat die Einführung eines Rechtsabbiegepfeils für Fahrräder vorgeschlagen. Schon wenige Wochen später wurde das neue Verkehrszeichen im Rahmen der jüngsten StVO-Novellierung eingeführt.

Konflikte Rad bei Rot abbiegen
Bei Rot fahren ist nicht konfliktfrei – was die deutschen Grünpfeile aber nicht vermitteln (Grafik: Arndt Schwab)

In der Hektik wurde übersehen, dass der grüne Fahrrad-Rechtsabbiegepfeil grundlegende Schwächen hat. Er wurde aus dem für den gesamten Fahrzeugverkehr geltenden Grünpfeil gebastelt. Ebenfalls auf die Schnelle entwickelt, ist auch dieser ohne ausreichende Vor- und Begleituntersuchungen eingeführt worden - sowohl in der DDR als auch später in der Bundesrepublik (s. unten).

Irreführende Grafik und Verwechslungsgefahr

Konstruktionsfehler und Grundübel beim allgemeinen Grünpfeil sowie dem Fahrrad-Grünpfeil sind jeweils die Farbgebung und die Ähnlichkeit mit Lichtsignalen, die eine völlig andere Bedeutung haben.

Gemäß § 37 StVO bedeuten die Lichtzeichen:

- Grün: „Der Verkehr ist freigegeben … Er kann nach den Regeln des § 9 abbiegen“,
- Grüner Pfeil: „Nur in Richtung des Pfeils ist der Verkehr freigegeben“,
- Gelb: „(...) auf das nächste Zeichen warten“ ,
- Rot: „Halt vor der Kreuzung, (..) Einmündung (..) oder Markierung (..) für den Fußgängerverkehr“.

Lösung in den Niederlanden
Niederlande 1990: „Rechtsabbiegende Fahrräder frei.“ Alternativ oder ergänzend auch als Moped-Variante. Gilt auch für Behindertenfahrzeuge.

Das normale Grün-Licht für den Fahrzeugverkehr bedeutet, dass abbiegende Fahrzeuge den etwaigen Vorrang von entgegenkommenden Fahrzeugen sowie den der Fußgänger/innen, die die um die Ecke gelegene Furt queren, gewähren müssen.

Demgegenüber signalisiert ein grüner Leuchtpfeil konfliktfreie Fahrt, freie Bahn: „Solange ein grüner Pfeil gezeigt wird, darf kein anderer Verkehrs­strom Grün haben, der den durch den Pfeil gelenkten kreuzt“, heißt es in der für die Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörden geltenden Verwaltungsvorschrift (VwV zu § 37 StVO Rn 18).

Das sehr ähnlich aussehende Verkehrszeichen 720 „Grünpfeil“ und der neue Fahrrad-Grünpfeil (Zeichen 721) gebieten jedoch eine völlig andere Verkehrsregel: „Nach dem Anhalten (!) ist das Abbiegen nach rechts auch bei Rot erlaubt (…) Dabei muss man sich so verhalten, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs der freigegebenen (!) Verkehrsrichtung, ausgeschlossen ist.“

Das Schild jedoch visualisiert konfliktfreies Abbiegen und freie Fahrt. Es erklärt sich nicht selbst, hat eine falsche Symbolik bzw. Ikonografie. Falscher Grundimpuls sowie Verwechslungsgefahr mit ähnlich aussehenden Lichtsignalen. Um die Verwirrung komplett zu machen, heißen das Blechschild und bestimmte Leuchtpfeile auch noch praktisch gleich(1)!

Lösung in Frankreich
Frankreich 2012 (Tests ab 2010): Selbsterklärend; visualisiert etwaige Wartepflicht und Aufmerksamkeitsgebot; Montage in Blickhöhe der Radfahrer/innen üblich

Fehlverhalten zu erwarten

Eigentlich sollte die Gestaltung dem Inhalt entsprechen - „form follows function“. Die beiden deutschen Schilder zum Rechtsabbiegen bei Rot vermitteln aber nicht, dass zuerst angehalten werden muss. So ist auch beim Radfahr-Grünpfeil zu erwarten, was beim allgemeinen Grünpfeil Alltagspraxis ist: Mehr als 70 % der rechtsabbiegenden Fahrzeuge halten zuvor nicht an der Haltelinie an(2), sondern rollen mehr oder weniger flott über die Fußgängerfurt, die derweil zum Queren freigegeben ist bzw. zum Räumen begangen werden darf. Auch kreuzender Rad- und Kfz-Verkehr hat i.d.R. Grün, wenn die Grünpfeile zum Abbiegen bei Rot benutzt werden.

Das massenhafte Nichtanhalten ist ein wesentlicher Grund für die vom allgemeinen Grünpfeil verursachten Störungen und Gefährdungen für Blinde, Sehbehinderte, sonstige Fußgänger/innen und auch kreuzenden Radverkehr. Dabei spielt ganz gewiss die grafische Gestaltung des Verkehrszeichens eine Rolle.

Lösung in der Schweiz
Schweiz 2020 (Einführung geplant, Test ab 2013): Gelbpfeil, kein Grünpfeil. Visualisiert Mahnung zur Aufmerksamkeit und Haltebereitschaft. Optimierung bzw. Korrektur der dt. Beschilderung

Andere Länder: Bessere Schilder

Nicht ohne Grund haben die europäischen Staaten, die eine Regelung zum Rot-Rechtsabbiegen für den Radverkehr eingeführt haben, kein Grün bei der Beschilderung eingesetzt:

- Niederlande: Weißer Schriftzug auf Blau,
- Frankreich: Gelber Pfeil und gelbes Rad in ei- nem „Vorfahrt-achten-Schild“ mit rotem Rand,
- Belgien: Gelber Pfeil und gelbes Rad in einem „Vorfahrt-achten-Schild“ mit rotem Rand,
- Dänemark: Schwarzer Pfeil und schwarzes Rad auf Weiß mit rotem Rand,
- Schweiz: Gelber Pfeil auf schwarzem Grund.

Wenn auf die positiven Erfahrungen im Ausland beim Rechtsabbiegen bei Rot für Fahrräder verwiesen wird, werden Äpfel mit Birnen verglichen. Besonders gelungen ist das französische Verkehrszeichen, das in leichter Abwandlung auch von Belgien übernommen wurde. Es verdeutlicht die Wartepflicht gegenüber den bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer/innen doppelt: Durch seine Form sowie die Farbigkeit. Darüber hinaus gibt es jeweils auch eine Variation, die Fahrrädern das Geradeausfahren bei Rot ermöglicht.

Rad-Rot-Rechtsabbiegen ja, doch bitte fußgängerfreundlich

Der deutsche Verordnungsgeber hätte gut getan, die Schilder aus Belgien bzw. Frankreich zu übernehmen. Sie sind besser verständlich als das hiesige Schild und flexibler einsetzbar.

FUSS e.V. hatte in der Anhörung zur StVO-Novelle sogar eine überall geltende Regelung ohne Schilder vorgeschlagen: Das Rechtsabbiegen von Fahrrädern bei Rot generell erlauben, wenn abgestiegen und über die Fußgängerfurt geschoben wird. Der allgemeine Grünpfeil sollte nach Auffassung von FUSS e.V. bundesweit abgebaut werden bzw. allenfalls noch an Knotenpunkten ohne Fußgängerfurt zulässig sein.

Anmerkungen und Literatur:

  1. Vgl. § 37 Abs. 2 Nr. 2. StVO S. 17: „Ein einfeldiger Signalgeber mit Grünpfeil zeigt an, dass bei Rot für die Geradeaus-Richtung nach rechts abgebogen werden darf.“
  2. Maier, R./Hantschel, S./Ortlepp, J./Butterwegge, P.: Sicherheit von Grünpfeilen. Forschungsbericht Nr. 31. Hrsg.: GDV/ UDV. Berlin, 2015, S. 2, 155, 201
  3. Schrobitz, U./Krause, Kl./Schnabel, W: Untersuchung der Vor- und Nachteile des Rechtsabbiegens beim Farbzeichen Rot durch die Regelung „Grüner Pfeil“. Hrsg. Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, Februar 1992, S. 69
  4. Peter Struben und Arndt Schwab: Die Einsatzbedingungen der Grünpfeil-Regelung in Deutschland seit 1978. Hrsg. FUSS e.V., Berlin 2019

In Kürze

Bei der übereilten Einführung des Rechtsabbiegens bei Rot für Fahrräder wurde in Deutschland ein missverständliches Verkehrszeichen eingeführt: Eine Variante der seit über 25 Jahren umstrittenen fußgängerfeindlichen Grünpfeiltafel, die grafisch und begrifflich verwirrt und somit problematisches Fehlverhalten begünstigt. Besser wäre die Beschilderung aus Frankreich gewesen, die schon von Belgien übernommen wurde.

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Neue Lösung in Deutschland
Deutschland 2020 (Test ab 2019): Der Fahrrad-Grünpfeil bedeutet zunächst erst einmal „Anhalten“ bei Rot (§37 StVO), visualisiert das aber - wie der allgemeine deutsche Grünpfeil - gar nicht

Die wundersame Geschichte des Grünpfeils

In der DDR bestand von 1963 bis 1977 für Fahrzeuge an Lichtsignalanlagen eine generelle Rechtsabbiegeerlaubnis bei Rot. Wegen Unvereinbarkeit dieser Regelung mit internationalem Straßenverkehrsrecht wurde 1978 der Grünpfeil eingeführt. Da das Rechtsabbiegen bei Rot häufig in die Knotenpunktbemessung und die LSA-Planung einberechnet worden war, gab es Bedarf für eine Ersatzlösung. Denn Mittel für die etwaige Umgestaltung der Knotenpunkte bzw. der Signalisierung waren knapp oder nicht vorhanden. So entstand der Grünpfeil ohne wissenschaftliche Analysen und ohne systematische Auswertungen des Konflikt- und Unfallgeschehens.

Nach der Wiedervereinigung durfte diese Regelung mit zwei Ausnahmeverordnungen - 1990 und 1991 - zunächst befristet in den neuen Bundesländern beibehalten werden. Obwohl der aus der DDR stammende Verkehrsminister Günther Krause die Gefährlichkeit kannte und deshalb die dauerhafte Abschaffung wollte, hat Nachfolger Matthias Wissmann den Grünpfeil zum 1. März 1994 dauerhaft in die bundesdeutsche StVO übernommen. Und zwar ohne Untersuchung der offenen Forschungsfragen, die die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und Dresdner Wissenschaftler 1992 aufgezeigt und als Einführungsvoraussetzung dargestellt hatten.(3) Die bundesweite Einführung war v.a. ein symbolischer Akt, den Ostdeutschen nicht alles Gewohnte zu nehmen und zumindest eine DDR-Errungenschaft in die Bundesrepublik zu integrieren. Die Einführung erfolgte gegen starke Bedenken von Jurist/innen, Verkehrstechniker/innen, Unfallforscher/ innen, Blinden- und vielen Verkehrsverbänden – auch des FUSS e.V.

Weitere Info: www.gruenpfeil.de und (4)

 

Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2020, erschienen.

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In einem Studienprojekt untersuchten wir die Qualität von Querungsstellen über die Nebenstraßen eines typischen Berliner Gründerzeitkiezes. Hervor ging ein systematisches Bewertungsschema, das sich auch auf Querungsstellen andernorts anwenden ließe – der „Querungsstellen-Qualitäts-Index“ (QQI). Die Ergebnisse weisen nach: Es besteht großer Handlungsbedarf zur Erleichterung der Querungssituation.

Die Querungsstelle ist zugeparkt. Wie sollte ich jetzt über die Straße kommen, wenn ich im Rollstuhl säße? Für mich ist es „nur“ ein Ärgernis, doch für jemand Anderes ein ernstes Problem. Die Qualität von Querungsstellen lässt vielerorts nicht nur sehr zu wünschen übrig, sie schließt schlicht Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe aus. In einem Studienprojekt am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin analysierten ein Kommilitone und ich die Qualität von Querungsstellen. Denn systematische Untersuchungen mit dem Ziel der Bewertung von Querungsstellen können dazu dienen, eine solide Argumentationsgrundlage in der (lokalen) Verkehrspolitik und -planung zu gewinnen.

Untersuchungsgebiet

So schauten wir uns den Brüsseler Kiez in Berlin-Wedding an, ein typisches Gründerzeitviertel mit fünfgeschossiger Blockrandbebauung, vielen Geschäften und Restaurants in den Erdgeschossen, einer Schule, Kitas, einem kleinen Park, einer guten ÖPNV-Anbindung und einer sehr diversen Bevölkerung. Wir wollten wissen: Wie gut können Zufußgehende hier über die Nebenstraßen kommen? Nicht, dass das Queren von Hauptverkehrsstraßen im Alltag kein Problem wäre. Wir wollten unseren Blick in dieser Arbeit jedoch auf die Nebenstraßen richten, da sich hier ein großer Teil des nachbarschaftlichen Lebens abspielt.

Was ist überhaupt eine Querungsstelle? Im untersuchten Kiez wie auch in den meisten anderen städtischen Räumen ist der Straßenraum gegliedert in seitliche Gehwege sowie eine mittige, vom Fahrzeugverkehr dominierte Fahrbahn inklusive Parkstreifen. Hier sind Querungsstellen die Stellen baulicher Ausprägung, an denen der Fußverkehr regelmäßig die Fahrbahn queren kann und soll. Was gehört zur Qualität von Querungsstellen aus Sicht des Fußverkehrs? Zuerst müssen Querungsstellen dort vorhanden sein, wo sie erforderlich sind: also über alle Straßen an einer Kreuzung oder Einmündung sowie im Straßenzug mindestens alle 150 Meter(1). Des Weiteren müssen Querungsstellen barrierefrei und sowohl objektiv als auch subjektiv verkehrssicher sein, und sie müssen eine möglichst hohe Annehmlichkeit für alle Zufußgehenden gewährleisten – also zum Queren einladen.

Entwicklung und Gewichtung von Indikatoren

Vor dem Hintergrund einer passenden Lage, der Barrierefreiheit, objektiver und subjektiver Verkehrssicherheit sowie einer möglichst hohen Annehmlichkeit versuchten wir, konkrete Indikatoren zu entwickeln, an denen die Qualität der Querungsstellen abgelesen werden kann. Wir überlegten und recherchierten, welche Ausprägungen für die Indikatoren alle möglich sind, um nicht nur die Querungsstellen innerhalb des Brüsseler Kiezes miteinander vergleichen zu können, sondern auch mit Querungsstellen andernorts sowie einer „idealen“ Querungsstelle. Letztendlich konnten wir 14 Indikatoren mit einer Vielzahl an Ausprägungen ausmachen. Dabei orientierten wir uns nicht nur an den allgemeinen technischen Richtlinien und Empfehlungen und den für Berlin geltenden Vorschriften, sondern auch etwa am „Leitfaden Barrierefreiheit“ aus NRW. Wir trafen uns auch mit Stefan Lieb vom FUSS e. V., um das Vorgehen abzusprechen.

Die Qualität von Querungsstellen kann nur anhand der Bedürfnisse und Ansprüche verschiedener Personengruppen bewertet werden. Hierfür bildeten wir sechs zusammenfassende Gruppen: Personen mit Rollstuhl; mit Gehhilfe oder Kinderwagen; mit Sehbehinderung (unterschiedlichen Grades); mit kognitiven Beeinträchtigungen; Kinder oder Personen geringer Körpergröße; „durchschnittliche“ Zufuß­gehende. Für die 14 Indikatoren versuchten wir zu ergründen, welche Bedeutung der jeweilige Indikator für die verschiedenen Personengruppen hat. Um eine Einstufung der Relevanz vorzunehmen, mussten wir jedem Indikator eine für alle Personengruppen angenommene beste Ausprägung zuweisen.

Dann wurde geschaut: Wie relevant ist der Indikator für die einzelnen Personengruppen? Aus der Summe der Relevanzeinstufungen pro Indikator ergab sich dessen maximale Punktzahl und damit eine Gewichtung der Indikatoren untereinander. Dabei wurden alle Personengruppen gleichwertig betrachtet. Gern hätten wir diese zentrale Wertsetzung möglichst partizipativ gestaltet, aus Gründen der Leistbarkeit konnten wir hierfür lediglich Annahmen aus den oben genannten Quellen sowie aus mehreren Gesprächen mit Menschen im Kiez treffen.

Wie hoch soll der Bord sein?

Bei der Frage nach der Bordhöhe trat ein erwartbarer Konflikt auf: Während Personen mit Rollstuhl, mit Gehhilfe oder Kinderwagen einen möglichst ebenen Übergang brauchen, bedürfen Personen mit Sehbehinderung eine ertastbare Kante, um zu erkennen, dass sie die Fahrbahn betreten bzw. wieder verlassen. In Berlin hat es sich daher etabliert, den Bord einfach auf 3 cm Höhe abzusenken – ein Kompromiss. In NRW und andernorts wird dagegen ein höherer Aufwand betrieben: Auf etwa der halben Breite der Querungsstelle wird der Bord komplett eingesenkt, während auf der anderen Hälfte ein 3 bis 6 cm hoher Bord verlegt wird. Zu diesem Bereich führen taktile Platten. Diese sogenannte „Doppelquerung“ wird auch für Berlin diskutiert und wurde von uns als Ideallösung angesehen, die daher beim Indikator Bordhöhe die maximalen Punktzahl erreicht.

Eine andere gute bauliche Lösung stellt die sogenannte Gehwegüberfahrt dar. Hierbei queren Zufußgehende nicht die Fahrbahn, sondern Fahrzeuge kreuzen einen über die Straße gezogenen Gehweg. Zufußgehende haben rechtlich gesehen Vorrang, auch aus diesem Grund überqueren sie auch keinen Bordstein. Daher bekam die Gehwegüberfahrt in unserem Verfahren nur viele Punkte, wenn taktile Platten vorhanden waren. Diese weisen Personen mit Sehbehinderung darauf hin, dass sie einen Bereich betreten, in dem sie zwar Vorrang haben, Fahrzeuge aber regelmäßig kreuzen.

Die drei wichtigsten Indikatoren

Neben weiteren wichtigen Indikatoren wie der Kfz-Verkehrsbelastung, der Beleuchtung oder auch der Ebenheit des Fahrbahnbelags an der Querungsstelle schlossen wir aus der Personengruppen-Gesamtbetrachtung, dass drei bauliche Einrichtungen zur Verkehrsberuhigung, das Vorhandensein einer Gehwegvorstreckung („Gehwegnase“) und die Sichtverhältnisse entscheidend sind. Verkehrsberuhigungsmaßnahmen wie Aufpflasterungen, schmale Fahrbahnen oder enge Eckausrundungen an Kreuzungen sorgen dafür, dass der Kfz-Verkehr mit angepasster Geschwindigkeit und aufmerksam unterwegs sein muss. Eine Gehwegvorstreckung bis an die Fahrgasse unterbindet illegales, den Fußverkehr blockierendes und sichtbehinderndes Halten und Parken, insbesondere wenn sie mit Pollern oder Fahrradbügeln als Parksperren versehen ist. Die Gehwegvorstreckung verkürzt überdies die Querungsstrecke (ein weiterer, wichtiger Indikator) und vergrößert den Gehwegbereich für den Aufenthalt.

Die Sichtverhältnisse zu untersuchen war die Crux am Projekt. Dass Zufußgehende und Autofahrende sich an Querungsstellen gegenseitig rechtzeitig erkennen können, ist für die Verkehrssicherheit elementar. Hierfür gibt es Vorgaben innerhalb welcher Strecken im Abstand zur Querungsstelle Sichtbehinderungen wie parkende Kfz, Werbetafeln oder dichte Bepflanzungen ausgeschlossen werden müssen – diese gelten jedoch nur auf gerader Strecke.

Was jedoch abbiegende Fahrzeuge betrifft, so geben die Richtlinien keine konkrete Regel vor. Wir wurden daher kreativ und prüften zuerst, ob die Eckausrundung von Sichtbehinderungen freigehalten wurde. Dann schauten wir uns die Querungsstelle über die Straße an, aus der die Fahrzeuge jeweils kommen, wenn sie rechts oder links abbiegen. Wird also beispielsweise die rechte Seite vor einer Querungsstelle freigehalten, so ist davon auszugehen, dass auch die Sichtbedingungen für die rechtsabbiegenden Fahrzeuge auf die rechts liegende Querungsstelle gut sind (bei ebenfalls freigehaltener Eckausrundung). Wir nahmen übrigens eine „Geeignetheit der Maßnahmen zur Sichtfreihaltung“, wie sie die technischen Regelwerke fordern, nur dann an, wenn das Parken durch bauliche Maßnahmen unterbunden wurde – eine reine Halteverbotsanordnung reicht zumindest in Berlin leider nicht aus.

Erfassung und Ergebnisse

Nachdem wir unser Bewertungsverfahren aufgestellt und einige Probe-Anwendungen gemacht hatten, ging es zwei Tage lang auf die Straße. Mit Klemmbrett, Tabellen und Maßband erfassten wir Querungsstelle für Querungsstelle anhand der 14 Indikatoren. Konnten zum Beispiel beim Indikator „Vorstreckung“ aufgrund der personengruppenspezifischen Gewichtung maximal 36 Punkte erreicht werden, so vergaben wir pro Gehwegseite 14 Punkte für eine Vorstreckung 0,30 bis 0,70 Meter über die Tiefe der Parkstände hinaus, 10 Punkte für eine Vorstreckung über die Tiefe der Parkstände oder 2 Punkte, wenn ein Halteverbot nur durch Fahrbahnmarkierungen hervorgehoben war. 4 Extra-Punkte gab es, wenn Parksperren (Poller, Fahrradbügel) vorhanden waren. In diesem Prinzip gingen wir für alle Indikatoren vor.

Schlussendlich hatten wir Daten von 51 Querungsstellen gesammelt, die wir in unserem Kiez vorfanden. An mindestens elf Orten fehlten Querungsstellen, also an Kreuzungen oder in Straßenzügen mit Querungsstellen-Abständen von über 150 Metern. Die erfassten Querungsstellen trugen wir dann mit einem GIS-Programm in eine Karte ein, diese verknüpften wir mit den Tabellenwerten. Für die Darstellung wählten wir die Summe aller Indikator-Punkte einer Querungsstelle – den „Querungsstellen-Qualitäts-Index“ (QQI). Für einen hohen QQI hätte eine Querungsstelle eine grüne Farbe bekommen, für einen niedrigen eine rote, mit Abstufungen dazwischen.

Leider kam keine Querungsstelle über ein ganz leichtes Hellgrün hinaus – mit gerade einmal 185 von 323 höchstens erreichbaren Punkten. Diese beste Querungsstelle ging über zwei relativ schmale Richtungsfahrbahnen mit ebenem Belag und einem breiten Mittelstreifen dazwischen, besaß Vorstreckungen (allerdings nur über die Tiefe der Parkstände) mit Parksperre und hielt die Vorgaben für die Sichtfreihaltung als einzige (!) komplett ein. Unter anderem fehlten aber verkehrsberuhigende Maßnahmen, eine Doppelquerung, taktile Platten oder auch ein Zebrastreifen, um mehr Punkte zu erhalten.
Die Querungsstellen über die Einmündungen von Nebenstraßen in Hauptverkehrsstraßen schnitten durchschnittlich besser ab als die Querungsstellen tiefer im Kiez. Dies lag an den zumindest für abbiegende Fahrzeuge oft konsequent eingehaltenen Sichterfordernissen, ebenen Fahrbahnbelägen und vorhandenen Ampeln. Neben einigen Ausnahmen schnitten viele Querungsstellen dagegen ziemlich verheerend ab: Zu hohe Borde, vor denen Autos parken, Fahrbahnbreiten von teils über 13 Metern, hohe Geschwindigkeiten trotz buckeligen Kopfsteinpflasters – von taktilen Platten oder einer Beleuchtung bei Dunkelheit ganz zu schweigen. Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. Besonders erschreckend: In unmittelbarer Nähe zu der Kreuzung, die die schlechteste Gesamtbewertung von allen erhielt, befinden sich eine Schule und eine Kita.

Unsere Ergebnisse haben wir der lokalen „Bürgerinitiative Brüsseler Kiez“, die sich insbesondere für lebensfreundliche Straßenräume einsetzt, zukommen lassen. In der Diskussion mit Politik und Verwaltung könnte unsere Arbeit als Argumentationsgrundlage dienen. Wir hoffen, dass der Querungsstellen-Qualitäts-Index auch von anderen Akteuren – vielleicht Ihnen – eingesetzt und weiterentwickelt sowie eines Tages gar standardisiert und institutionalisiert wird.

Eine letzte Einsicht ist uns noch wichtig mitzuteilen: Eine schlechte Querungsstelle sollte nicht nur dazu anleiten, nur dort bauliche Verbesserungsmaßnahmen vorzunehmen. Vielmehr sollte gerade eine Häufung schlechter Querungsmöglichkeiten Anlass bieten, grundsätzlich neue Ideen für den Straßenraum zu entwickeln: Könnte nicht ein verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen, die gesamte Breite eben und ansprechend gepflastert(2), die Fahrbahn auf ein Mindestmaß verschmälert und abgepollert, Parkplätze reduziert und der Durchgangsverkehr durch modale Filter ausgeschlossen werden? Könnten nicht ehemals vom Autoverkehr dominierte Kreuzungen zu kleinen Stadtplätzen umgewandelt werden, an denen man sich gerne aufhält und trifft? Um für solche Straßenräume der Zukunft politische Argumentationsgrundlagen in der Hand zu halten, bedarf es in unserer zahlenfixierten Gesellschaft jedoch auch quantifizierter Bestandserhebungen – hierzu hoffen wir einen Beitrag zu leisten.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Diese Angabe stand in den Empfehlungen für die Anlage von Erschließungsstraßen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) von 1985. Der Wert wird heute von FUSS e. V. wieder gefordert. www.geh-recht.de/querungsanlagen 

(2) Den Bedürfnissen nach Orientierung von Personen mit Sehbehinderung muss dabei natürlich Rechnung getragen werden, etwa durch kontrastreiche Pflasterung und taktile Platten an den vorgesehenen Haupt-Querungsstellen.

Die Studie kann unter www.umkehr-fuss-online-shop.de → Kostenlose Downloads → Themen-Websites → Geh-Recht heruntergeladen werden.